Ausnahmen vom Mindestlohn: Praxishinweise für Flüchtlinge im Praktikum
Die Politik will Abweichungen vom Mindestlohn in bestimmten Fällen erleichtern – der DGB ist empört, und die ganze Sache ziemliche kompliziert.
Deutschland ist ein kompliziertes Land. Es gibt viele Regeln und viele Ausnahmen von den Regeln und bestimmte Kriterien, nach denen die Ausnahmen zu gewähren sind. Zum Beispiel der gesetzliche Mindestlohn. Eigentlich gilt diese Lohnuntergrenze seit dem 1. Januar 2015 für alle Beschäftigte. Aber es gibt Ausnahmen für Azubis, Langzeitarbeitslose und bestimmte Praktikanten. Und auch Flüchtlinge können Praktikanten sein. In einem fünfseitigen „internen Diskussionspapier“, wie es im Bundesarbeitsministerium heißt, bemühen sich drei Ministerien – neben dem Arbeits- sind auch das Finanz- und das Forschungsministerium beteiligt – um „Praxishinweise zur Anwendung des Mindestlohngesetzes im Kontext der Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen“. Und das ist nicht so einfach.
Vier Berufsgruppen werden unterschieden
Die Ministerialbeamten unterscheiden vier Punkte: Praktika im dualen System, in „reglementierten Berufen“ (etwa Pflege, Erziehung), im Rahmen von „Vorbereitungskursen auf Kenntnis- oder Eignungsprüfungen“ und schließlich für „Brückenmaßnahmen für ausländische Akademikerinnen und Akademiker“. Es wird vermutlich nicht leicht sein für manche Flüchtlinge, sich in einer der Ausnahmerubriken einzuordnen.
Das Papier sei noch nicht endgültig abgestimmt, heißt es im Haus von Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD). Das Ziel ist aber offenbar identifiziert: Potenzielle Arbeitgeber sollen Klarheit bekommen, ob der Mindestlohn auch dann gezahlt werden muss, wenn die Flüchtlinge noch „Praxiserfahrungen und Qualifizierungen sammeln müssen, „um einen Berufs- beziehungsweise Ausbildungsabschluss zu erreichen, beziehungsweise anerkannt zu bekommen“, wie das Arbeitsministerium mitteilt.
Neun Monate für ein Tischler-Praktikum
Und es gibt Beispiele. „Ein syrischer Tischler beantragt die Anerkennung seines Abschlusses. Im Bescheid wird festgestellt, dass ihm neun Monate Berufspraxis fehlen.“ Nun bietet ein Betrieb eben genau dieses neunmonatige Praktikum an. Wenn der entsprechende Bescheid der für die Anerkennung zuständigen Stelle und ein Weiterbildungsvertrag mit dem Betrieb vorliegt, dann darf weniger gezahlt werden als der Mindestlohn. Als weiteres Beispiel nennt das Diskussionspapier eine vietnamesische Krankenschwester, die hierzulande die Berufszulassung in einem reglementierten Beruf anstrebt. Auch hier werden im Behördenbescheid fachliche Defizite konstatiert und ein Zeitraum genannt, in dem diese Defizite aufzuarbeiten sind: Wenn ein Krankenhaus für die bestimmte Zeit ein Praktikum anbietet, dann kann vom Mindestlohn abgewichen werden.
Schließlich haben die Ministerialbeamten noch den Fall eines Wirtschaftswissenschaftlers aus Indien parat: „Um seine Chancen auf dem deutschen Arbeitsmarkt zu verbessern, nimmt er an einem einjährigen ergänzenden Aufbaustudiengang an einer deutschen Universität (...) teil. Eingebunden in diesen Studiengang ist verpflichtend ein sechsmonatiges Praktikum.“ Und wenn dieses Praktikum begleitend zum Aufbaustudium absolviert wird, „ist es nach Paragraph 22 Absatz 1 Satz 2 Nr. 3b des Mindestlohngesetzes bis zu einer Dauer von drei Monaten mindestlohnfrei“. Hoffentlich kriegen das die Studenten auch mit.
Der DGB befürchtet Missbrauch
An diesem Punkt setzen die Bedenken des DGB an. „Manche Unternehmen nutzen Flüchtlinge, die sich mit ihren Rechten noch nicht auskennen, als billige Arbeitskräfte aus“, hat DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell beobachtet. Wenn nun sogar der Staat Flüchtlinge mit Ausbildung mit dem Instrument des Praktikums aus dem Schutzbereich des Mindestlohns ausnehme, führe das dazu, „dass die Einfallstore zur Umgehung des Mindestlohns größer werden und nicht mehr kontrollierbar sind“. Körzell befürchtet die „Umdeklarierung“ von Beschäftigten zu „Pflicht-Praktikanten“.
Die Einschätzung der Arbeitgeber klingt anders. Auch deutsche Praktikanten seien im Zuge ihrer Ausbildung nicht mindestlohnpflichtig, heißt es bei der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Die Pläne der Ministerien seien also nur eine „Klarstellung und ein Nachvollziehen der Regelungen, die ohnehin bestehen“, sagte BDA- Sprecher Arne Franke.