Traditionsunternehmen in Berlin: Neuer Bayer-Chef lässt Schering verschwinden
Der neue Bayer-Chef Dekkers baut den Bayer-Konzern zügig um – und verprellt damit Belegschaft und Politik. Am Standort in der Hauptstadt fühlen sich viele Mitarbeiter der Schering-Tradition verbunden.
Berlin - Dort, wo der Name des Traditionsunternehmens Schering prangte, ist nur noch ein Schatten zu sehen. Am Hauptgebäude von Bayer Schering Pharma in der Müllerstraße in Berlin- Wedding wurde am Dienstag der Schriftzug abmontiert. Ein historisches Datum. Bald, wenn die neuen Schilder hängen, wird nichts mehr auf das vor 140 Jahren gegründete Unternehmen hinweisen, das vor dem Verkauf an Bayer der einzige und letzte Dax-Konzern Berlins war. Es ist der Vollzug der Entscheidung des neuen Konzernchefs Marijn Dekkers, den Namen Schering zu tilgen und stattdessen die Marke Bayer zu stärken. Das Pharmageschäft geht in der Gesundheitssparte Bayer Health Care auf.
In Berlin hat der erst vor gut drei Monaten ins Amt gekommene Dekkers damit die Belegschaft vergrätzt, noch bevor sie ihn richtig kennenlernen konnte. Denn am Standort in der Hauptstadt, wo 5000 Leute für Bayer Medikamente erforschen und produzieren, fühlen sich viele Mitarbeiter der Schering-Tradition verbunden. Seit 2006 gehört das Berliner Pharmaunternehmen zu Bayer. Bei der Übernahme wurden 1200 Mitarbeiter entlassen, der Name Schering blieb und zunächst kehrte Ruhe ein. Diese Ruhe hat Dekkers nun gestört. Der Betriebsrat sprach nach der Ankündigung, den Namen zu ändern, von einem „Schlag ins Gesicht“.
Dekkers beließ es nicht dabei. Innerhalb weniger Wochen nach seinem Amtsantritt legte er sich gleich ein zweites Mal mit der Berliner Belegschaft an: Bayer verkündete, dass in der Gesundheitssparte 700 Stellen abgebaut werden. Wie viele davon in Berlin wegfallen, weiß noch keiner. Als Dekkers sich per Videobotschaft an die Belegschaft wandte, um seinen Sparkurs zu erläutern – 4500 Arbeitsplätze werden bis Ende 2012 weltweit gestrichen, 1700 davon in Deutschland – sollen die Mitarbeiter ihren neuen Chef sogar ausgebuht haben.
Zwar hatte sich Dekkers vor dem Amtsantritt zurückhaltend gegeben, offen, neugierig und mit dem Willen, den fast 150 Jahre alten Bayer-Konzern und seine Strukturen verstehen zu lernen. Wirklich überraschen dürfte der fulminante Start des Niederländers aber niemanden.
Dekkers hat sich in seiner Karriere als Sanierer einen Namen gemacht. Der Chemiker, der auch einen amerikanischen Pass besitzt, ging in die USA, machte dort Karriere, zunächst bei General Electric. Zuletzt baute er den Laborgerätehersteller Thermo Electron radikal um und strich auch dort Tausende Stellen. Es war klar, worauf Bayer sich eingelassen hatte. Schon bei der Verkündung der Zahlen zum dritten Quartal hatte Dekkers gesagt, Bayer müsse schlanker werden, besonders in der Verwaltung. Die Skepsis der Belegschaft gegenüber dem ersten Chef, den Bayer von außen holte, hat er damit bestätigt.
Wenn auch nicht überraschend, so scheint die eilige Sanierung nicht zwingend zu sein. Der ehemalige Vorstandsvorsitzende Werner Wenning, der einst als Lehrling bei Bayer angefangen hatte, präsentierte in seiner letzten Jahresbilanz gute Zahlen, Bayer war besser durch die Krise gekommen als viele andere. Nun beflügelt der Aufschwung das Kunststoffgeschäft. Am Dienstag verkündete Bayer, dass es seine Geschäftsziele für das vergangene Jahr aller Voraussicht nach erreicht hat. Doch während viele Unternehmen Lohnerhöhungen vorziehen, streicht Dekkers Stellen. „Die Notwendigkeit dieser Sparpolitik liegt nicht unbedingt auf der Hand“, sagt selbst Karl-Heinz Scheunemann, Analyst bei der Landesbank Baden-Württemberg. Aber die Börse bewertete den Sparkurs des neuen Chefs positiv.
Dekkers will durch die Umstrukturierung, die zunächst einmal Kosten von einer Milliarde Euro verursachen wird, ab 2013 jährlich 800 Millionen Euro einsparen. Die Hälfte davon soll reinvestiert werden, in Innovationen. „Die Investitionen in Innovation sind angesichts der Marktsituation und der Chancen aus der Pipeline der richtige Schritt“, sagt Scheunemann. Bayer kämpft besonders im Pharmageschäft in den USA mit günstigeren Nachahmerpräparaten, sogenannten Generika. Im zweiten und dritten Quartal gingen die Umsätze der Pillen der Yaz-Gruppe zweistellig zurück. Es ist eine von Bayers stärksten Medikamentengruppen. Ähnliche Probleme hat der Konzern auch in der Pflanzenschutzsparte.
Aus Sicht der Analysten gibt es ein weiteres Argument, mehr Geld in Innovation zu stecken. „Gerade im Pharmageschäft ist es wichtig, Produkte rasch auf den Markt zu bringen, um eine möglichst lange Schutzfrist zu haben – zum Beispiel den Gerinnungshemmer Xarelto“, sagt Scheunemann. Weil der Patentschutz dann im vollen Umfang bestehe, könne ein Markteintritt ein halbes Jahr früher Hunderte Millionen Euro Umsätze extra bringen. Experten trauen Xarelto jährliche Umsätze von zwei bis fünf Milliarden Euro zu. Den gesamten Markt für neue Mittel zur Schlaganfallprävention schätzen sie auf bis zu 20 Milliarden Euro. „Bayer entwickelt viele neue Mittel mit guten Chancen. Wenn alle den Markt erreichen, könnte sich der Pharmaumsatz des Konzerns in den nächsten zehn Jahren nahezu verdoppeln“, sagt Scheunemann.
Neben dem Abbau sollen im Rahmen der Umstrukturierung auch 2500 neue Arbeitsplätze geschaffen werden – vor allem in den Schwellenländern. „Die Investitionen in die aufstrebenden Märkte muss man positiv bewerten“, sagt Analyst Scheunemann. Hier würde das stärkste Umsatzwachstum generiert. „Bayer hat eine gute Startposition, weil der Konzern in den Schwellenländern bereits viele Strukturen aufgebaut hat.“ Besonders in China habe Bayer viel investiert und kleinere Firmen gekauft.
Der Kurs von Dekkers mag sinnvoll sein, doch mit den Stellenstreichungen hat er nicht nur die Mitarbeiter, sondern auch die Politik verprellt. In NRW mahnte die Landesregierung Verantwortung für die Beschäftigten an, da Bayer auch mit öffentlichen Mitteln die Krise überwunden hat. Auch in der Hauptstadt löste die Ankündigung Unmut aus. „Wir bedauern die Entscheidung zum Personalabbau und erwarten, dass die Auswirkungen auf den Standort Berlin möglichst gering gehalten werden“, sagte der Berliner Wirtschaftssenator Harald Wolf (Linke) dem Tagesspiegel. Zudem erwarte er, dass der Personalabbau in sozialverträglichem Rahmen geschehe und nicht in besonderem Maße zulasten der befristet Beschäftigten gehe.
Die Sorge, dass die Berliner Produktion geschlossen werden könnte, ist nach der Standortgarantie von Dekkers zunächst vom Tisch. Und auch die Struktur von Bayer Schering Pharma soll trotz der Namensänderung unangetastet bleiben. Das Pharmageschäft wird zwar öffentlich nicht mehr so genannt, die juristische Person bleibt aber bestehen – und damit zunächst auch die Machtverhältnisse.
Ob Dekkers nun auch an der Grundstruktur des Konzerns rüttelt? In den vergangenen Monaten hatte es immer wieder Spekulationen über den Verkauf der Kunststoffsparte gegeben. Gerade sie bringt aber derzeit das größte Wachstum. Analyst Scheunemann rechnet nicht mit solchen großen Veränderungen. Dekkers gehe die strukturellen Probleme im Konzern an, um das organische Wachstum zu stärken, sagte er. „Große Akquisitionen erwarte ich in den nächsten Jahren aber nicht.“