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In Jeans. Michael Halbherr war Geschäftsführer bei Gate 5 bis Nokia den Berliner Kartendienstleister aufkaufte.
© Thilo Rückeis

Nokia-Vorstand Halbherr: "Nichts ist umsonst"

Am Donnerstag legt Nokia Quartalszahlen vor. Zuletzt war das für die Finnen kein Vergnügen. Michael Halbherr sitzt seit 2011 im Vorstand. Mit dem Tagesspiegel spricht er über die übermächtige Konkurrenz, Berlin und Imageprobleme.

Herr Halbherr, als Sie bei Nokia eingestiegen sind, war das Unternehmen Weltmarktführer. Heute sieht das ganz anders aus. Wie gehen Sie damit um?

Da muss man differenzieren. Als wir, Gate 5, im Jahr 2006 zum Unternehmen gekommen sind, waren wir knapp 40 Leute im Bereich Karten und Navigation. Heute sind wir 6500 Leute und Weltmarktführer. Im Geschäft mit Mobiltelefonen, also bei Geräten unter 100 Dollar, ist Nokia ebenfalls Weltmarktführer. Bei den Smartphones stehen wir an einem Wendepunkt. Seit zwei Jahren bauen wir das Geschäft um. Jetzt bringen wir die neuen Lumia-Modelle mit dem MicrosoftBetriebssystem auf den Markt. Das Lumia 920 wird heute als das innovativste Smartphone angesehen – auch nach dem Launch des iPhone 5.

Viele sagen, das ist die letzte Chance.

Ich schreibe die Schlagzeilen nicht.

Stimmt es also nicht?

Nein, wie gesagt: Nokia ist in vielen Bereichen sehr gut aufgestellt. Und um bei Smartphones wieder an die Weltspitze zu kommen, brauchen wir gute Produkte. Und die haben wir jetzt.

Die Geschäftszahlen sehen aber immer noch finster aus und die Marktanteile schrumpfen weiter.

Die Zahlen hinken immer hinterher. Man hat lange noch gut über Nokia geschrieben, da hat es schon klar Probleme gegeben. Man muss auf die Produkte schauen. Denken Sie an die Historie von Apple: Es hat nach Steve Jobs Rückkehr drei Jahre gedauert, bis der iPod kam und sechs Jahre, bis sich der Aktienkurs bewegt hat. Nokia ist heute ein ganz anderer Konzern als vor zwei Jahren. Wir sind fokussierter und schneller geworden.

Sie sagen, Sie sind Weltmarktführer bei Karten und Navigation. Nimmt das überhaupt jemand wahr?

Neun von zehn Autos in der Welt, die ein Navigationssystem haben, fahren nach unseren Karten. Das ist ziemlich gut. Aber da steht natürlich nicht Nokia drauf, sondern Navteq. Jetzt dringen wir mit unseren Karten ins Internet vor: Yahoo, Flickr, Microsoft und Amazon nutzen bereits unsere Plattform. Es werden noch mehr kommen. Wir haben die Plattform erst vor einem Jahr für Kunden außerhalb von Nokia freigegeben und fahren sie gerade hoch. Das wird unsere Sichtbarkeit erhöhen.

Sie haben 6500 Mitarbeiter, was machen die?

Wir haben drei Entwicklungsstandorte: Berlin, Boston und Chicago. Berlin ist der kreative Standort. Hier bauen wir die Plattform und die Anwendungen. In Chicago werden die Inhalte entwickelt, also das Kartenmaterial. In Boston arbeiten wir vor allem in den Bereichen Datenanalyse und Suche. An den drei Standorten haben wir zusammen 2500 bis 3000 Leute, 800 davon in Berlin. Die übrigen Leute arbeiten in den Ländern. Unsere Stärke ist, dass wir uns keine Satelliten- oder Flugbilder anschauen, sondern vor Ort mit unseren Autos fahren.

Haben sie beim Abfahren und Ablichten der Straßen auch so großen Ärger wie Google ihn hatte?

Probleme hat man, wenn man Dinge macht, die man nicht tun sollte. Natürlich muss der Schutz der Privatsphäre gewahrt bleiben. Aber man muss auch aufpassen, dass ein übertriebener Rechtsschutzgedanke Innovationen nicht behindert. Wir hatten den Ärger nicht, weil wir sehr transparent waren. Und wo es geht, arbeiten wir mit anonymisierten Daten.

Aber nicht immer?

Wenn der Nutzer seine persönlichen Daten angibt, dann weiß er das auch. Wir werden Ihre Daten für nichts anderes verwenden als das, wozu Sie eingewilligt haben. Ein Beispiel: Wir werden keine Daten über das Geschwindigkeitsverhalten sammeln und diese Daten dann der Polizei geben. Konkurrenten von uns haben das schon getan.

Wer denn?

Das sage ich nicht. Es war auch nicht auf individueller Basis, sondern in der Art: An dieser Ecke fahren die meisten zu schnell. Aber das ist nicht unsere Idee.

Was genau wird in Berlin gemacht?

Zum Beispiel das Routing oder die Verkehrsinfos für die Kartendienste von Yahoo, Flickr oder Maps.Bing.com kommen aus Berlin.

All diese Dienste sind kostenlos, genau wie die Navigation auf Nokia-Geräten. Dabei hat Nokia acht Milliarden Dollar für den Kartendienstleister Navteq bezahlt. Wie rechnet sich das?

Nichts ist umsonst. Wenn es für den Endnutzer kostenlos ist, heißt es nicht, dass niemand zahlt. Sie sagen ja auch nicht, ich kaufe ein Handy und das Display war umsonst, es ist dabei. Übrigens investiert Google ähnliche Summen wie wir.

Google finanziert seine Angebote durch Werbung. Und Sie?

Wir tun das zum Teil auch. Im Netz haben wir solche Modelle. Im Auto wird das aber nicht funktionieren. Wenn wir unsere Software an andere Firmen geben, dann bezahlen die natürlich dafür. Wir haben ganz klare Lizenzmodelle. Die Firmen können dann selbst entscheiden, wie sie damit Geld verdienen wollen.

Und wie geht das auf dem Handy?

Ohne eine Kartenanwendung können sie heute kein Handy mehr verkaufen. Daher war ja auch Apple bereit, viel Geld auszugeben und einen eigenen Dienst zu entwickeln. Kartenapplikationen sind ein Service, den Sie über Jahre weiterentwickeln müssen. Entweder Sie machen es selbst, so wie Google oder jetzt Apple, dann geben sie genauso viel Geld aus wie wir oder vermutlich mehr, weil sie viel aufzuholen haben. Oder Sie kaufen bei uns ein - für einen Bruchteil der Summe, weil wir ein Zulieferer sind und an viele Unternehmen verkaufen.

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Wie viel verkaufen Sie?

Schauen Sie sich unser Jahresergebnis an. Wir haben 2011 eine Milliarden Euro mit Karten umgesetzt. Die Mehrheit des Geschäfts machen wir nicht mit Nokia.

Was ist so schwierig an dem Geschäft?

Karten sind nicht gleich Karten. Es ist ein Unterschied, ob Sie darstellen, wo das nächste Restaurant ist, oder ob Sie für eine Autonavigation bis zu 200 Attribute pro Straßensegment anzeigen. Unser Fahrassistenzsystem zeigt mit extrem hoher Genauigkeit an, wie steil eine Straße nach oben geht und wie eng die Kurve ist. Daraus berechnen wir, wie schnell Sie fahren können.

Das klingt nach Rallyefahren.

Nein, das klingt nach Sicherheit. Sie bekommen automatisch ein Warnsignal, wenn Sie zu schnell sind. Wir haben tausende Server laufen, damit sie überall auf der Welt innerhalb von 200 Millisekunden eine Antwort bekommen. Das kostet extrem viel Geld. Wir sind das einzige Unternehmen weltweit, das die komplette Wertschöpfungskette abbildet: Sie können Rohdaten bei uns kaufen, unsere Plattform nutzen oder sich Anwendungen von uns entwickeln lassen.

Wie macht es Apple?

Apple hat aus verschiedenen Quellen die Daten zusammengekauft. Das Ergebnis sehen Sie: Man kann nicht einfach Daten zusammenmischen, über die man keine Kontrolle hat.

Wenn Sie Karten und Navigation so gut können, ist das vielleicht die Rettung für Nokia?

Wir sind ein Teil von Nokia, ein extrem wichtiger Teil. Wir bauen gerade eine Einheit auf, die ein eigenes Geschäft ist. Viele unserer Kunden sind Konkurrenten von Nokia. Wer weiß, vielleicht sind wir einmal mehr wert als andere Geschäftseinheiten von Nokia. Firmen müssen sich wandeln. Wenn wir bei ortsbezogenen Diensten Weltmarktführer sein wollen, müssen wir überall sein – eben nicht nur auf Nokia-Geräten.

Wie wollen Sie Ihre Position verteidigen?

Unsere Strategie ist klar: Wir bauen mobile Geräte, die die Umwelt verstehen. Ein Beispiel: Mein Handy weiß von meinem Kalender, wann ich zum Flughafen muss. Und wenn der Wetterdienst sagt, dass es regnet, dauert die Fahrt dahin meist 20 Minuten länger. Also sollte es mich besser ein bisschen früher wecken. An solchen Anwendungen arbeiten wir.

Woran noch?

Wir bauen weitere Partnerschaften auf, um neue Geschäftsmodelle zu integrieren. Zum Beispiel mit dem Schnäppchenportal Groupon: Wir können Groupon mitteilen, dass jemand in 14 Minuten am Nordbahnhof ankommen wird. Groupon weiß heute vielleicht, wo ein Kunde ist. Wir wissen aber, wohin er geht. Das ist viel interessanter. Dann kann Groupon vorab schon Werbung schicken.

Aber niemand möchte Werbung auf seinem Handy.

Nur wenn der Kunde keinen Nutzen darin sieht. Aber wenn ich von Berlin nach München fahre und das Navigationssystem weiß, wo ich zwischen 13 und 14 Uhr sein werde und dass ich Kinder habe, dann kann es mit eine Raststätte mit Spielplatz empfehlen.

Sie sehen da keine Probleme mit dem Datenschutz?

Es interessiert uns nicht, wohin und wie schnell Sie fahren, es interessiert uns, wie schnell alle im Durchschnitt auf einer Straße fahren. Das beschreibt Verkehr. Aber wenn Sie sich als Nutzer anmelden und wir wissen, dass Sie gern schnell fahren, werden wir eine Route für Sie finden, die Sie schneller auf die Autobahn bringt. Wie gesagt, wichtig ist, dass wir Ihre Daten nicht zweckentfremden.

Egal wie gut Ihr Dienst ist, Nokia gilt nicht als innovativ.

In Deutschland stimmt das vielleicht ein bisschen. Nokia, das ist das Handy vom Papa. Leute, die jung und cool sind, haben ein iPhone. Also müssen wir ein Gerät bauen, das cool ist. Und das tun wir jetzt. Wir müssen schneller, besser, innovativer sein – und das sind wir geworden. Wir haben die beste Displaytechnologie, mit Abstand die beste Kamera, die besten Karten und Navigation und vieles mehr. Wer sich die neuen Modelle anschaut, ist schnell überzeugt.

Sie haben das Imageproblem auch wegen der Schließung des Werks in Bochum.

Die Politik hat daraus ein Riesenthema gemacht. In Wahrheit ist es doch so, dass die meisten Hersteller nie ein Werk in Deutschland hatten. Und wir haben hier Arbeitsplätze aufgebaut – gerade in Berlin. Das sind keine Fabrikjobs, aber High-tech-Arbeitsplätze.

Wie sicher sind diese Arbeitsplätze?

Es liegt an uns, hier erfolgreich zu sein. Nokia hat in Berlin wesentlich dazu beigetragen, dass es weitere Ansiedlungen im Technologiebereich gibt. Kleine Firmen kommen und gehen, da ist nicht jedes erfolgreich. Das heißt, wenn Berlin erfolgreich sein will, brauchen wir mehr Firmen wie Nokia.

Werden Sie Berlin weiter ausbauen?

Wir wachsen, wenn wir Wachstum rechtfertigen können. Wo wir investieren hängt auch von der Qualität der Leute ab, die wir bekommen. Darum ist es so wichtig, dass sich weitere Technologiefirmen in Berlin ansiedeln.

Das Gespräch führte Corinna Visser.

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