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Der Superlaster misst 25, 25 Meter, gefahren werden darf er nur von Menschen, die keinen Punkt in Flensburg haben.
© Brönstrup

Gigaliner: Monstertrucks länger unterwegs

Seit Januar dürfen die ersten Super-Lkw auf deutschen Straßen fahren. 25,25 Meter messen sie – und wecken Ängste: zu groß, zu schwer, zu sperrig. Das findet Fernfahrer Besch zwar nicht, aber damit durch Innenstädte touren? „Um Gottes willen“.

Der Dieselmotor grollt, und langsam setzt sich der Lastwagen in Bewegung. Zwei, drei Meter schiebt er sich rückwärts, dann scheppert es. Sandy Besch am Steuer blickt prüfend in den Rückspiegel. Er lächelt. Da ist nichts kaputt gegangen, sondern die Deichsel des Anhängers automatisch in die Kupplung der Zugmaschine geschnappt.

Gerade noch war Beschs gelber Mercedes Actros ein gewöhnlicher Lastwagen, wie er jeden Tag tausendfach über Deutschlands Autobahnen rollt. Jetzt ist er zu einem Koloss geworden.

Besch kann diesen Koloss mit vier Fingern steuern. Die Servolenkung übernimmt die Arbeit, der Lastwagen schlängelt sich nun behutsam zwischen anderen Lkw auf dem Hof seiner Firma in Parchim zur Ausfahrt, wie ein kleiner Güterzug. „Man muss aufpassen“, sagt Besch, kurbelt am Lenkrad, blickt nach links und rechts und setzt den Blinker. „Aber nicht mehr als bei einem normalen Lkw.“

Es geht auf die Bundesstraße, Richtung Autobahn 24. Beschs rundes Gesicht mit dem Bartschatten wirkt konzentriert, aber kein bisschen angestrengt, als er die Gänge per Halbautomatik einrasten lässt. Seit zwei Jahren steuert er den Laster, sechs Zylinder, 410 PS. Aber nicht einen Kratzer habe er reingefahren, sagt er.

Beschs Gefährt ist ein Politikum. Die einen halten es für gefährlich, nennen es „Monster-Truck“ und „Gigaliner“. Die anderen, die mit ihm Geld verdienen wollen, sprechen vom „Euro-Combi“ oder vom „Lang-Lkw“, das klingt harmloser. 25,25 Meter misst er, das entspricht sechs VW Golf hintereinander, anderthalb mehr als bei üblichen Lkw. Der dreiachsige Motorwagen mit Ladefläche zieht einen Anhänger, der noch einmal so lang ist wie ein Sattelauflieger. Orange Blinklichter auf dem Dach und am Heck signalisieren den Autofahrern, dass sie einen Straßenfrachter besonderen Ausmaßes vor sich haben.

Peter Ramsauer, der Bundesverkehrsminister, gehört zu denen, die den Laster für eine gute Idee halten. Seit Jahresanfang lässt er ausprobieren, ob sich die Güter-Giganten für Deutschlands Autobahnen eignen. Den Oberbayer treibt der stetig zunehmende Frachtverkehr um: In den vergangenen 20 Jahren hat sich das Transportaufkommen hierzulande mehr als verdoppelt. Ramsauers Beamte schätzen, dass wegen der grenzenlosen Globalisierung bis 2025 noch einmal 70 Prozent mehr Güter zu transportieren sind als 2004. Niemand weiß, wo all diese Lkw fahren sollen. Schon jetzt bilden sie auf den Verkehrsachsen von Ost nach West und von Nord nach Süd kilometerlange Kolonnen.

Ist der lange Lkw dafür die Lösung? Es tobt ein heftiger Streit über die Frage, ob der Superlaster Entlastung bringt oder die Situation weiter verschärft, weil er die Straße noch attraktiver für den Gütertransport macht.

Besch fädelt sich auf der Autobahn 24 Richtung Norden ein. Er durfte das lange vor Ramsauers Vorstoß, weil einige Bundesländer wie Mecklenburg-Vorpommern bereits auf einzelnen regionalen Strecken die überdimensionierten Lkw testen. Besch muss sich an eine genau festgelegte Route halten. Er holt Solarmodule von einer Fabrik in Wismar und schafft sie nach Parchim, wo sie zwischengelagert werden. Anderthalb Stunden braucht der 36-Jährige für die Strecke. Ist die gesperrt, muss er warten – oder den Anhänger am Straßenrand stehen lassen.

Die Tachonadel ruht bei gut 80 Stundenkilometern. Mollige Wärme wabert durch die Fahrerkabine, nichts dröhnt oder vibriert hier, anderthalb Meter über dem Asphalt. Beschs Welt ist ein entschleunigter Ort. „Als Autofahrer sieht man links und rechts nur Leitplanke“, brummt er. „Hier oben hat man den Überblick, das mag ich.“

Beim Blick nach hinten geht es dagegen eher um gefühlte Übersicht. Sechs Spiegel sollen Besch helfen, die Ecken und Enden seines ausladenden Frachtfahrzeugs im Auge zu behalten. Und doch erscheint das Ende endlos weit entfernt. Viele Menschen hätten Mühe, einen Stein so weit zu werfen. Mit der Zeit bekomme man ein Gefühl für die Ausmaße, sagt Besch. Gelernt hat er das Gefühl bei der Bundeswehr, das war vor zwölf Jahren.

SPD und Grüne machen nicht mit.

Hinter Besch ist Raum für etwa 150 Kubikmeter Fracht, anderthalb mal so viel wie in den größten herkömmlichen Transportern. Das macht Beschs Sondermodell so interessant für Speditionsfirmen. „Zwei lange Lkw ersetzen drei übliche“, sagt Sven Markwart, einer von Beschs Chefs. Das reduziere den Verkehr, und besser für das Klima sei es auch. Der gelbe Riesenlaster verbraucht auf 100 Kilometern um die 28 Liter Diesel, kaum mehr als ein herkömmliches Gefährt. In den Niederlanden und in Skandinavien fahren die 25 Meter langen Gespanne seit Jahren, in Australien schleppen Frachtzüge, die „road trains“, sogar mehrere Anhänger durchs Buschland.

Weniger Verkehr, weniger Abgase. Diese Gleichung geht für Grüne und SPD nicht auf. Die meisten Bundesländer, in denen sie regieren, machen bei Ramsauers Praxisversuch nicht mit. Auch Berlin und Brandenburg nicht. Sogar eine Klage in Karlsruhe will die Opposition im Bundestag demnächst einreichen, weil Ramsauer den Versuch an Bundestag und Bundesrat vorbei durchgedrückt hat.

Ein bisschen hat Schwarz-Gelb bereits eingelenkt. Vom ursprünglichen Plan, die Superlaster für bis 60 Tonnen Fracht zuzulassen, hat Ramsauer Abstand genommen – seine Experten hatten ihn vor der Belastung für die ohnehin maroden deutschen Straßen und Brücken gewarnt. Bei 44 Tonnen Gewicht ist nun Schluss. Das ist zwar nicht mehr als heute. Entscheidend sei aber ohnehin das größere Ladevolumen der langen Transporter, sagen Ramsauers Leute, damit ließen sich – unabhängig vom Gewicht – sehr große und sperrige Güter besser befördern. Die Straßenlobby will sich damit nicht zufriedengeben. „Am Ziel sind wir erst, wenn die Gewichtsgrenze auf 60 Tonnen angehoben wird“, gibt eine einflussreiche Berliner Verkehrs-Managerin zu.

Genau davor warnen die Gegner der XXL-Laster. Die Liste ihrer Bedenken ist lang, sie fürchten heftigere Unfälle ebenso wie Engpässe an Kreuzungen und in Kreisverkehren. Das Überholen werde gefährlicher, und die Rastplätze an Autobahnen seien nicht für 25-Meter-Gespanne ausgelegt. „Verkehrspolitischer Wahnsinn“ sei das, sagt der SPD-Verkehrsexperte Sören Bartol. Dass die langen Gespanne in fünf Jahren, wenn Ramsauers Feldversuch endet, wieder aus dem Verkehr gezogen werden, glaubt er nicht. „Die Wirtschaft wird alles daran setzen, eine Dauergenehmigung zu bekommen“, sagt der Parlamentarier.

Für Lkw-Fahrer Besch in seinem langen Lastzug ist das politische Hin und Her weit weg. „Panikmache“, sagt er. Die Leute wüssten eben nichts vom Alltag auf der Straße, davon, wie mühelos sich so ein Lastzug steuern lasse. Durch enge Innenstädte will aber auch er damit nicht fahren, „um Gottes willen“.

Mittlerweile rollt der lange Lkw auf der Autobahn 14, der Verkehr ist noch immer dünn. Nur selten kommt ein anderer Lkw in Sicht. Schwerin, Jesendorf, die Ausfahrten ziehen vorüber. Bei Wismar-Mitte verlässt Besch die Autobahn, bis zur Solarfabrik sind es nur noch etwa zwei Kilometer. Kurz hinter der Werkseinfahrt liegt ein enger Kreisverkehr, vielleicht fünfzehn Meter im Durchmesser. Besch will zeigen, wie wendig sein Laster ist. Langsam und in einem Zug schiebt er sich um die Kurve, die Vorderachsen des langen Anhängers lenken mit.

„Alle Bäume stehen noch“, meldet er nach einem Kontrollblick in den Spiegel.

Kurz darauf schieben zwei Lagerarbeiter die auf Paletten gepackten und mit Folie umwickelten Sonnenkollektoren in den Bauch des Lkws. Keine halbe Stunde dauert es, bis Besch wieder vom Hof rollen kann.

Es ist eine Zwickmühle. Zwar verlangen viele Konsumenten in ihren Supermärkten Joghurt aus Oberbayern, Mineralwasser aus Norditalien und Orangen aus Spanien, aber vor den Lastwagen, die helfen, ihre Wünsche zu befriedigen, haben sie Angst. Eine lange Liste von Sicherheitsauflagen soll da beruhigend wirken – die neueste elektronische Brems- und Spurhaltetechnik muss an Bord des Superlasters sein, ebenso eine Überwachungskamera am Heck. Gefahrgut und Überholversuche sind verboten. In Mecklenburg-Vorpommern dürfen zudem nur Fahrer ans Steuer, die speziell geschult sind und keine Punkte in Flensburg haben. „Wenn sie mich jetzt blitzen, war es das“, erzählt Besch. Eine extra Prämie bekommt er nicht. „Er fährt einen Lastwagen, den viele der Kollegen nicht fahren dürfen“, sagt sein Chef Markwart. Das müsse als Belohnung genügen.

400 - 500 Gigaliner ab dem Frühjahr in Deutschland unterwegs.

400 bis 500 Stück würden ab Frühjahr auf den Autobahnen unterwegs sein, heißt es im Verkehrsministerium. Die Umrüstung auf Lang-Lkw ist nicht teuer, beim Anhängerbauer Krone kostet ein entsprechender Untersatz mit zwei Achsen 28.000 Euro. Jede fünfte Fahrt könne auf einen Lang-Lkw verlagert werden, hofft die Industrie. Die Spediteure freuen sich auf sinkende Kosten: 50 Millionen Fahrerstunden könnten entfallen, plus ein Fünftel der Dieselkosten. „300 bis 400 Euro spart ein Unternehmer pro Lang-Lkw und Tag“, sagt der Chef eines einflussreichen Logistik-Verbandes. „Das bringt die Frachtpreise unter Druck.“

Und die Bahn. In den vergangenen Jahrzehnten haben Lkw ihren Transportanteil gegenüber der Bahn kräftig ausgebaut. Zu langsam, zu unflexibel seien die Züge, klagt die Wirtschaft. Ohnehin rangiert die Bahn schon jetzt oft an der Kapazitätsgrenze. Als Ramsauer 2009 Minister wurde, gelobte er Besserung. „Möglichst vollständig“ müsse das künftige Verkehrswachstum von der Schiene bewältigt werden, kündigte er damals an, die Straßen könnten das nicht. Jetzt kommen die Lang-Lkw.

Übersicht ist im Rückspiegel eine relative Größe.
Übersicht ist im Rückspiegel eine relative Größe.
© Brönstrup

Das ist kein Zufall, sagt Johannes Ludewig. „Der Arm der deutschen Autoindustrie ist seit jeher unglaublich stark, Wissmann hat das durchgesetzt.“ Ludewig war in den 90er Jahren Bahn-Chef, Wissmann sein Verkehrsminister. Heute leitet der den Verband der Autohersteller und gilt als bestens vernetzt. Auch in sein ehemaliges Ressort: Wissmanns einstiger Planungschef ist nun dort Abteilungsleiter und redet beim Lang-Lkw ein wichtiges Wort mit.

Ludewig arbeitet gegen Wissmann, als Bahn-Lobbyist. Durch Lang-Lkw wird die Güterbahn im Vergleich teurer, gerät noch mehr ins Hintertreffen, sagt er. Von Forschern des Fraunhofer Instituts für System- und Innovationsforschung hat er die Folgen für die Schiene untersuchen lassen. Bis zu 38 Prozent der Zug-Ladung könnten demnach in den nächsten Jahren auf die Straße verlagert werden. Hart treffen werde es auch den kombinierten Verkehr, bei dem Lkw-Ladungen auf Züge verfrachtet werden. „Jahrelang hat die Regierung diese Verlagerung mit Millionen gefördert“, klagt Ludewig. „Jetzt macht sie mit einem Schlag alles kaputt.“

Selbst die Bahn kann sich dem Sog der Straße nicht entziehen. Zwar nimmt ihre Gütertochter Schenker, die in Europa Tausende Lastwagen betreibt, an Ramsauers Feldversuch nicht teil. Zu „Irritationen“ könne dies führen, gibt Bahn-Chef Rüdiger Grube zu. Man könne der Konkurrenz aber auch nicht kampflos das Feld überlassen, heißt es in der Führungsetage. „Wenn demnächst alle mitmachen, müssen wir uns auch welche kaufen.

Als Besch mit seinem langen Lkw wieder auf den Hof der Spedition rollt, ist es bereits dunkel. Es herrscht reger Betrieb, Dutzende Fahrer liefern ab und laden ein. Besch muss den Lastzug wieder an die Ladeluke rangieren. Er kuppelt den Anhänger ab, der Koloss hat nun wieder Normalmaß.

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