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Ein Mitarbeiter erfasst seine Arbeitszeit digital an einem Terminal. In vielen Firmen ist das Alltag.
© Sina Schuldt/dpa

Arbeitsrecht: Neue Regeln zur Arbeitszeiterfassung umstritten

Werden Arbeitgeber noch vor der Wahl verpflichtet, mehr als die üblichen Überstunden und Feiertage zu dokumentieren?

Angefangen hat die Debatte damit, dass die spanische Gewerkschaft „Comisiones Obreras“ (CCOO) gegen die Deutsche Bank in Spanien geklagt hat. Es ging um die Einführung einer generellen Arbeitszeiterfassung, die im spanischen Recht nicht vorgesehen ist. Der Nationale Gerichtshof Spaniens legte den Fall dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vor mit der Frage, ob sich aus EU-Recht ein anderes Recht ergebe. Im Mai 2019 kam das EuGH-Urteil – und führte in Deutschland zu heftigen Debatten unter Juristen, Politikern, Arbeitgebern und Arbeitnehmervertretungen. Sie dauern bis heute an.

Konkret geht es darum: Das EuGH hat entschieden, dass die EU-Staaten Arbeitgeber verpflichten sollen, mit einem objektiven, verlässlichen und zugänglichen System die Arbeitszeit ihrer Mitarbeiter zu dokumentieren, vom Anfang bis zum Ende. Doch was heißt das für Deutschland? Brauchen wir ein neues Arbeitszeitgesetz (ArbZG) und müssen jetzt auch deutsche Unternehmen jede tägliche Arbeitsstunde erfassen? Bisher galt das in der Regel nur für Überstunden und das Arbeiten an Sonn- und Feiertagen.

Seit zwei Jahren wird darüber gestritten. Passiert ist wenig – und das wird sich in dieser Legislaturperiode wohl nicht mehr ändern. Eine Sprecherin des CDU-geführten Bundeswirtschaftsministeriums erklärt dazu auf Anfrage: „Das Ministerium sieht kein zwingendes Umsetzungserfordernis des EuGH-Urteils. Das deutsche Recht sieht nach derzeitiger Rechtslage bereits umfassende Dokumentationspflichten des Arbeitgebers zur Arbeitszeit vor.“

Für Fragen des Arbeitsrechts sei aber das Bundesarbeitsministerium (BMAS) zuständig. Das SPD-geleitete Ministerium wiederum erklärt jetzt: „Die Entscheidung des EuGH bezieht sich auf die spanische Rechtslage. Eine unmittelbare Pflicht zur Umsetzung des Urteils besteht daher nur für Spanien.“ Zum weiteren Vorgehen seien in der Bundesregierung noch keine politischen Entscheidungen getroffen worden. Deshalb gebe es auch noch keinen Zeitplan dazu.

Dabei wird das Thema dringlicher. „Es gibt Handlungsbedarf. Im Arbeitszeitgesetz sollte für Arbeitgeber und Arbeitnehmer klar erkennbar sein, welche Anforderungen nach dem Urteil des EuGH für die Erfassung von Arbeitszeit gelten“, sagt Johanna Wenckebach, Wissenschaftliche Direktorin am Hugo Sinzheimer Institut für Arbeitsrecht (HSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, das zu dem Urteil ein Gutachten veröffentlicht hat.

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Es sei keine „Shocking News“, dass wir Zeiterfassungssysteme bräuchten. Den Bedarf dafür zeigten schon die vielen geleisteten Überstunden. Sie zitiert Zahlen des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB): Selbst im Coronajahr 2020, das für viele von Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit geprägt war, haben die Beschäftigten 1,68 Milliarden Überstunden geleistet, die meisten davon unbezahlt. Überstunden könnten krank machen, das belegten zahlreiche Studien. Sie zu verhindern sei Gesundheitsschutz, zu dem Arbeitgeber verpflichtet seien, und gerade in Zeiten des Homeoffices wichtig, um eine Entgrenzung der Arbeit zu verhindern. Für Wenckebach gilt: „Arbeitszeiterfassung ist keine Privatsache, sie gehört zur Arbeitsorganisation, die durch den Arbeitgeber zu leisten ist.“

Kerstin Plack, Referentin für Arbeits- und Tarifrecht bei der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA) hat eine andere Sicht auf das Thema. „Es gibt keinen Umsetzungsbedarf. Das deutsche Arbeitszeitgesetz ist ausreichend, auch im Sinne des Gesundheitsschutzes“, sagt sie. Es sehe genügend Regelungen vor, um die Arbeitszeit zu erfassen und die ließen sich auch auf das Homeoffice anwenden. Die Betriebe selbst müssten entscheiden, wie Arbeitszeit erfasst werden soll.

Der EuGH lasse Spielraum bei der Umsetzung des Urteils. So sei es möglich, das Erfassen der Arbeitszeit an die Arbeitnehmer zu delegieren. Und das befürwortet sie: Die Arbeitnehmer selbst müssten im Blick haben, wenn sie Überstunden machen. Schließlich seien Arbeitsverhältnisse auch Vertrauensverhältnisse, müssten Arbeitnehmer nach bestem Wissen und Gewissen ihre Arbeitszeit erbringen. Plack sagt aber auch: Würden in einem Betrieb zu viele Überstunden geleistet, lasse das Rückschlüsse auf die Unternehmenskultur zu, Vertrauen könne in beide Richtungen missbraucht werden.

Für „nicht richtig“ und „abwegig“ hält sie das Urteil des Arbeitsgerichtes Emden vom 20. Februar 2020. Das Gericht hatte erklärt, dass der Arbeitgeber nach den Vorgaben des EuGH bereits jetzt unmittelbar zur Errichtung eines Zeiterfassungssystems verpflichtet sei.

Das Gutachten des HIS hat indes festgestellt, dass die EuGH-Entscheidung schon jetzt eine verbindliche Wirkung in Deutschland entfaltet, nicht nur für den Gesetzgeber – sondern auch für die Arbeitsgerichte.

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