Deutsche Staatsanleihen: Nur noch Minuszinsen - der Anleger zahlt drauf, warum?
Wer derzeit deutsche Staatsanleihen kauft, zahlt drauf, statt daran zu verdienen. Warum das so ist und worauf Käufer achten sollten. Eine Analyse.
Es ist eine verrückte Welt. Angesichts von Brexit und Konjunktursorgen machen Anleger derzeit einen Bogen um Aktien und flüchten in vermeintlich sicherere Papiere. Zum Beispiel in deutsche Staatsanleihen. Die sind inzwischen so begehrt, dass der Bund bei einer Auktion zehnjähriger Staatspapiere am Mittwoch einen Minuszins von 0,05 Prozent durchsetzen konnte. Das heißt: Wer in diese Papiere investiert und dem Staat so sein Geld leiht, bekommt dafür keinen Zins – im Gegenteil, er zahlt auch noch drauf. Der Bund verdient also Geld mit dem Schuldenmachen. Auch die Rendite der Staatsanleihen, die bereits auf dem Markt sind, ist derzeit im Minus. Kurz vor Redaktionsschluss lag sie bei 0,068 Prozent. Eine solche Lage gab es schon mal. Im Juni 2016 lag sie bei minus 0,13 Prozent.
Es zeigt sich, dass einige, vor allem institutionelle Anleger wie Fonds und Versicherungen, um nahezu jeden Preis ihr Geld in einen sicheren Hafen bringen wollen oder bringen müssen. Kurzfristiger orientierte Anleger könnten mit den Käufen auch auf einen noch tieferen Rückfall in negative Sätze hoffen, denn er würde die Kurse der Anleihen weiter treiben und ihnen damit Gewinne verschaffen.
Einige institutionelle Anleger oder auch Anbieter passiver Fonds, die beispielsweise den Gesamtmarkt an Staatsanleihen in der Eurozone widerspiegeln, sind zudem gezwungen, auch deutsche Papiere zu kaufen, unabhängig von den Renditen. So hält etwa der ishares core Euro Government Bond aktuell knapp 17 Prozent in deutschen Staatsanleihen, darunter beispielsweise eine 2020 fällige Staatsanleihe, die 2010 mit einem Zinskupon von 2,25 Prozent emittiert wurde, inzwischen aber eine Rendite von minus 0,58 Prozent aufweist. Je nach Kaufdatum profitieren die großen Fonds und Anleger dabei von einem früheren Kaufdatum, also einem womöglich günstigeren Einstiegskurs und relativ hohen Kupons.
Bei dem ishares-Produkt ist dennoch zuletzt wenig hängengeblieben: auf Jahressicht 1,7 Prozent (per Ende Februar). Damit war trotzdem ein Quäntchen mehr als der Inflationsausgleich drin, denn die Preissteigerung lag im Februar bei 1,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat. Ob die Käufer der neuen Bundesanleihe mit minus 0,05 Prozent Zins auf Kursgewinne hoffen können, hängt vor allem von der Konjunktur ab. Kühlt sie weiter ab, dann könnten die Renditen weiter ins Negative schlittern.
WIE ES BEI US-BONDS AUSSIEHT
Deutlich höhere Erträge lieferten zuletzt US-Staatsanleihen. Mit Laufzeiten von sieben bis zehn Jahren ließen sich auf Jahressicht gut 14 Prozent verdienen. Anleger profitierten dabei von der Ankündigung der US-Notenbank, die Zinszügel vorerst nicht weiter anzuziehen: Weil der Markt mittelfristig eher fallende Sätze erwartet, kaufen die Anleger aktuell noch gut verzinste Anleihen und treiben damit die Kurse, bei sinkenden Renditen. Warf eine zehnjährige US-Anleihe im vergangenen Herbst noch knapp 3,3 Prozent ab, so sind es inzwischen nur noch 2,37 Prozent. Gleichzeitig ist der Zinsmarkt in den USA „invertiert“, das heißt auf den Kopf gestellt: Erstmals seit zwölf Jahren bringen kürzere Laufzeiten höhere Renditen als längere. So rentieren Papiere mit Laufzeiten zwischen einem Monat und einem Jahr zwischen 2,46 und 2,43 Prozent, also etwas höher als Zehnjährige. Das Problem: Ausnahmslos jeder Rezession ging in der Vergangenheit eine solche Zinsinversion voraus. „Die Bondmärkte ähneln derzeit einer laut dröhnenden Sirene, die Optimisten zur Räson bringen soll“, ließ JP Morgan gerade wissen. Für Anleger gilt: Da in einer Rezession oder auch in einer schwachen Konjunkturphase die Zinssätze sinken, steigen die Kurse alter Anleihen, die noch höher verzinst sind. Der Anleger kann also von solchen Zinstrends profitieren, muss aber auch bedenken, dass die Kursgewinne mit Anleihen nur während der Laufzeit, nicht aber am Ende zur Tilgung anfallen. Zudem trägt der Anleger mit US-Anleihen ein Währungsrisiko. Einige aktive wie passive Fonds bieten US-Anleihen jedoch auch in einer währungsgesicherten Euro-Version an.
WIE ES IN DER EUROZONE WEITERGEHT
In der Eurozone ist die Lage eine völlig andere. Während die US-Notenbank die Zinswende bereits vor bald vier Jahren eingeleitet und seither acht Mal die Sätze angehoben hat, liegt der Beginn des letzten größeren Zinserhöhungszyklus in der Eurozone bald 15 Jahre zurück. 2011 wagte die Europäische Notenbank nur zwei Zinsschritte nach oben, um dann gleich wieder Richtung null zu sinken, wo die Sätze nun seit Jahren verharren. Große Anleger und Banken zahlen Strafzinsen, ebenso wie Anleihekäufer. Gerade eben gaben die Notenbanker zudem bekannt, dass eine Zinswende frühestens 2020 starten könne. Ob es dazu kommen wird, hängt auch hier von der Entwicklung der Konjunktur ab.
Sorgen bereiteten den Anlegern zuletzt eine Vielzahl an gesenkten Gewinn- und Wirtschaftsprognosen sowie die Zahlen des Wirtschaftsinformationsdienstes Markit, die vor allem für die deutsche Industrie sehr negativ ausgefallen sind. Optimisten gehen umgekehrt davon aus, dass die aktuellen Schwächeanfälle nur ein temporäres Phänomen sind und die Delle 2020 wieder ausgebügelt ist.
Gerade für Anleihekäufer bedeutet dies: die Unsicherheit ist sehr hoch. Legt die Konjunktur wieder zu und kommt es zur Zinswende, würden alte Anleihen mit Mini-, Null- oder Negativ-Zinsen an Wert verlieren und müssten, um den Einsatz zurückzubekommen, bis zur Endfälligkeit gehalten werden. Schwächelt die Konjunktur dagegen weiter, dann könnten die Kurse zwar zulegen. Allerdings bliebe die Frage: Wer wird dauerhaft Anleihen mit Negativrenditen kaufen?
WIE ES IN ANDEREN LÄNDERN AUSSIEHT
Ähnlich ist die Lage außerhalb von Deutschland nur in der Schweiz, wo sogar 15-jährige Staatspapiere negativ verzinst sind. Überall sonst in Europa erhalten Käufer langlaufender Staatsanleihen weiter positive Renditen, die allerdings unter der Inflationsrate liegen. Kurzläufer sind umgekehrt negativ verzinst, ob in Frankreich, den Niederlanden, Spanien oder sogar Italien. Ein realer Gewinn ist also nirgends zu erzielen. Mit zwei Ausnahmen: Italien und Griechenland. Hier erhalten Anleger für zehn Jahre 2,5 Prozent und 3,77 Prozent. Noch höhere Sätze zahlen nur wirtschaftliche Risikokandidaten wie Rumänien (4,8 Prozent), Island (4,78), Russland (8,2), die Ukraine (17,1) und das zuletzt wieder sehr schwache Hochinflationsland Türkei mit 17,8 Prozent.
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