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Schwere Vorwürfe. Hat Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) den Untersuchungsbericht zum Diesel-Abgasskandal geschönt?
© dpa

Unvollständiger Untersuchungsbericht: Neue Vorwürfe im Abgas-Skandal

Das Bundesverkehrsministerium soll konkrete Hinweise, dass nicht nur Volkswagen bei der Abgasreinigung trickst, unter Verschluss halten.

Wenn in der Automobilindustrie von „Thermofenstern“ die Rede ist, hat dies nichts mit winterlicher Wärmeisolierung zu tun. Es geht um die Abgasreinigung und die gebräuchliche Praxis der Hersteller, diese Reinigung ab einer bestimmten Außentemperatur auszuschalten und mehr Abgase in die Umwelt zu blasen. Bei dem einen Autobauer schaltet sie sich bei 17 Grad aus, bei einem anderen erst bei zehn Grad. Dabei testen die Hersteller offenbar nicht nur die gesetzlichen Grenzen aus, sie überschreiten sie sogar. Zumindest legen dies unabhängige Gutachten für Untersuchungsberichte des Bundesverkehrsministeriums nahe, die – so der Vorwurf der Opposition – nur in geschönter Form der Öffentlichkeit präsentiert werden. Am Donnerstag hatte die EU-Kommission in diesem Kontext ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eröffnet.

Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) als oberste Aufsichtsbehörde habe Einschätzungen von Fachleuten, die illegale Abschalteinrichtungen in Autos vermuteten, aus einem Untersuchungsbericht „einfach tilgen“ lassen, sagte am Freitag der Grünen-Verkehrspolitiker Oliver Krischer. Das Bundesverkehrsministerium wies die Vorwürfe zurück.

Zweifel am gesetzeskonformen Verhalten anderer Hersteller

Möglich ist das Abschalten der Abgasreinigung in einer rechtlichen Grauzone: Das Gesetz erlaubt die Abschaltung in bestimmten niedrigen Temperaturbereichen (Thermofenstern), um Bauteile des Motors vor Schäden nach dem Kaltstart zu schützen. Doch die Hersteller legen die Spielräume, wie groß das Fenster sein darf, sehr großzügig aus. Illegal wurde die Abschalteinrichtung („defeat device“) bekanntlich bei Volkswagen eingesetzt, um die strengen Abgasnormen vor allem in den USA zu erfüllen – bei anderen Herstellern bestehen seit einiger Zeit bereits Zweifel, ob alles im Rahmen des Gesetzes abläuft.

Das Bundesverkehrsministerium und das ihm unterstellte KBA untersuchten nach Bekanntwerden des VW-Dieselskandals 53 Automodelle, seit September 2015 gibt es außerdem eine „Untersuchungskommission Volkswagen“ bei Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU). Ergebnisse dieser Nachmessungen finden sich in dem Bericht der Untersuchungskommission, der im April veröffentlicht wurde. Im Fall der Opel-Modelle Insignia und Zafira verwiesen die Autoren in früheren Versionen des Berichts auf ein Gutachten des Experten Georg Wachtmeister von der TU München. Unter anderem ging es darum, dass bereits ab 17 Grad Außentemperatur das Abgas nicht mehr richtig gereinigt wurde. Wörtlich hieß es dazu im Entwurf: „Dieses Gutachten stützt die Zweifel an der Zulässigkeit dieser temperaturabhängigen Emissions-Minderungs-Strategie.“ Dieser Hinweis fehlt in der veröffentlichten Fassung des Berichts. Auf Anfrage verwies Opel darauf, dass nur Ministerium und KBA Fragen zur Untersuchungskommission beantworten könnten. Fiat Chrysler (FCA) erklärte, „dass die FCA-Fahrzeuge alle einschlägigen Emissionsanforderungen erfüllen“. Sie verfügten insbesondere über „keine illegalen Abschalteinrichtungen“.

Passagen über einzelne Modelle gestrichen

Anlass für die neuen Vertuschungsvorwürfe sind Recherchen von „Spiegel Online“, „Bayrischem Rundfunk“ und der Nachrichtenagentur dpa, nach denen in Entwurfsversionen des Untersuchungsberichtes in Texten zu 14 Pkw-Modellen Zweifel an der Zulässigkeit der Abschaltung der Abgasreinigung formuliert wurden. Zwar sind in der Endfassung des Berichts vom April die 14 Modelle einer Gruppe zugeordnet, deren Stickoxid- Werte im Abgas „technisch nicht ausreichend erklärbar schienen“. Aus den Beschreibungen der einzelnen Modelle wurden die Passagen allerdings gestrichen.

Das Bundesverkehrsministerium teilte mit, bei den 14 Fahrzeugen habe die Kommission Zweifel gehabt, ob die Abschaltung der Abgasreinigung „vollumfänglich mit Motorschutzgründen gerechtfertigt werden kann und damit zulässig“ sei. Darum seien sie in die entsprechende Gruppe von Fahrzeugen eingeordnet worden. „Aus den Akten geht eindeutig hervor, dass dem Verkehrsministerium nicht nur im Fall VW Belege für illegale Abschalteinrichtungen vorlagen“, sagte Linke-Politiker Herbert Behrens, der dem Untersuchungsausschuss des Bundestags vorsitzt. „Warum und durch wen die eigenen Erkenntnisse schließlich zensiert wurden, wird im Untersuchungsausschuss zu klären sein.“ mit dpa

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