zum Hauptinhalt
Schnell mal nach London. Die neuen Eurostar-Züge schaffen bis zu 320 Stundenkilometer. Mit ihnen will das Unternehmen auch andere Strecken in Europa bedienen.
© dpa

Großauftrag: Mit Siemens-ICEs durch den Kanaltunnel

Der Elektrokonzern Siemens steht kurz vor dem Auftrag für zehn Eurostar-Schnellzüge und könnte damit den Konkurrenten Alstom ausstechen. Das Geschäft wäre eine schwere Niederlage für den französischen Hersteller.

Siemens steht kurz davor, einen prestigeträchtigen Auftrag für den Bau neuer Eurostar-Hochgeschwindigkeitszüge zu bekommen. Der Elektrokonzern sei bevorzugter Bieter für die Lieferung von zehn Velaro-Zügen, sagte Eurostar-Chef Nicolas Petrovic am Donnerstag in London. Das Geschäft wäre eine schwere Niederlage für den französischen Siemens-Konkurrenten Alstom, der bislang der Lieferant für den Eurostar war. Er basiert auf dem TGV.

Es geht um einen Auftrag im Wert von 600 Millionen Euro, wie es in Branchenkreisen heißt. Der Zuschlag für Siemens wäre auch deshalb erstaunlich, weil Eurostar zu 55 Prozent der französischen Staatsbahn SNCF gehört. Den Rest teilen sich Belgiens Staatsbahn und die britische London and Continental Railways. Auf den Strecken Paris-London und Brüssel-London sind bislang 27 TGV-Züge unterwegs, sie sind 16 Jahre alt. Sie sollen nun modernisiert werden, dafür veranschlagt Eurostar 200 Millionen Euro. Möglicherweise wird Frankreichs Regierung aber noch versuchen, Alstom wieder ins Rennen zu bringen. Noch als Finanzminister rettete 2004 der heutige Präsident Nicolas Sarkozy Alstom vor dem Aus.

Für Siemens, das seit Juli seine Verkehrstechniksparte von Berlin aus steuert, wäre dies ein erneuter Erfolg im imageträchtigen Markt der Hochgeschwindigkeitszüge. VerkehrstechnikChef Hans-Jörg Grundmann sprach von einem „großartigen Erfolg“. Der Velaro sei auf dem Weg, ein „wahrer Europäer“ zu werden. Derzeit werden am Standort Krefeld 15 Exemplare des Velaro für die Deutsche Bahn gebaut, die ab Ende 2011 auf den Strecken nach Frankreich eingesetzt werden sollen. Auch in Russland, China und Spanien fahren die Velaro-Züge bereits, die eine Weiterentwicklung des ICE 3 sind. Auch die neuen, bis zu 320 Stundenkilometer schnellen Exemplare würden in Krefeld gebaut. Sie sollen ab 2014 zum Einsatz kommen und 900 Fahrgästen Platz bieten – das ist ein Fünftel mehr als bei den bisherigen Eurostar-Zügen.

Bevorzugter Bieter ist Siemens zudem für die Nachfolger der IC- und ICE-Baureihen der Deutschen Bahn. Die Verhandlungen über den bis zu sechs Milliarden Euro schweren Auftrag ziehen sich aber in die Länge, eigentlich sollten sie bereits im Sommer abgeschlossen sein. Eurostar dürfte sich auch vor dem Hintergrund des Wetter-Desasters im vergangenen Winter für Siemens entschieden haben. Mehrere Male waren die Alstom-Züge im Tunnel zwischen Frankreich und England stecken geblieben, weil die Elektronik ausgefallen war. Bis zu 15 Stunden hatten Passagiere in den Zügen ausharren müssen.

Mit der Investition bereitet Eurostar zudem eine Expansion in Europa vor. Die Velaro-Züge sollen mit mehreren europäischen Bahnstromsystemen zurecht kommen. Sie könnten „einen direkten Service zwischen London und einer Vielzahl von innerstädtischen Zielorten in ganz Europa bieten“, sagte Eurostar-Chef Petrovic. Die Strecke von London nach Paris wird der neue Eurostar in knapp zwei Stunden schaffen, nach Amsterdam in weniger als vier und nach Genf in weniger als fünf Stunden. Man richte den Blick „auf die Erweiterung unserer Geschäftstätigkeit auf ganz Europa“, kündigte der Manager an. Die Deutsche Bahn hat ähnliche Pläne – sie will 2013 von Köln nach London fahren. Am 19. Oktober wird erstmals ein ICE zu Testzwecken durch den Kanaltunnel fahren. Er muss aber noch an spezielle Sicherheitsbestimmungen angepasst werden, die im Tunnel gelten.

Der unterlegene Alstom-Konzern hat nun ein Problem mehr. Für den TGV-Nachfolger AGV haben die Franzosen bislang erst einen Auftrag erhalten. Zudem laufen die Geschäfte in der Energie-Sparte schlecht, daher sollen 4 000 Arbeitsplätze wegfallen. Davon wird auch Deutschland betroffen sein – der Standort Berlin stehe aber nicht auf der Liste, sagte ein Unternehmenssprecher.

Zur Startseite