Vererben und Stiften: Mit dem Vermögen Gutes tun
Reichtum kann ein machtvolles Werkzeug sein, um soziale Veränderungen zu bewirken. Tipps für Menschen, die gemeinnützige Organisationen fördern wollen
Freiheit aushalten!“ steht auf einem Schild, das ich vor einigen Jahren geschenkt bekam. Ich habe es an meinem Garagentor angebracht, wo sonst „Ausfahrt freihalten!“ hängen würde. Viele Leute, die mich besuchen, beziehen sich darauf und freuen sich daran.
Wenn man mehr Geld hat, als man zum Leben braucht, gibt das eine große Freiheit, und es verleiht die Macht, Dinge positiv zu verändern. Privater Reichtum kann ein Werkzeug sein – das klingt sehr schlicht, aber wenn man bedenkt, wie unsere Gesellschaft Reichtum vergöttert, dann ist diese Nutzung von Geld innovativ und anders. Es geht mir um die unternehmerische Sicht darauf, was privates Vermögen bewirken kann.
Ich behandle Geld weniger als Statussymbol und mehr als Werkzeug. Ich vergesse nicht die Tatsache, dass Privilegien nicht fair verteilt und daher gesellschaftlich problematisch sind. Privilegien und Diskriminierung sind zwei Seiten einer Medaille. Die Privilegien der einen bringen es mit sich, dass andere ausgeschlossen werden. Ich erlebe Privilegien als eine Art große Eintrittskarte, als Zugang zu machtvollen Personen und Orten. Ich wünsche mir, dass Menschen mit viel und mit wenig Macht besser zusammenarbeiten. Deshalb sage ich Ja zu der Macht, die für mich erreichbar ist – aber ich sage Nein zur Ausgrenzung anderer.
Ein Vermächtnis ist ein guter Anfang
Wer viel Vermögen gibt – so viel, dass es persönlich und in die Welt hinein etwas verändert – bricht damit immerhin schon mit dem kapitalistischen Credo, dass Kapital immer weiter akkumulieren müsse. Die politische Lösung liegt im Miteinander, und das bedeutet auch, zu teilen. Das Geld, über das ich verfügen kann, ist innerhalb des kapitalistischen Systems zusammengekommen. Ich kann es nutzen oder nicht. Gar nichts tun ist auch keine Lösung. So verstehe ich die Verantwortung, die mit Reichtum einhergeht.
Ich rate dazu, mit einem Vermächtnis anzufangen. Das richtet den Blick auf die langfristigen Ziele. Entscheiden Sie, wieviel Ihres Vermögens in gemeinnützige Zwecke fließen soll. Dann schließt sich die Überlegung an, einiges davon schon zu Lebzeiten zu tun; das macht mehr Freude.
Halten Sie die Augen offen, wo gute Arbeit möglich ist, nur die Mittel fehlen. Wählen Sie Zwecke, die Ihnen persönlich am Herzen liegen, bei denen Sie lange bleiben wollen und wo Sie sich gut auskennen. Mein Thema ist durch meine Lebensgeschichte zu mir gekommen – und wir alle haben unsere Lebensgeschichte. Die Wahl Ihrer Zwecke wird auf Ihrer politischen Analyse beruhen, und wo Sie als Person stehen.
Fördern Sie ohne Eile, aber mit Ausdauer
Dann, innerhalb Ihrer Thematik, verengen Sie die Auswahl auf Aspekte, von denen Sie denken, dass Sie mit Ihren Ressourcen etwas Entscheidendes bewirken können. Anschließend finden Sie heraus, wer die besten Einrichtungen oder Gruppen sind, die dazu arbeiten. Wählen Sie einige dieser Organisationen aus und lernen Sie sie kennen. Hören Sie ihnen genau zu, und bleiben Sie bei denen, die Ihnen am besten gefallen. Fördern Sie verschiedene Lösungsansätze und Herangehensweisen – viele Wege führen zum Ziel. Wenn Sie das einige Zeit machen, besteht eine gute Chance, dass Sie Erfolge mitfeiern können!
Mein grundlegender Tipp für private Gebende: Fördern Sie ohne Eile. Fangen Sie mit kleineren Summen an, arbeiten Sie Jahr für Jahr – und wenn es gut läuft, geben Sie größere Summen. Bleiben Sie dabei. Ungebundene mehrjährige Förderung gibt Organisationen die nötige Stabilität, um langfristigen strukturellen Wandel zu erreichen. Es werden nachhaltige Strukturen aufgebaut, die Organisationen können eigene Prioritäten setzen. Meine Organisation Dreilinden vergibt 90 Prozent der Förderungen mehrjährig. Diese Strategie hat Erfolg: 86 Prozent der Förderpartner berichten, dass diese Förderung zu einer Stärkung geführt hat, die noch immer spürbar ist.
Ich bin außerdem überzeugt, dass die Zusammenarbeit besser wird, wenn ich persönlich sicherstelle, dass die Bürokratie so gering wie möglich bleibt. Sowas ist Chefsache, sonst klappt es nicht.
Wenn ich ein Projekt fördere, bleibe ich thematisch in Bereichen, in denen ich mich schon recht gut auskenne. Dann setze ich mich hin und analysiere das Risiko. Ich setze den Fokus auf die langfristigen Ziele; so fällt es mir leichter, Risiken einzugehen. In der Philanthropie ist die Rendite der Investition das Erreichen der gemeinnützigen Ziele. Ohne das Eingehen von Risiken geht das nicht. Die private Philanthropie ist in der Lage, die größten Risiken zu schultern, und sollte das meines Erachtens auch tun – Freiheit aushalten.
Die Art, wie Sie geben, ist genauso entscheidend wie die Summen
Ich frage mich: Was würde geschehen, wenn ich jetzt hier nicht fördere? Wenn ich über eine größere Förderung entscheide, nehme ich immer eine grobe Schätzung zweier Faktoren vor. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Initiative erfolgreich ist? Und wie groß ist die Wirkung, falls wir erfolgreich sind? Sehr oft komme ich zu der Beurteilung, dass beide Faktoren umgekehrt korrelieren: Ein Erfolg scheint immerhin möglich, ist in meinen Augen aber nicht sehr wahrscheinlich. Wenn es jedoch funktioniert, wird der Effekt sehr groß sein. Oder andersherum: Die Ziele erreichen wir wahrscheinlich, aber die Wirkung wäre nicht sehr stark. Ich suche eine gute Mischung dieser Erfolgsrisiken in meinem Förderportfolio.
Meine gemeinnützige Gesellschaft Dreilinden ist oft die erste Geldgeberin für eine neue Idee. Über 80 Prozent unserer Förderpartnerinnen sagen, dass sie mit unserer Unterstützung Pionierarbeit geleistet haben.
Die Art, wie Sie geben, ist genauso entscheidend wie die Summen. „Es geht darum, die Qualität des Geldes zu verändern“, sagte Neville Gabriel von „The Other Foundation“ in Südafrika, mit der ich seit vielen Jahren zusammenarbeite. Wir haben mittlerweile Daten dazu, welche Wirkung Fördern auf der Basis von Vertrauen entfaltet. So werden integre Organisationen aufgebaut, die effektive Strategien haben, weil ihr Wissen sich aus gelebter Erfahrung speist.
Gemeinsam fördern macht mehr Spaß
Ich vertraue grundsätzlich darauf, dass unsere Förderpartner und -partnerinnen wissen, was in welcher Reihenfolge getan werden muss. Wir einigen uns darauf, wofür genau das Geld ist, wir haben aber keine strikten Regularien, wie es eingesetzt werden muss. Das ermöglicht Flexibilität und den Spielraum, auf unerwartete Situationen oder Entwicklungen zu reagieren und Gelegenheiten zu ergreifen. In der Zusammenarbeit sitzen die Partner und Partnerinnen am Lenkrad, ich fahre mit. Und ich nutze meinen Zugang zu machtvollen Räumen, um denen, die üblicherweise ausgeschlossen sind, dort eine Stimme zu geben.
Wenn wir eine Philanthropie wollen, die nicht nur eine Transaktion ist, sondern eine Transformation, dann brauchen wir die Lösungen der Betroffenen. Die Hälfte des Geldes vergibt Dreilinden im sogenannten Regranting: Wir fördern andere Stiftungen, die einen engen Kontakt zu den geförderten Communities haben. Sie erhalten das Geld und verteilen es weiter. Bei diesen Stiftungen entscheiden die über das Geld, die selbst Teil der Communities sind. So wird Macht weitergegeben. Die Astraea Foundation in New York hat zum Beispiel mit Dreilinden ein globales Förderprogramm für lesbische und bisexuelle Frauen, Schwule, trans* und inter Personen aufgelegt. Der International Fund besteht nun seit 20 Jahren und konnte annähernd 19 Millionen US-Dollar an über 500 Gruppen in 99 Ländern vergeben.
Die Philanthropie wie ich sie verstehe, stellt die Machtverhältnisse hierarchisch organisierter Stiftungen in Frage, die Menschen Lösungen diktieren. Sie vermeidet auch die Kurzsichtigkeit des „Philanthro-Kapitalismus“, der schnell maximale Erfolge sehen will und sich deshalb nur dort engagiert, wo die Laterne hinscheint. Transformative Philanthropie setzt Privilegien und Geld dafür ein, Machtstrukturen zu verändern. Das geht nicht ohne eine eigene Veränderung. Zu geben bedeutet immer auch, sich auf eine eigene Lernerfahrung einzulassen.
Ich lerne dazu und begegne wunderbaren Menschen
Entscheiden Sie also frühzeitig, mit welchen Menschen gemeinsam Sie diese Erfahrungen machen wollen! Freude machen auch Kreise, wo gemeinsam gegeben wird. „filia. die frauenstiftung“, die ich mitgegründet habe, ist so ein Modell einer Gemeinschaftsstiftung. Wenn die Zusammenarbeit gut werden soll, ist es wichtig, das Machtgefälle bewusst wahrzunehmen. Dabei ist es hilfreich, die Sache immer wieder von der anderen Seite her zu denken und auch nachzufragen, wie es den anderen geht.
Wenn auf der horizontalen Ebene gegeben wird, entsteht daraus eine besondere Art von Macht, eine Macht gemeinsam mit anderen. Wenn ich hingegen als Gebende bestimmte Bedingungen an eine Förderung knüpfe, dann kommt die vertikale Machtausübung ins Spiel, Macht über andere. Wenn wir Bedingungen gemeinsam herausarbeiten und festlegen, ermutigt das beide Seiten, besser zu arbeiten. Die Gebenden geben bewusst Macht ab; die Verantwortlichkeit steigt, und zwar auf beiden Seiten. Wir gewinnen oder verlieren gemeinsam.
Es macht mich schon glücklich, wenn etwas gelingt – wobei das fast nie nur an mir liegt. Insgesamt weiß ich, dass ich etwas Sinnvolles mache. Es bleibt auch deshalb erfüllend, weil ich meinen eigenen Horizont erweitern kann. Und ich begegne wunderbaren Menschen!
Viele meiner Arbeitsweisen funktionieren für die Förderung aller menschenrechtlichen Anliegen und auch anderer Themen. Prüfen Sie, was für Sie passt. Und gehen Sie dann Ihren eigenen Weg.
Unsere Gastautorin Ise Bosch ist studierte Musikerin, Gründerin und überzeugte Philanthropin. Seit Jahren setzt sie sich weltweit für sozialen Wandel ein, besonders für Menschenrechte, Frauen und sexuelle Minderheiten. In Deutschland gründete sie die gemeinnützige Gesellschaft Dreilinden, die die Akzeptanz von geschlechtlicher und sexueller Vielfalt fördert. Im Mai 2018 erhielt Ise Bosch den Deutschen Stifterinnenpreis. Ihr neues Buch „Geben mit Vertrauen: Wie Philanthropie transformativ wird“ ist bei Dreilinden erschienen (mit Claudia Bollwinkel und Justus Eisfeld, 144 Seiten, 20 Euro).
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