Sparen wie bei der Bahn: Öffentlicher Dienst schlägt Alarm wegen Personalmangel
Die Bahn ist kein Einzelfall. Auch bei der Polizei, in Kliniken, bei Feuerwehr und Verwaltungen fehlt nach Jahren des Sparens das Personal. Für die Bürger wird das allmählich gefährlich
Wählerisch kann die Deutsche Bahn jetzt nicht sein. Wer schon einmal in einem Stellwerk gesessen hat, mit Örtlichkeiten und Technik einigermaßen vertraut ist, darf zum Dienst kommen. Selbst Rentner versucht der Staatskonzern zu reaktivieren, wie ein Sprecher nun berichtete – Hauptsache, der Zugverkehr kommt wieder in Gang, nicht nur in Mainz. Bundesweit fehlen 1000 Fahrdienstleiter, hinzu kommen noch mindestens 800 Lokführer, schätzen die Gewerkschaften.
Der Engpass bei der Bahn ist kein Einzelfall. Überall im öffentlichen Bereich hat sich der Staat in den vergangenen Jahren zurückgezogen und beim Personal bis zur Schmerzgrenze gespart. Heute tun sich große Lücken auf, oft an entscheidenden Stellen – bei der Polizei, bei der Feuerwehr, in Schulen und Kitas, im Gesundheitssektor. Zehntausende Stellen müssten nach Ansicht von Gewerkschaften besetzt werden. Denn schon bald wird eine Pensionierungswelle die Reihen weiter lichten.
Der Engpass bei der Bahn ist kein Einzelfall, auch bei Polizei und in Kindergärten herrscht Personalmangel
Beispiel Polizei: „In den vergangenen Jahren hat es einen rasanten Kahlschlag gegeben“, sagt Rainer Wendt, der Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft. „10 000 Stellen sind in den vergangenen 15 Jahren bundesweit abgebaut werden, die müssten wieder aufgebaut werden“, sagte er dem Tagesspiegel. Doch danach sieht es nicht aus, vor allem nicht in Ostdeutschland: Dort sollen in den nächsten fünf Jahren Wendt zufolge noch einmal 9000 Stellen wegfallen. „Die Polizei zieht sich dort aus der Fläche zurück. Wir haben Sorge, dass sich andere Faktoren als Ordnungskräfte aufspielen, Rechtsextreme zum Beispiel.“
Auch in Sachen Bildung herrscht Mangel: Allein 34 000 Erzieher müssten zusätzlich in die Kindertagesstätten einrücken, heißt es bei der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Eltern haben nun zwar einen Rechtsanspruch auf eine Betreuung für ihre Kinder unter drei Jahren, doch der Staat kann dieses Versprechen vielerorts kaum erfüllen. Ausgerechnet die Kleinsten müssen dann große Gruppen und überfordertes Personal aushalten.
Bund, Länder und Kommunen haben in den vergangenen Jahren ihre Ausgaben gesenkt, wo sie nur konnten. Am einfachsten war das bei Angestellten und Beamten: Um fast ein Drittel ist der Personalbestand des Staates seit 1991 zurückgegangen. Schlank sollte das Gemeinwesen sein, das war die Maxime. Die Arbeitsdichte und der Stress haben so überall deutlich zugenommen. Flossen damals noch drei von zehn Euro der öffentlichen Etats in die Taschen des Personals, sind es heute nur noch 2,75 Euro. Angesichts der Schuldenbremse sieht es nicht so aus, als würde sich an dem Trend etwas ändern.
Überall im öffentlichen Dienst fehlt es an Mitarbeitern
Sogar beim Essen spüren die Bürger die Folgen des Spardiktats: Die Zahl der Lebensmittelskandale häuft sich, weil es an Kontrollen fehlt. „Um Irreführungen und Täuschungen aufzudecken, bräuchten wir mindestens 1200 bis 1500 zusätzliche Kollegen“, sagt Martin Müller, Vorsitzender des Bundesverbandes der Lebensmittelkontrolleure. In Berlin etwa sei ein einziger Kontrolleur für bis zu 1200 Betriebe zuständig. „Da können wir einfach nicht mehr den nötigen Druck machen. So ist der nächste Lebensmittelskandal programmiert“, befürchtet Müller.
In den Krankenhäusern sieht es nicht besser aus. Bundesweit müssten 162 000 Kräfte eingestellt werden, urteilt die Gewerkschaft Verdi. 70 000 Stellen davon entfallen auf das Pflegepersonal. Doch die Jobs sind wenig attraktiv. Der Mangel sei im vergangenen Jahrzehnt stetig gewachsen, heißt es bei Verdi, und vor allem bei kommunalen Trägern sei es eng. Das bedeutet eine düstere Zukunft: Das Durchschnittsalter des Medizinpersonals liegt schon bei 47 Jahren. Nicht anders sieht es bei Fach- und Hausärzten aus: Zwischen 2010 und 2020 werden nach Prognosen der Bundesärztekammer fast 53 000 das Pensionsalter erreichen. „Es ist schon fast sicher, dass wir bei der Versorgung in der Fläche Engpässe bekommen werden“, sagt Michael Vogt, Hauptgeschäftsführer des Hartmannbundes.
Der Senat in Berlin hat seit der Wende die Zahl der öffentlichen Bediensteten halbiert
Das Problem mit der Demografie ist in Berlin bestens bekannt. Seit der Wende halbierte der Senat die Zahl seiner Bediensteten auf nun noch gut 105 000 Stellen. Folge: Das Durchschnittsalter liegt bereits bei 50 Jahren. Bis 2018 wird jeder vierte Beschäftigte im öffentlichen Dienst in den Ruhestand gehen. Schon jetzt sei das Personal so knapp, dass etwa die Feuerwehr immer länger brauche, bis sie am Einsatzort eintreffe, heißt es bei den Gewerkschaften. Bei jedem zweiten Einsatz dauere es länger als acht Minuten.
Doch woher soll das Geld für neues Personal kommen? Thomas Eigenthaler wüsste es. Er leitet die Deutsche Steuergewerkschaft. „Jeder neu eingestellte Finanzbeamte bringt ein Vielfaches dessen ein, was er kostet“, sagt er. Ein Betriebsprüfer im wirtschaftsstarken Bayern etwa erhöhe die Steuereinnahmen um mindestens 1,5 Millionen Euro im Jahr, ein Fahnder um eine Million. Doch kaum ein Finanzminister lässt einstellen. „Wir bräuchten im Minimum 11 000 bis 15 000 neue Leute“, fordert Eigenthaler. Wer bei der Einnahmen-Verwaltung spare, spare auch bei den Einnahmen. Was sich auf dem Mainzer Bahnhof abspiele, geschehe in den Finanzämtern jeden Tag. „Wir haben ein Dauer-Mainz – nur interessiert sich dafür niemand.“
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