Tatort Internet: Mehr Schutz für Abgemahnte
Das Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken schiebt den hohen Gebühren von Abmahnkanzleien jetzt einen Riegel vor. Für Betroffene ändert sich aber wenig - auch der neue Schutz hat Lücken.
Ingolf Beier hatte Pech mit der Technik. Der Router des 63-jährigen Berliners war nicht auf dem neusten Stand. Im März dieses Jahres knackte jemand die veraltete Verschlüsselung und klaute seine IP-Adresse. Seitdem bekommt Beier immer wieder Mahnungen von Anwaltskanzleien.
Sie werfen ihm vor, Filme von Internet-Tauschbörsen heruntergeladen zu haben. Dabei ist Beier ziemlich selten im Internet unterwegs. „Ich wusste gar nicht, was Tauschbörsen sind“, sagt er. „Iron Nazi Vampire“, „A little bit Zombie“, „The Dredd“ – das sind Streifen, die Beier nicht einmal vom Hörensagen kennt. Zahlen muss er trotzdem für sie, denn die Kanzleien fordern nicht nur eine Entschädigung für den Urheber, sondern stellen ihm auch ihre Anwaltsgebühren in Rechnung. Inzwischen streitet sich der Berliner mit fünf verschiedenen Kanzleien, unter anderem aus Hamburg und München. Es geht um insgesamt 10 000 Euro. „Es geht inzwischen nicht mehr darum, dass ich meine Unschuld beweisen möchte“, sagt er. „Aber die Summen, die die Kanzleien von uns fordern, sind einfach zu hoch.“
800 Euro sind üblich
So wie Ingolf Beier geht es vielen, die Urheberrechte anderer verletzt haben, ob mit Absicht oder nicht. 4,3 Millionen Menschen – etwa sechs Prozent der Bevölkerung – wurden schon einmal abgemahnt, ergab eine Umfrage von Infratest Dimap im Auftrag der Verbraucherzentralen aus dem Jahr 2012. Durchschnittlich 800 Euro forderten die Kanzleien als Vergleichsbetrag pro Lied oder Film. Ein großer Teil der Gebühren entfällt auf die Anwaltskosten. Mit dem „Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken“, das am Freitag vom Bundesrat verabschiedet worden ist, steuert die Politik dagegen. Nach Inkrafttreten des „Anti-Abzocke-Gesetzes“ werden die Kanzleien höchstens rund 148 Euro an Anwaltsgebühren eintreiben können. Das liegt daran, dass der Streitwert per Gesetz auf 1000 Euro beschränkt werden soll. Bislang lohnt sich für die Kanzleien das Geschäft deutlich mehr – wegen Streitsummen, die in manchen Fällen bei rund 20 000 Euro liegen. Viele Abgemahnte scheuen den Gang vor Gericht und zahlen lieber die kleinere Vergleichssumme.
Im Einzelfall teurer
Ob das neue Gesetz den Betroffenen hilft, ist aber fraglich. Schließlich hat der Gesetzgeber schon einmal versucht, die Abmahngebühren einzudämmen. Im geltenden Urheberrechtsgesetz gibt es bereits jetzt eine Passage, die die Abmahngebühren auf 100 Euro begrenzt. Das Problem: Wenn die Rechtsverletzung „nicht unerheblich“ ist, dürfen die Kanzleien mehr verlangen. Oft liefert die Klausel den Anwälten den Vorwand, die Abgemahnten kräftig zur Kasse zu bitten: „90 Prozent der Urheberrechtsverletzungen, mit denen wir uns befassen, sind Filesharing-Fälle. Und die sind nie unerheblich“, sagt Ywona Husemann, Rechtsanwältin der Verbraucherzentrale Nordrhein- Westfalen. Beim Filesharing werden Daten von verschiedenen Nutzern geteilt. Dateifragmente werden oft gleich hoch- und heruntergeladen.
Zwischen 300 und 450 Betroffene berät die Verbraucherzentrale jeden Monat. Am neuen Gesetz kritisieren die Verbraucherschützer, dass es wie die alte Regelung Ausnahmen vorsieht: In Einzelfällen kann die Berechnung der Abmahngebühren nach dem Höchststreitwert „unbillig“ sein – dann dürfen die Anwälte mehr als die mageren Regelsätze kassieren. „Die Kanzleien werden sich nicht die Butter vom Brot nehmen lassen“, sagt auch der Kölner Rechtsanwalt Christian Solmecke. Seine Kanzlei Wilde, Beuger & Solmecke vertritt die Abgemahnten. Ähnlich wie die Kunden von Ywona Husemann steckt der Großteil seiner Mandanten wegen Filesharing in der Bredouille. Filesharing könnte auch nach dem neuen Gesetz teuer werden: „Manche sagen, dass die Deckelung der Abmahnkosten bereits dann unbillig ist, wenn einer nur ein Musikstück ins Internet stellt“, sagt Solmecke. Werde das Stück geteilt, entgingen den Produzenten erhebliche Einnahmen. Sollten Gerichte dieser Auffassung folgen, würde sich für die Betroffenen nur wenig ändern. Der Anwalt sieht aber noch ein weiteres Problem mit dem neuen Gesetz: „Bislang hat die Industrie es zum größten Teil unterlassen, die Schadensersatzansprüche geltend zu machen“, sagt er. Das könne sich nun ändern. „Die Firmen könnten ihre Schadensersatzansprüche hochschrauben. Das führt das neue Gesetz ad absurdum.“
KLARER GERICHTSSTAND
Einige Regelungen zum Vorteil der Verbraucher enthält das neue Gesetz aber doch: „Wir begrüßen es sehr, dass der fliegende Gerichtsstand abgeschafft werden soll“, sagt Verbraucherschützerin Husemann. Bislang durften die Anwaltskanzleien nämlich selbst entscheiden, bei welchem Gericht der Streit ausgetragen wurde. Wer wie Ingolf Beier aus verschiedenen Teilen Deutschlands Abmahnungen bekommen hat, hatte das Nachsehen. Mit dem neuen Gesetz muss der Rechtsstreit am Wohnort des Angeklagten ausgetragen werden.
Und: Die Kanzleien werden verpflichtet, genau aufzuschlüsseln, was der Abgemahnte an den Urheber des Werkes und was er an Gebühren an die Kanzlei zahlen soll. Das ist bislang nicht der Fall – oft nennen die Mahnschreiben schlicht eine Pauschale, die der Urheberrechtsverletzer zu zahlen hat.
Außerdem kann sich der Abgemahnte nach dem neuen Gesetz gegen die Abmahnung besser zur Wehr setzen. „Die Formalia, die bei einer Abmahnung erfüllt werden müssen, sind ziemlich streng“, sagt Christian Solmecke. Mache die abmahnende Kanzlei einen Fehler, könne der Abgemahnte nun seinerseits eine Gegenabmahnung losschicken, als Drohgebärde.
Ansonsten ändert die Strategie der Verteidigung durch das neue Gesetz nur wenig. Solmecke rät seinen Mandanten, Ruhe zu bewahren und eine Unterlassungserklärung zu unterschreiben – allerdings nicht die, die dem Abmahnungsschreiben beigefügt ist. Besser sei es, eine modifizierte Unterlassungserklärung vom Anwalt loszuschicken. Und dann: Abzuwarten.
Auch Ingolf Beier wartet ab. Er hat sich einen Anwalt genommen. Den alten Router hat er inzwischen stillgelegt und durch ein modernes Gerät ersetzt. Schon seit ein paar Wochen flattern keine neuen Mahnungen mehr ins Haus – Ingolf Beier hofft, dass das auch so bleibt. Sein Anwalt verhandelt inzwischen mit den unterschiedlichen Kanzleien. Vor Gericht ziehen will Ingolf Beier dagegen noch nicht, zumindest so lange nicht, bis der fliegende Gerichtsstand nicht endgültig aufgehoben ist. Das Risiko, dass die Gerichte nicht zu seinen Gunsten entscheiden, ist ihm im Moment noch zu hoch.
Julia Rotenberger
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