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Frank Appel beim Tagesspiegel-Gespräch in seinem Büro im 40. Stock des Post-Towers am Rheinufer in Bonn. Der 53-Jährige führt den Logistikkonzern seit 2008.
© Cornelis Gollhardt

Post-Chef Appel im Interview: "Mehr Versandhandel senkt Mieten in Innenstädten"

Deutsche-Post-Chef Frank Appel spricht im Tagesspiegel-Interview über gestrichene Weihnachtsfeiern, Briefe ans Christkind, Frischfleisch im Postkasten und den Tod der Einkaufsstraße wegen des wachsenden Online-Handels.

Herr Appel, gibt es für die Post weltweit ähnlich wichtige Feste wie Weihnachten?
Lokal gibt es einige Großereignisse, an denen viele Geschenke verschickt werden: in China etwa das Chinese New Year und den 11. 11. – den Singles Day. Aber Weihnachten ist unschlagbar, wobei Europa und Nordamerika für uns da natürlich die wichtigsten Märkte sind.

Hier lief der Adventsstart holprig: Angestellte der Paketzentren haben am Freitag protestiert, weil 23 000 der 131 000 Beschäftigten, also 18 Prozent, nur befristet angestellt sind. Was sagen Sie dazu?
Wir haben derzeit 14.700 befristete Kräfte und in der Weihnachtszeit zusätzlich noch einmal 9000 Aushilfen. Die beiden Gruppen in einen Topf zu werfen, ist nicht fair. Ein Quartal davor oder danach sind nur etwa zehn Prozent unserer Mitarbeiter befristet beschäftigt. Verdi verschiebt die Zahlen hier, um die Lage zu dramatisieren, aber Fakt ist: Auch wenn unsere Befristungsquote null wäre, bräuchten wir dennoch bis zu 10.000 Aushilfen vor dem Fest.

Für schlechte Stimmung sorgen auch gestrichene Weihnachtsfeiern, etwa bei Ihrer Berliner Tochter E-Post Development. Warum demotivieren Sie gerade Leute, die Ihr Zukunftsgeschäft entwickeln sollen?
Die Behauptung, dass die Stimmung in unserem Unternehmen schlecht sei, ist falsch. Wie in den vergangenen Jahren hatten wir auch in dieser speziellen Division eine Steigerung der Mitarbeiterzufriedenheit, die wir jährlich in einer Umfrage im September bei allen Mitarbeitern messen. Ob, wann, wie und wo Weihnachtsfeiern stattfinden, entscheiden die jeweiligen Bereichsleiter. Da gibt es keine Direktive von oben.

Vergangenes Jahr haben mehr als 600 000 Kinder aus aller Welt Wunschzettel geschickt – die Hälfte davon an Ihre Filiale in Himmelpfort in Brandenburg. Weihnachtsmann und Christkind haben allen geantwortet. Was zahlen Sie den beiden?
Den Erfolg unserer Weihnachtspostfilialen verdanken wir engagierten Kolleginnen und Kollegen, denen es ein Herzensanliegen ist, den schönen Brauch des Wunschzettels zu pflegen. Und der Erfolg dieses postalischen Unterstützung für Christkind und Weihnachtsmann ist einfach sensationell. Was gibt es Schöneres, als wenn sich Kinder frühzeitig daran gewöhnen, Briefe zu schreiben, und dann auch noch vom Weihnachtsmann eine Antwort bekommen? Das ist etwas Tolles und deshalb würde ich da auch nie fragen, was das kostet.

Das wäre doch interessant.
Ich würde fragen: Was können wir tun, damit noch mehr Kinder schreiben? Ich schreibe selbst regelmäßig handgeschriebene Briefe an unsere Mitarbeiter. Das ist viel mehr wert als jede E-Mail oder ein Anruf, weil sie merken, dass ich mir Zeit für sie genommen habe.

Die Deutsche Post ist mit mehr als 480 000 Mitarbeitern weltweit einer der größten Arbeitgeber überhaupt. In welchem Land machen Ihnen die Kollegen derzeit besonders viel Freude?
Was mich aktuell besonders beeindruckt, ist, dass unsere Mitarbeiter in den von Ebola betroffenen Ländern den Service aufrechterhalten. Wir hatten bisher … (klopft auf den Holztisch) noch keinen Ansteckungsfall, da unsere Mitarbeiter sehr auf ihren Schutz achten. Mich macht stolz, dass wir auch in einer so schwierigen Situation vor Ort unser Geschäft betreiben. Das tun wir auch in anderen Krisenländern. Ich gehe hier allerdings ungern ins Detail, um unsere Mitarbeiter nicht zu gefährden.

Über das Krisenland Russland muss man aber reden. Dort haben Sie im Expressgeschäft einen Marktanteil von 40 Prozent. Was bewirken die Sanktionen?
Bisher sind die Auswirkungen für uns dort noch relativ überschaubar.

Im Frühjahr haben Sie noch vor Sanktionen gewarnt. Jetzt sind sie da. Was sollte die Politik jetzt tun?
Einen Rat zu geben, fällt mir schwer. So, wie sich beide Seiten positioniert haben, ist es schwierig, einen Kompromiss zu finden. Ich glaube aber, dass dieser Konflikt bisher nicht noch stärker eskaliert ist, weil es heute eine viel stärkere wirtschaftliche Verflechtung zwischen Russland und dem Westen gibt als jemals zuvor.

Appel über verdrängte Mieter und Elektro-Lieferwagen

Als Logistikkonzern profitieren Sie von möglichst freiem Welthandel. Bei der WTO klemmt es und TTIP hat gute Chancen, Unwort des Jahres zu werden. Wie beobachten Sie die Debatte?
Es ist schon schockierend, dass wir Deutsche als größte Nutznießer des freien Handels diesen immer wieder so fundamental infrage stellen. Da werden Scheingefechte geführt. So sind die Verbraucherschutzregeln in den USA zum Teil deutlich schärfer als in der EU. Ich glaube, dass wir am Ende ein TTIP-Abkommen bekommen werden.

Gleichwohl bestimmen Globalisierungskritiker die Debatte.
… was ich nicht verstehe. Sie sollen mir die Liste mit Staaten zeigen, die Protektionismus betreiben und damit erfolgreich waren: So ein Land gibt es nicht! Die Liste der Länder, die mit offenen Märkten erfolgreich sind, ist dagegen unglaublich lang – angefangen von den Niederlanden, denen man keine schlechten Sozialstandards nachsagt, bis hin zu Singapur, wo der Handel bei der dramatischen Verbesserung der Lebensbedingungen in den letzten Jahrzehnten eine ganz wesentliche Rolle gespielt hat.

Jedes Jahr schrumpft das klassische Briefpostgeschäft um zwei bis drei Prozent. Digitale Alternativen wie der E-Postbrief und De-Mail sind nicht etabliert. Wie lösen Sie das Problem?
Wir gehen davon, dass das Briefpostvolumen weiter zurückgehen wird. Allerdings werden wir in diesem Jahr mit dem E-Postbrief rund 300 Millionen Euro Umsatz machen, nach 100 Millionen im vergangenen Jahr. Das ist ein Riesenerfolg. Zwar ist das Segment gegenüber den mehr als zehn Milliarden, die wir mit Briefen insgesamt erlösen, klein. Ich bin mit der Entwicklung aber hochzufrieden.

Sie haben aber auch sehr viel Geld in die Produkteinführung gepumpt.
Wir werden bis 2015 etwa 500 Millionen in den E-Postbrief investiert haben. Wir glauben, dass wir nächstes Jahr erstmals schwarze Zahlen damit schreiben. Da kenne ich nicht viele Start-ups, die das in dieser Zeitspanne schaffen.

Warum setzen Sie ausgerechnet so stark auf den Onlinehandel mit Lebensmitteln?
Heute macht der E-Commerce-Bereich noch weniger als zehn Prozent des Einzelhandelsumsatzes aus. Aber wir investieren in neue kundenfreundliche Lösungen wie Paketkästen, die man sich vors Haus stellen kann und die es noch komfortabler machen werden, kurzfristig online Waren und darunter eben auch Lebensmittel zu ordern. Das wird sich rechnen. Manche Menschen bestellen schon heute frisches Fleisch im Internet, weil sie es in dieser Qualität im Supermarkt nicht finden. Man macht sich heute noch gar keine Vorstellung davon, was auf diesem Feld noch alles passieren wird.

Doch: Irgendwann macht die letzte Einkaufsstraße dicht.
Ich werde oft gefragt, warum wir zur Verödung der Innenstädte beitragen. Ich bin da ganz entspannt. Weil es schöner wird, wenn wieder mehr Menschen zu verträglichen Mietpreisen in die Innenstädte ziehen können. Die waren ja mal bewohnt, aber die Mieter wurden von Geschäften verdrängt. Und wer sich beschwert, dass alle Tante-Emma-Laden verschwunden sind, dem sage ich: Das sind nicht wir gewesen, sondern die Einzelhandelsketten. Letztlich wird es ohnehin ein Nebeneinander von klassischem stationären Handel und E-Commerce geben.

In jedem Fall nimmt der Lieferverkehr zu, wenn jeder Bürger nur noch online bestellt.
Der CO2-Ausstoß für die Zustellung eines einzelnen Pakets vom Versender zum Empfänger entspricht etwa dem im Rahmen einer Autofahrt von vier Kilometern Länge entstandenen CO2. Das heißt, wenn wir die Menge an Paketen verdoppeln, wäre es sogar nur die für zwei Autokilometer erforderliche Menge an CO2. Wenn E-Commerce wächst, bestellt jeder irgendwann nicht nur ein, sondern zwei oder drei Pakete, die dann mit einer Fahrt geliefert werden. So geht die Rechnung auf.

Der Bund will E-Fahrzeuge für Unternehmen steuerlich subventionieren. Werden dann auch Ihre Transporter sauberer?
Wir haben heute schon etwa 11.000 Fahrzeuge weltweit mit alternativen Antrieben im Einsatz. Und hier in Bonn arbeiten wir bald ausschließlich mit elektrisch betriebenen Fahrzeugen. Gemeinsam mit der RWTH Aachen haben wir als Zustellfahrzeug den Street Scooter entwickelt. Mit dem sind wir hochzufrieden. Für uns sind E-Fahrzeuge wegen der vielen Stop-and-Gos im Zustellvorgang optimal. Sie senken die Geräuschbelästigung und Feinstaubbealstung. Deshalb werden wir das vorantreiben.

E-Flotten lassen sich derzeit kaum kostendeckend betreiben, genauso wenig wie Fernbuslinien. Wie machen Sie damit weiter – künftig ohne den ADAC?
Wir haben mit dem Postbus ein qualitativ hochwertiges Produkt in den Markt geführt, mit dem wir auch allein Geld verdienen können – auch wenn wir noch in der Investitionsphase sind. Der Postbus bedeutet Fortschritt und Freiheit: Wir ermöglichen mehr Menschen, das zu tun, was sie wollen. In dem Fall: kostengünstig mobil zu sein. Mit dem Postbus stehen wir zwar nun ohne den ADAC allein in einem harten Wettbewerb – dafür lassen wir Kunden aber auch nicht auf einem zugigen Umsteigebahnhof stehen.

Was Appel mit den gesammelten Daten anfangen will

Auch Google lassen Sie nicht allein – beim Sammeln großer Datenmengen. Sie verfügen über Milliarden Sendungsdaten. Was konkret können Sie damit anfangen?
Anders als manche IT-Konzerne können und wollen wir die persönlichen Daten der einzelnen Postsendungen ja wegen des Postgeheimnisses nicht nutzen. Aber in der anonymisierten Form können wir zum Beispiel Warenströme analysieren. Das tun wir auch. Wenn am Wochenende 35 Grad angesagt sind, können wir zum Beispiel davon ausgehen, dass am Montag oder Dienstag weniger Pakete zugestellt werden, weil die Leute nicht vor dem heimischen PC sitzen, sondern im Garten oder Freibad. Dann können wir zu Beginn der Woche die Zustellbezirke größer zuschneiden.

Nutzen Sie Ihren Big-Data-Schatz nur für diese internen Zwecke oder sehen Sie auch eine Möglichkeit, den im Sinne Ihrer Aktionäre zu versilbern?
Dafür ist es noch zu früh. Natürlich haben wir eine Menge Daten, die auch für andere relevant wären. Wir registrieren natürlich auch Staus und dergleichen. Aber da hat noch keiner ein gutes Geschäftsmodell, wie man Daten aus der Logistik nutzen kann, um sie weiterzuvermarkten. Wir arbeiten daran, aber über ungelegte Eier will ich noch nicht sprechen. Dass wir innovativ sind, beweisen wir oft genug, etwa mit unserem automatisch fliegenden Paketkopter, der die Insel Juist mit Medikamenten beliefert.

Ich wette, Ihr Otto-Normal-Kunde träumt weder von Drohnen noch von Apps, sondern von kurzen Warteschlangen. Was haben Sie für diese Menschen im Angebot?
Jede Menge. Wir haben die Anzahl an Kontaktpunkten drastisch erhöht. Inzwischen haben wir fast 30.000 dieser Stellen – von der Filiale bis zur Packstation. Wir haben zusätzlich tausende Paketshops eingeführt. Heute kann man ganz flexibel sagen, wohin man die Lieferung haben will: zum pensionierten Nachbarn, der zu Hause ist, oder zum Paketshop. Man kann aktiv in den Zustellungsprozess eingreifen, wenn man mal seine Pläne für den Tag ändert. Ich glaube, dass DHL auch deshalb gerade von der Stiftung Warentest zum besten Paketzusteller gekürt worden sind.

Wer digital agil ist, dem mag all das nutzen. Für alle anderen wird es komplizierter.
Das ist eine Überinterpretation. Wer zu Hause ist, bekommt sein Paket weiterhin nach Hause geliefert. Alle andere bekommen vielfältige Möglichkeiten, sich auszusuchen, wie sie es denn gern hätten. Und wer etwas online bestellt, kann auch mit Onlineservices umgehen. Und notfalls kann man auch telefonisch bestellen. Das gibt es ja auch noch.

Herr Appel, Was wünschen Sie sich fürs neue Jahr?
Für das Land wünsche ich mir eine Debatte über die Frage, was wir tun müssen, damit wir die Wettbewerbsfähigkeit, die Deutschland in den letzten zehn Jahren erreicht hat, erhalten können. Und wie wir der nachfolgenden Generation ermöglichen können, das zu erreichen, was wir heute haben: mehr Wohlstand als gestern. Für unser Unternehmen hoffe ich, dass wir Wege finden, wie wir die Erfolge der vergangenen sechs Jahre fortschreiben können. Also weiter wachsen, gute Arbeitsplätze schaffen mit guten Löhnen. Das ist auch das Beste, was wir für unser Land tun können.

Das Gespräch führte Kevin P. Hoffmann

Der Manager: Frank Appel (53), geboren und aufgewachsen in Hamburg, hat in Hamburg und München Chemie studiert und in Zürich im Fach Neurobiologie promoviert. Im Jahr 2000 kam er als Unternehmensberater von McKinsey als Leiter der Konzernentwicklung zur Post. 2002 rückte Appel in den Vorstand auf, 2008 folgte er seinem Förderer Klaus Zumwinkel auf den Chefsessel.

Das Unternehmen: Die Deutsche Post DHL mit Hauptsitz in Bonn ist das größte Logistikunternehmen der Welt. Der Konzern gehört zu 21 Prozent dem Bund. Er beschäftigt mehr als 480 000 Mitarbeiter und setzte im Jahr 2013 gut 55 Milliarden Euro um.

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