Diversity-Konferenz: Omas zum Ausleihen und Kitas für die Nacht
Mehr Vielfalt im Arbeitsleben bedeutet auch mehr Organisation und Stress. Arbeitsminister Hubertus Heil findet alles andere trotzdem „dumm“.
Der Handwerker kündigt sich zwischen neun und 15 Uhr an, die Postfiliale schließt, während man abends noch am Schreibtisch sitzt. So vielfältig die Menschen heutzutage arbeiten oder arbeiten möchten, so sehr wird die Organisation des alltäglichen Lebens noch nach alten Mustern gestaltet. Diese These stellt Isabell Welpe auf, Leiterin des Lehrstuhls für Strategie und Organisation der Technischen Universität München. Gemeinsam mit der „Charta der Vielfalt“ hat ihr Team Vorschläge erarbeitet, wie die Vereinbarkeit von Arbeit und Familie besser gelingen kann. Am Freitag hat sie Ergebnisse der Studie bei der Diversity-Konferenz vorgestellt.
In einer Bestandsaufnahme zählte Welpe auf: Nur ein gutes Drittel der befragten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sei mit ihrer aktuellen Situation zufrieden. Drei von vier Beschäftigten wünschten sich flexiblere Arbeitszeiten, um das Privatleben vernünftig regeln zu können. Nur elf Prozent würden von zu Hause aus arbeiten, während sich die große Mehrheit dazu mehr Möglichkeiten wünscht. Beides könnte Eltern, pflegenden Angehörigen und auch den 18,4 Millionen Pendlern hierzulande helfen.
Das Hauptproblem der Beschäftigten ist zu wenig Zeit – für die Familie, den Haushalt, Arztbesuche, Sport. Was helfen könnte, wäre zum Beispiel eine Plattform für Haushaltsdienstleitungen, wie es sie bei Adidas gibt. Mitarbeiter könnten Babysitter- und Putzdienste in Auftrag geben, den Kauf ihrer Lebensmittel, einen Fahrdienst, der den Sohn zum Schwimmen bringt oder die gebrechliche Mutter zur Untersuchung. Das erledigt zum Beispiel das Unternehmen „CareDriver“. Bei Persil können Mitarbeiter derweil schon heute ihre Wäsche im Büro abgeben und Tage später wieder mitnehmen, bei Microsoft und SAP kann das frisch gekochte Abendessen für die Familie aus der Kantine vor dem Heimweg mitgenommen werden.
24-Stunden-Kita oder Kita für kranke Kinder
Jene, die abends, nachts oder am Wochenende arbeiten wie Köchinnen oder Krankenpfleger, bräuchten zudem eine andere Form der Kinderbetreuung. Sogenannte 24-Stunden-Kitas gibt es vor allem schon in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg. Ein anderer Vorschlag, der in der Studie genannt wird: eine Kita für kranke Kinder – oder eine Nachtbetreuung daheim, damit die Eltern mal nicht völlig übermüdet am nächsten Tag zur Arbeit kommen. Ähnlich privat ist ein Concierge-Service, der in der Zeit vor der Geburt sämtliche organisatorische Aufgaben übernehmen könnte, wie die Auswahl der Hebamme und Behördengänge.
Weitere Ideen für die Betreuung von Sohn oder Tochter sind eine Großelternzeit, in der Ältere eine Weile von der Arbeit freigestellt werden, damit sie sich um die Enkel kümmern können. Ist die Oma nicht in der Nähe, kann man sich bei ThyssenKrupp eine fremde Großmutter ausleihen. Im vergangenen Jahr waren die Deutschen laut dem Verband des Deutschen Reisemanagements auf mehr als 118 Millionen Dienstreisen. Das US-amerikanische Unternehmen Patagonia bietet Müttern an, ihr Kind mit einem weiteren Familienmitglied oder einer Betreuungsperson aus dem betriebseigenen Hort mitzunehmen, falls man es nicht zu Hause lassen will oder kann.
Für die Pflege der Eltern kooperiert die Sparkasse Taunus mit einem ansässigen Bürgerstift, in das Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre Angehörigen kurzzeitig bringen können. Andere Betriebe helfen bei der Suche nach Heimplätzen im stadtnahen Seniorenstift.
Hubertus Heil verteidigt Einwanderungsgesetz
Auch wenn der Wandel der Rollenbilder von Mann und Frau – der Anspruch, dass beide arbeiten gehen – zu mehr Organisationsaufwand führt, sagte Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) am Freitagnachmittag: „Nicht auf Vielfalt zu setzen, ist einfach dumm!“ Seine Tochter sei vier Jahre alt. Er wolle nicht, dass sie erst im Erwachsenenalter sieht, wie ein Bundeskabinett absolut gleichgestellt gebildet wird. Er wolle das so bald wie möglich. „Es gehört zu meiner sozialdemokratischen Grundüberzeugung, dass man Feminist ist, auch als Mann“, sagte er.
Aus aktuellem Anlass ging Heil auf die Notwendigkeit des Einwanderungsgesetzes ein. Der Entwurf dafür war am Dienstag bekannt geworden. Die Vorlage, die das Kabinett noch vor Weihnachten beschließen will, sieht unter anderem Lockerungen für Fachkräfte aus Nicht-EU-Staaten vor. Künftig sollen sie auch ohne konkretes Jobangebot zur Arbeitssuche einreisen können. Die bisherige Beschränkung auf Engpassberufe und die Vorrangprüfung entfallen. Bislang musste zunächst geschaut werden, ob ein Deutscher oder ein EU-Ausländer für die Tätigkeit infrage kommt. Rund eine Dreiviertelmillion Arbeitsplätze sind derzeit in Deutschland nicht besetzt. Händeringend suchen Betriebe quer durch die Branchen nach Mitarbeitern – nach Programmierern, Pflegekräften, Handwerkern. In Erinnerung an die Gastarbeitergeneration sagte Heil jedoch: „Es kommen nicht nur Fachkräfte nach Deutschland, sondern vor allem Menschen.“