Arbeitslosigkeit in Deutschland: Neues Nord-Süd-Gefälle
Am Arbeitsmarkt ist die Angleichung vorangekommen, doch jetzt tut sich eine neue Kluft auf. Und die meisten Arbeitslosen gibt es in Bremen.
Ein Vierteljahrhundert nach der Wende ist die Arbeitslosenquote in Ostdeutschland nach wie vor höher als in Westdeutschland – doch der Abstand verringert sich. Die Ausgangslage war damals auf dem ostdeutschen Arbeitsmarkt schlecht: Wegen des Zusammenbruchs der ehemaligen DDR-Wirtschaft ging schlagartig ein Großteil der Arbeitsplätze verloren. Viele Menschen fielen in kurzer Zeit aus einem System von Vollbeschäftigung in die Arbeitslosigkeit. 1993 lag die Quote im Osten bei 14,8 Prozent – und war damit fast doppelt so hoch wie im Westen mit 7,7 Prozent. Bis Mitte der 2000er Jahre verfestigte sich die Entwicklung: Gut ein Fünftel der Erwerbspersonen in den neuen Bundesländern waren 2005 arbeitslos. Im Westen waren es damals nur elf Prozent.
Dann folgte die Trendwende und die Arbeitslosigkeit ging zurück, im Osten stärker als im Westen. Nach den jüngsten Daten der Bundesagentur für Arbeit lag die Quote im September bundesweit bei 5,9 Prozent und war damit so niedrig wie seit 25 Jahren nicht. In den westdeutschen Ländern lag sie bei 5,4 Prozent, in den ostdeutschen Bundesländern bei 7,9 Prozent. Thüringen hat jetzt mit 6,2 Prozent (Juni 1993: 15,4 Prozent) eine niedrigere Arbeitslosenquote als Nordrhein-Westfalen mit 7,6 Prozent (Juni 1993: 9,3 Prozent). Und alle ostdeutschen Flächenländer haben derzeit eine niedrigere Quote als Bremen.
Aufholprozess noch nicht abgeschlossen
Eine vollständige Ost-West-Angleichung ist in absehbarer Zeit trotzdem unwahrscheinlich. „Im Vergleich zu den Anfangsjahren hat sich der Arbeitsmarkt im Osten verbessert, aber der Aufholprozess ist noch nicht abgeschlossen“, sagt Hans-Ulrich Brautzsch vom Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH). Ein Grund für die abnehmende Arbeitslosenzahl seit 2005 sei die generell gute Konjunktur. Dazu käme die demografische Entwicklung und die Abwanderung. Das heißt: alles in allem gibt es weniger Menschen, die einen Job suchen. Nach dem Fall der Mauer sind rund 1,8 Millionen aus dem Osten Deutschlands in den Westen gezogen oder in ein anders Land ausgewandert. Vor allem die Jüngeren, oftmals die Leistungsträger, suchten ihre Chancen woanders. Bis zuletzt blieb das so.
Seit drei Jahren kommen zwar mehr Menschen in das alte Gebiet der DDR, als dass sie gehen. Das betrifft aber nur größere, beliebte Universitätsstädte wie Leipzig, Dresden, Jena, Erfurt und Potsdam. Nicht das flache Land. Und ländliche Regionen nehmen im Osten vier Fünftel der Fläche ein. Die Hälfte der Ostdeutschen lebt dort. In Westdeutschland ist das Verhältnis Stadt-Land ausgeglichener. Es fehlen außerdem hochproduktive Branchen und Konzernzentralen, die Betriebe sind meist viel kleiner als im Westen. Von den 30 Dax-Konzernen hat keiner seine Zentrale in Ostdeutschland.
Lohnniveau niedriger - Lebenskosten auch
Vergleicht man das Lohnniveau, ist dieses im Osten geringer als im Westen. Michael Weber vom Münchener ifo Institut sagt allerdings: „Die Lohnlücke relativiert sich, weil das Preisniveau und die Mieten ebenfalls niedriger sind.“ Und während das Armutsrisiko in den neuen Bundesländern zwar höher ist, aber sinkt, steigt es in Westdeutschland an. Am stärksten war der Rückgang zuletzt in Brandenburg. Am schlechtesten schnitt Bremen ab, wo fast jeder Vierte von Armut bedroht ist.
Eine These des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) für die Zukunft lautet: Das bisher dominierende Ost-West-Gefälle weicht immer mehr einem Nord-Süd-Gefälle. In einem umfangreichen Studienband heißt es, dass der Arbeitsmarkt im Osten wie im Westen in den wirtschaftsstarken südlichen Regionen eine tendenziell bessere Verfassung aufweise als in den nördlichen Regionen. Für beide Landesteile gelte gleichermaßen, dass sich die starken Regionen von dem Gros der schwächeren Regionen absetzen würden. Was zu einer neuen Polarisierung in Deutschland führen könnte.