Interview mit Frank Appel: „Paketboten gibt es noch in 30 Jahren“
Der Post-Chef über das Ende der Paketbox und warum Roboter und andere Technologien so schnell nicht genutzt werden.
Für die Post war 2018 eines der schwierigsten Jahre seit dem Antritt des Unternehmenschefs Frank Appel. Im Sommer wurde die Gewinnprognose für das Jahr überraschend von 4,2 auf 3,2 Milliarden Euro gekürzt. Das Briefgeschäft sinkt Jahr für Jahr, ab April soll daher das Porto steigen. Zudem will der Konzern jährlich 150 bis 250 Millionen Euro sparen. Post- und Paketvorstand Jürgen Gerdes musste gehen, Appel leitet den Bereich noch immer kommissarisch.
Herr Appel, nach einer Gewinnwarnung müssen Sie Kosten sparen. Geht das auf Kosten von Innovationen?
Nein, denn gerade die Digitalisierung bietet große Chancen, um Produktivitätsfortschritte zu erzielen. In Branchen wie dem Automobilbau sind die Produktivität und damit auch die Gehälter unter anderem deswegen so hoch, weil Automatisierung schon länger eine maßgebliche Rolle spielt. In der Serviceindustrie, zu der wir auch gehören, sind Produktivität und Löhne dagegen vergleichsweise niedrig. Die Digitalisierung ermöglicht uns jetzt, das zu ändern.
Was planen Sie dabei genau?
Wir nutzen in der Logistik beispielsweise Brillen, bei denen Informationen in das Sichtfeld eingeblendet werden. Das führt teilweise zu zehn- bis zwanzigprozentigen Produktivitätssteigerungen. Solche Vorteile nutzen allen und können weitergegeben werden, zum Beispiel fünf Prozent an die Mitarbeiter, fünf Prozent an den Kunden und fünf Prozent bleiben beim Unternehmen und den Aktionären.
Wo sehen Sie ähnliches Potenzial?
Wir probieren gerade viel aus. Zum Beispiel einen Bot, der hinter dem Zusteller herfährt, um Briefe und Päckchen zu transportieren. Oder das Messen des Lagerbestandes und die Überwachung der Sicherheit mit Drohnen. Das wird aber in diesem und dem nächsten Jahr noch keine großen wirtschaftlichen Auswirkungen haben. Signifikante Effekte der Automatisierung werden wir eher mittelfristig in einem Zeitraum von fünf bis zehn Jahren sehen.
Amazon automatisiert schon jetzt viel in der Logistik, können Sie sich so viel Zeit lassen?
Ich glaube nicht, dass wir da langsamer sind. Wir haben in unseren Lagerhäusern längst modernste Ausrüstung wie selbstfahrendes Equipment, das die Mitarbeiter im Lager begleitet. Und wenn Sie sehen, wie schnell das Personal von Amazon wächst, liegt das auch daran, dass in den Lagern immer noch viele Menschen arbeiten. Innovationen finde ich dann überzeugend, wenn sie in der Praxis auch tatsächlich dauerhaft Wirkung zeigen.
Sie prüfen die Verträge mit Großkunden und könnten auch die Preise erhöhen. Bestärken Sie damit Amazon nicht noch, eine eigene Logistik aufzubauen?
Mir geht es weniger darum, was andere tun könnten, als vielmehr darum, die eigenen Dienstleistungen zu verbessern. Das ist die beste Strategie.
Sie haben also keine Angst, dass Ihr größter Kunde zum größten Konkurrenten wird?
Selbst wenn ich diese Sorge hätte, ist es wichtig, sich um die eigene Leistungsfähigkeit zu kümmern. Damit macht man sich attraktiv für Kunden. Wenn man in der Mischung aus Preis, Qualität und Leistungsfähigkeit der Beste ist, werden auch die Kunden bei uns bleiben.
Die Qualität hat aber gelitten, die Beschwerden im Post- und Paketbereich sind 2018 enorm gestiegen. Warum?
Die Beschwerden muss man ernst nehmen und jede Einzelne ist eine zu viel, aber man beschwert sich heute per E-Mail oder über soziale Medien auch viel schneller. Die von der Bundesnetzagentur genannten 11 800 Beschwerden sind bei einer Sendungsmenge allein bei uns von 18,5 Milliarden Briefen und 1,4 Milliarden Paketen nicht wirklich viel. Zudem entfällt ein Teil der Beschwerden auf unsere Wettbewerber, bei denen die Klagen auch stärker wachsen. Auch im Industrievergleich haben wir eher eine niedrige Zahl an Beschwerden. Bei der Netzagentur gibt es zum Beispiel mehr als 200 000 Beschwerden über Telekommunikationsanbieter, oder nehmen Sie die zuletzt stark gestiegene Zahl von Verspätungen in der Luftfahrt. Wenn die Infrastrukturen überall so gut funktionieren würden wie bei uns, hätten wir manche Sorge weniger.
Der Boom des Onlinehandels bringt die Paketlieferer an Grenzen. Welche Technologien können da wirklich helfen?
Die Komplexität der letzten Meile ist recht hoch, die Automatisierung wird daher zuerst in Bereichen stattfinden, wo man das gesamte System unter Kontrolle hat, also innerhalb der eigenen Sortierzentren oder Lager. In der Zustellung ist es dagegen noch ein sehr weiter Weg. Es reicht ja nicht, ein Paket per Roboter irgendwo hinzubringen. Dieser muss dann erkennen: wo ist die Klingel, ist es der richtige Name und was passiert, wenn der Empfänger nicht da ist? Ich glaube daher, selbst in 20 oder 30 Jahren werden wir noch Menschen als Paketzusteller haben. Sie werden dann aber deutlich mehr technische Hilfen nutzen, beispielsweise Exoskelette, um schwere Pakete zu tragen. Vielleicht werden auch kleine, besonders hochwertige Sendungen wie Smartphones per Drohne zugestellt.
Begleitroboter haben Sie schon getestet, wie geht es damit weiter?
Das funktioniert technisch gut, aber die Geräte sind heute noch zu teuer. Da braucht es noch einige Innovationssprünge, bis es sich rechnet.
Wird es dafür mehr Paketstationen geben?
Ja, das machen wir seit fast 20 Jahren. Wir haben jetzt bundesweit 3500 Packstationen und bauen diese systematisch aus. Die Frage ist nur, wie schnell man geeignete Orte findet. Trotzdem wird darüber nur ein kleiner Teil des Gesamtvolumens abgewickelt. Das zeigt aber auch den Erfolg des bisherigen Systems. Man kann heutzutage als Kunde Lieferzeiträume planen oder es gibt Nachbarn, die Pakete annehmen. Wenn der Service an die Haustür so unbefriedigend wäre, würden doch viel mehr Menschen an Packstationen liefern lassen.
Die Paketkästen für einzelne Häuser sind derzeit nicht im Angebot, warum?
Der Bedarf war deutlich geringer, als wir das erwartet haben. Jetzt müssen wir uns etwas Neues überlegen. Aber das Ausprobieren ist das Schöne am Unternehmertum. Dann stimmen die Menschen mit den Füßen ab und sagen zu bestimmten Neuerungen, die technisch möglich sind: eigentlich brauchen wir das gar nicht. So wie bei der Kofferraumzustellung.
Die haben Sie abgeschrieben?
Nein, denn wir haben die Kofferraumzustellung getestet, technisch funktioniert das auch. Es wird aber erst relevant, wenn es alle Autos können, die neu auf den Markt kommen. Wir sind hier offen für Kooperationen mit jedem Hersteller, der das plant.
Amazon und Zalando testen die Lieferung hinter die Tür, wo der Zusteller die Möglichkeit hat, Türen per App zu öffnen. Was halten Sie davon?
Das haben wir uns schon angeschaut und auch getestet, aber das hat für uns gerade keine Priorität. Auch hier ist letztlich die Frage, wie groß der Markt von Kunden wirklich ist, die dabei mitmachen würden.
Ihr WhatsApp-Konkurrent SimsMe ist auch nicht sehr populär. Warum halten Sie daran noch fest?
Wir sehen momentan eine deutlich steigende Nachfrage, nicht bei Privatpersonen, aber dafür aus Unternehmen. Wir haben jetzt mehrere größere Kunden aufgeschaltet, bei Geschäftskunden brauchen solche Projekte immer länger. Wir beobachten derzeit die Entwicklung von SimsMe und werden dann entscheiden, aber momentan bin ich sehr zuversichtlich. Denn in vielen Unternehmen wird mehr denn je die Frage nach modernen und sicheren Kommunikationsmöglichkeiten gestellt.
Sie sind kommissarisch auch noch für das Post- und Briefgeschäft zuständig. Wann kommt ein Nachfolger?
Ich habe im Vorjahr gesagt, bis Ende 2018 auf jeden Fall. Mir macht das auch sehr viel Spaß und ich werde es erst einmal fortführen. Ich habe aber klare Vorstellungen, wie es weitergeht, und im Laufe des Jahres werden wir da eine Lösung präsentieren.