Zwei Jahre nach dem Unglück in Bangladesch: Noch immer sind nicht alle Textilfabriken sicher
Am 24. April 2013 starben beim Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch 1137 Menschen. Seither haben Unternehmen Manches verändert. Aber noch nicht genug.
Khadija Begum nimmt ihre Schutzmaske ab, stoppt ihre Nähmaschine. „Seit zweieinhalb Jahren arbeite ich hier“, sagt die 21-jährige Mutter von zwei Kindern. Sie sitzt im vierten Stock der Fabrik von Ashique Dress Design Ltd im Nordwesten von Dhaka, der Hauptstadt von Bangladesch. Die junge Frau näht Kinder-T-Shirts für eine niederländische Modekette. Sie macht keinen unzufriedenen Eindruck. Bis zu 9.000 Taka bringt sie je nach Überstunden im Monat nach Hause, umgerechnet etwa 100 Euro. „Hier werde ich besser bezahlt als in der anderen Fabrik. Und das pünktlich.“ Von acht bis 17 Uhr sitzt sie an ihrer Maschine, mit einstündiger Mittagspause, manchmal auch bis 19 Uhr. 20 Tage Urlaub hat sie im Jahr.
An der Produktionslinie ein paar Meter daneben stapeln sich blaue Kinderhosen für H&M. Sathi Athker schließt an ihrer Maschine die Naht am Hosenbein. Seit vier Jahren ist die 25-Jährige bei Ashique. „Hier gibt es immer Arbeit und die Hälfte des Monats Überstunden.“ Pro Überstunde – zwei pro Tag sind erlaubt – erhält sie 40 Taka extra, rund 50 Cent. „So komme ich auf 7.000 Taka. Das ist in Ordnung. Mehr wäre natürlich besser.“ Sie lächelt.
Von 34 Mängeln sind 15 beseitigt
Für die beiden Frauen ist noch etwas wichtig. Die Arbeit in ihrer Fabrik ist sicherer geworden, die sozialen Umstände besser. „Seit dem Unglück von Rana Plaza hat sich vieles verändert“, sagt Sathi. Am 24. April 2013 waren beim Einsturz eines neunstöckigen Gebäudes mit mehreren Textilfabriken 1 137 Menschen umgekommen, rund 2 400 wurden zum Teil schwer verletzt.
Die Ashique-Fabrik – 3.000 Mitarbeiter, davon 65 Prozent Frauen – ist heute ein Vorzeigebetrieb. Auch hier gab es große Mängel, räumt Direktorin Brig Ahsan ein. Was Magnus Schmid von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) bestätigt, die die Reise nach Bangladesch für die Besucher organisiert hat. Experten von Accord – eine Vereinigung auch deutscher Textilfirmen und Discounter wie Adidas, Aldi, Esprit, Karstadt, Kik, Lidl, Puma, S. Oliver oder Tchibo – und von bangladeschischen Gewerkschaften haben die achtstöckige Ashique-Fabrik im Januar 2014 mit Unterstützung der GIZ auf Baumängel, Feuersicherheit und Stromversorgung untersucht. Das Ergebnis: 34 gravierende Mängel. Sechs Monate später waren 15 beseitigt. Betonpfeiler wurden verstärkt, Stolperstellen im Boden beseitigt, der Generator und der Boiler zur Dampferzeugung für die Bügeleisen in eigene Gebäude ausgelagert. Vorher stand der Boiler zwischen den Nähmaschinen. Bei einer Explosion hätte es Tote geben können. Umgerechnet 200.000 Euro hätten die Maßnahmen gekostet, sagt Fabrik-Manager Ahsan. Sie sind notwendig, will er weiter Aufträge von H&M, Lidl oder Zara bekommen. Genau wie eine Gesundheitsstation und angemessene Löhne. Man zahle mindestens 75 Euro, im Schnitt 100, versichert er.
Vier Millionen Menschen arbeiten in den Fabriken
Ashique ist eine von rund 1 100 Fabriken, die 2014 überprüft wurden. „Rana Plaza war ein Wendepunkt“, sagt GIZ-Experte Schmid. Der Einsturz und das Feuer in der Tazreen-Fabrik wenige Monate davor, bei dem mehr als 100 Menschen starben, hätten Regierung, Fabrikbesitzer, Modefirmen und Handelsketten in Europa und Amerika aufgerüttelt. „Auch wenn noch viel zu tun ist.“
Vier Millionen Menschen arbeiten in Bangladesch in rund 5.000 Textilfabriken – großen mit Tausenden von Beschäftigten bis kleinen mit einem Dutzend. Genau weiß das niemand: Nur 3.500 Firmen sind registriert. Von etwa 1.500 ist nicht einmal die Adresse bekannt. Sie agieren unter bedenklichen Verhältnissen, ganz zu schweigen vom gesetzlichen Mindestlohn von rund 50 Euro, mutmaßt Schmid. 2014 haben sich GIZ-Experten 25 Fabriken genau angeschaut: Vier hatten Aufträge an nicht registrierte Firmen weitergegeben. Dies ist ein zentrales Problem: Es sei kaum erkennbar, sagt Schmid, wann Aufträge weitergereicht würden. „Es mangelt an Transparenz.“
Mit einem Volumen von 25 Milliarden Dollar ist Bangladesch nach China unverändert der weltweit größte Textil-Exporteur. Nach Deutschland gehen jedes Jahr T-Shirts, Hemden, Hosen, Wäsche und Jacken für rund vier Milliarden Euro.
65 Fabriken wurden für immer geschlossen
Seit 2009 bemüht sich die GIZ im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und der Stiftung der C&A-Modehauskette um bessere Sozial- und Umweltstandards. 16 Millionen Euro hat das BMZ für die Zeit von 2009 bis 2017 zugesagt, weitere 2,5 Millionen kommen von der C&A-Stiftung. In 730 Fabriken wurden Arbeitsbedingungen und Sicherheit verbessert, 10.000 Beschäftigte und Manager wurden in Brand- und Arbeitsschutz ausgebildet. Die Zahl der staatlichen, auch von der GIZ geschulten Inspektoren, steigt bis Ende 2015 auf 320. Vor Rana Plaza waren es 30. Drei Mal im Jahr würden die Fabriken überprüft. „Mindestens einmal kommen wir unangemeldet“, versichert Syed Ahmed, Chef der staatlichen Inspektoren. 65 Fabriken wurden 2014 wegen schwerer Mängel geschlossen.
Viele Arbeiterinnen wissen nicht, welche Rechte sie haben
Nazma Akter steht zwischen gut gelaunten Näherinnen im Frauen-Café im Zentrum von Dhaka. Die Frauen sind von der Arbeit gekommen, vergnügen sich mit einem Brettspiel. Immer wieder brandet Applaus auf, begleitet von schrillem Geschrei. Nicht, weil eine der Frauen eine Sechs gewürfelt, sondern weil sie richtig geantwortet hat. Bei Ludu, dem Brettspiel, wird bei jedem Zug ein Kärtchen mit einer Frage zu den Rechten der Frauen und zu den Fabriken gezogen: Wie ist ihr Urlaubsanspruch, was muss für Überstunden gezahlt werden, wie steht es um den Mutterschutz, welche Chemikalien sind gefährlich? „Das stärkt das Selbstbewusstsein der Frauen und ihre Position am Arbeitsplatz“, sagt Akter, Präsidentin der Textil-Arbeiter-Gewerkschaft SGSF und Generalsekretärin der Away-Stiftung, die sich seit Jahren für die Näherinnen einsetzt. „Seit Rana Plaza werden die Frauen gehört. In 2.000 Fabriken gibt es heute Komitees aus Management und Beschäftigten, in denen Verbesserungen diskutiert und beschlossen werden.“ Mittlerweile wurden mithilfe der GIZ 45 Frauencafés eröffnet. Für 100.000 Arbeiterinnen sind sie eine Anlaufstelle. Akter, die schon mehrfach in Deutschland war, beklagt gleichwohl anhaltende Missstände: Zu viele Überstunden, sexuelle Anspielungen, Behinderung von Gewerkschaften.
Der Mindestlohn reicht kaum
Atiqul Islam, Chef des Textilunternehmer-Verbandes und einer der mächtigsten Männer des Landes, respektiert Akter. Das war nicht immer so. Er betont nicht nur die Bedeutung der Frauen für seine Branche, sondern die Bedeutung des Jobs für deren Würde und Unabhängigkeit. Dass der Mindestlohn von 50 Euro nur zur Not für eine Person reicht, sagt er nicht. Für eine vierköpfige Familie liegen die Lebenshaltungskosten in Dhaka bei etwa 160 Euro. Immerhin: Ab 2015 ist den Textil-Beschäftigten jedes Jahr eine Lohnerhöhung um mindestens fünf Prozent garantiert. Rana Plaza, sagt Islam, sei auch für die Fabrik-Besitzer ein Weckruf gewesen. Die Arbeit von Accord und Alliance, die es so nur in Bangladesch gebe, zahle sich aus. „Nur zwei Prozent der registrierten Fabriken gelten heute noch als unsicher.“ Überprüfen lässt sich das nicht.
Islam und Akter appellieren an die Europäer: Haltet an unseren Fabriken fest, geht nicht in andere Länder. Das schade vor allem den Frauen in Bangladesch, genau wie ein Boykott der in ihrem Land genähten Textilien. Akter sagt aber auch: „Die Menschen in den reichen Ländern sollen bewusster kaufen. 3,50 Euro für ein T-Shirt ist nicht fair.“
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