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Förderkrieg? Über den rasanten Preisverfall von Öl kursieren etliche Theorien. Nur wenige davon haben Substanz.
© picture alliance / dpa

Rasanter Ölpreis-Verfall: Öl als Machtmittel

Während der Ölpreis immer weiter fällt, haben Verschwörungstheorien Hochkonjunktur. Die deutsche Wirtschaft profitiert davon.

Auf dem Rohstoffmarkt ging es am Donnerstagvormittag zu wie einst auf der Titanic: Mit jeder Stunde, die verstrich, sank der Ölpreis ein Stück weiter. Um 12.29 Uhr war der Tiefpunkt erreicht, erstmals seit fünf Jahren fiel der Preis für ein Barrel der Nordseesorte Brent unter die Marke von 65 Dollar und erreichte bei 64,50 Dollar den tiefsten Stand seit September 2009.

Gründe gibt es für den Preissturz viele. Einerseits lahmt die Weltwirtschaft und mit ihr auch die Nachfrage nach dem Rohstoff. Andererseits feiern die USA seit geraumer Zeit einen Öl-Boom im eigenen Land. Die Förderung von Schieferöl haben die Amerikaner in der Ölversorgung beinahe unabhängig vom Weltmarkt gemacht. Lediglich ein Drittel des Ölbedarfs wurde 2013 noch importiert – so wenig wie zuletzt 1985. Den Wegfall der USA als wichtigen Kunden spüren die anderen Öl-Nationen deutlich.

Der dritte Grund für die Preisflaute ist eng mit dem weltweit größten Öl-Exporteur verbunden: Saudi-Arabien. Der Golfstaat weigert sich seit Monaten, seine Förderquoten herunterzufahren und damit den Ölpreis zu stützen. Warum die Regierung das ablehnt, ist Gegenstand wilder Spekulationen. Die Saudis wollten einen Preiskampf mit den USA anzetteln und die Förderung von Schieferöl unrentabel machen, heißt eine Theorie. Allerdings ist die amerikanische Frackingtechnik mittlerweile derart ausgereift, dass manche Öl-Förderer in den USA bereits ab 70 Dollar pro Barrel profitabel wirtschaften können, wie das US-Marktforschungsinstitut IHS feststellt. Die Erklärung mit dem Preiskrieg wäre damit nur eines: Eine Verschwörungstheorie.

Dunkle Verschwörung hinter dem Preisverfall?

Andere wiederum sehen geopolitische Interessen als Grund für die saudischen Weigerung zum Markteingriff. Nikolaj Patruschew etwa, Chef des russischen Sicherheitsrates und Berater von Präsident Wladimir Putin, sieht Absprachen und eine dunkle Verschwörung hinter dem Preisverfall. Saudis und Amerikaner, so Patruschew, hätten gemeinsame Sache am Ölmarkt gemacht und versuchten, Russland mit der Preisflaute in die Knie zu zwingen. Tatsächlich hatten die Saudis bereits in den 1980er-Jahren einmal per Eingriff in den Ölmarkt versucht, einen missliebigen politischen Kontrahenten in die Knie zu zwingen: Saddam Hussein. Damals wurde der Ölpreis unter die Marke von zehn Dollar pro Barrel gedrückt. „Man muss zugestehen, dass es den Amerikanern damals gelungen ist, ihre Ziele zu erreichen“, zitiert die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ Patruschew.

Ähnlich argumentierte kürzlich auch Thomas Friedman, Kolumnist bei der „New York Times“. Saudi-Arabien und die USA würden mit Russland und dem Iran das Gleiche versuchen, was Washington einst mit der Sowjetunion gelang: Die Staaten mit niedrigen Ölpreisen in den Bankrott zu treiben.

Gründe, den Ölpreis als Waffe einzusetzen, gäbe es für die Golf-Monarchie viele. Der syrische Machthaber und russische Protegé Baschar Al-Assad ist den Saudis verhasst, mit Teheran wiederum liefert sich Riad seit Jahren einen Wettstreit um Macht und Einfluss in der Region. Und tatsächlich trifft sowohl Russen wie auch Iraner der Preisverfall hart. Um einen ausgeglichenen Haushalt zu erreichen, ist Moskau darauf angewiesen, dass ein Barrel um die 100 Dollar kostet.

Grund für den Preisverfall: Das Angebot ist groß, die Nachfrage gering

Befeuert wurde die Russland/Iran-Theorie von einem Statement, das US-Außenminister John Kerry kürzlich nach einem Besuch in Riad der amerikanischen Presse in den Notizblock diktierte. Die Saudis seien sich „sehr, sehr bewusst“ darüber, welchen Einfluss sie auf die Entwicklung des Ölpreises hätten, sagte Kerry – und lächelte. Saudi-Arabien selbst kann einen niedrigen Ölpreis vergleichsweise gut wegstecken: Das Wüstenland sitzt auf Reserven in Höhe von 900 Milliarden Dollar.

Dass den Saudis die Entwicklung an den Rohstoffmärkten daher nicht ungelegen kommt, ist wahrscheinlich. Dass das saudische Königshaus den ohnehin niedrigen Ölpreis ausnutzt, um Druck auf seine politischen Kontrahenten auszuüben, ebenfalls. Der rasante Preisverfall lässt sich damit allein aber nicht erklären. Wahrscheinlicher ist hingegen, dass ein einfacher Marktmechanismus greift: Das Angebot ist groß und die Nachfrage eher gering. Und diese Entwicklung dürfte sich auch noch eine Weile fortsetzen: Die weltweite Nachfrage nach Erdöl werde um 900 000 Barrel auf täglich 93,3 Millionen Barrel steigen, teilte die Internationale Energieagentur (IEA) am Freitag mit. Zuletzt war die IEA noch von 93,6 Millionen Barrel ausgegangen.

Mag es auch Zweifel an der Relevanz der einzelnen Faktoren für den Ölpreis-Verfall geben – Zweifel daran, wer davon profitiert, gibt es keine: der Westen und nicht zuletzt Deutschland. „Die Kaufkraft deutscher Unternehmen und Privathaushalte erhält durch den jüngsten Verfall des Ölpreises einen enormen Schub“, sagte Andreas Rees, Chefvolkswirt Deutschland der Unicredit, auf Anfrage. Sollte der Ölpreis auf dem aktuellen Niveau verharren, würde sich die Entlastung seit dem Höchststand vom Sommer auf rund 30 Milliarden Euro belaufen, glaubt Rees. Das wiederum entspräche einem Prozent des deutschen BIP. Kein Wunder also, dass die Unicredit mittlerweile davon ausgeht, dass sich die Konjunktur ab Jahresbeginn 2015 beschleunigen wird.

Johannes C. Bockenheimer

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