Nigeria: Mehr Megawatt für Deutschland
Im Rahmen der deutsch-nigerianischen Energiepartnerschaft profitieren Unternehmen wie Siemens enorm. Das Land selbst hat jedoch mit seinem Strommarkt zu kämpfen.
Ein kurzes Flackern, dann liegt halb Abuja im Dunkeln. Sekunden später beginnt das Dröhnen der Generatoren, und die Hauptstadt Nigerias beginnt wieder zu leuchten. Die Stromversorgung geht nicht nur in Abuja täglich mehrfach in die Knie. Von den rund 6000 Megawatt installierter Leistung im bevölkerungsreichsten Land Afrikas sind nach Einschätzung des Energieexperten Eze Onyekpere gerade mal 3200 Megawatt verfügbar. 40 Prozent der produzierten Strommenge geht beim Transport verloren. Nigeria gibt nach Berechnungen der Weltbank jedes Jahr 10,5 Milliarden Dollar für Dieselgeneratoren und deren Betrieb aus. Und mehr als die Hälfte der rund 150 Millionen Nigerianer ist bis heute nicht an das Stromnetz angeschlossen.
Eze Onyekpere vom Centre for Social Justice beobachtet im Auftrag der den Grünen nahestehenden Heinrich-Böll-Stiftung mit dem Projekt Energy-Watch den Privatisierungsprozess der Stromwirtschaft in Nigeria. Dafür gibt es gute Gründe, denn nach Regierungseinschätzung sind 80 Prozent der Privatisierungsprozesse bisher gescheitert. Dennoch erwartet Jeremy Gains, Koordinator der seit rund drei Jahren bestehenden deutsch-nigerianischen Energiepartnerschaft, dass diese Privatisierung gut gehen könnte. Schließlich sei die Privatisierungskommission gestrafft worden, und bei den Raffinerien sei das Ergebnis nicht schlecht.
Otis Anyaeji berät die Regierung bei ihrem ehrgeizigen Plan, bis 2020 die Erzeugungskapazität Nigerias auf 40 000 Megawatt zu erhöhen. Rund 6000 Megawatt seien derzeit im Bau, berichtet er. Darunter die Erweiterung eines Gaskraftwerks im Zentrum des Landes, mit der Siemens beauftragt worden ist. Zumindest für Siemens hat sich somit die vor drei Jahren von Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem damaligen Präsidenten Umaru Yar Adua unterzeichnete Energiepartnerschaft gelohnt. Denn Siemens war nach einem Korruptionsskandal – der Konzern hatte nigerianische Politiker mit rund zehn Millionen Euro geschmiert – in Ungnade gefallen. Doch nun erweitert Siemens sein Geschäft in Nigeria wieder.
Wenn Angela Merkel (CDU) in der kommenden Woche zum Kurzbesuch in Nigeria eintrifft, will sie ein deutsch-nigerianisches Wirtschaftszentrum eröffnen, um auch Eon und EnBW, die am Gasgeschäft interessiert sind, ein paar Türen zu öffnen. Es ist der erste Kanzlerbesuch in dem Land seit mehr als 30 Jahren. Merkel wird allerdings nur einen Teil der für Nigeria nicht gerade repräsentativen Hauptstadt Abuja zu sehen bekommen. Der Besuch dauert nur eine Nacht und einen halben Tag. Abuja wurde in den 60er Jahren geplant, und wer sich fragt, was aus dem vielen Ölgeld geworden ist, das Nigeria in den vergangenen 50 Jahren im Nigerdelta verdient hat, bekommt hier seine Antwort: Auf den sechsspurigen Boulevards fahren die teuersten Autos herum, und entlang der Prachtstraßen reiht sich Palast an Palast.
Mit der Privatisierung der Stromwirtschaft sollen neben der epileptischen Stromversorgung auch andere Probleme gelöst werden. Zehn Prozent der Stromkunden, denen Rechnungen geschickt werden, haben keine Stromzähler, und natürlich werden die Stromleitungen zudem massenhaft illegal angezapft. Kaum ein Nigerianer zahlt seine Stromrechnung. Durch die Privatisierung sollen die Preise um 100 oder sogar 200 Prozent steigen dürfen. „Aber die Leute müssen erst einmal eine Leistung sehen, bevor sie bereit sein werden, das auch zu zahlen“, sagt Eze Onyekpere. „Nigeria ist das einzige Land der Welt, in dem man eine Stromrechnung bekommt, den Strom aber selbst erzeugt“, sagt der Generalsekretär der Journalistengewerkschaft, Shuidu Usman Leman, sarkastisch. Eze Onyekpere geht noch einen Schritt weiter: „In Nigeria ist jeder seine eigene Regierung.“ Denn auch für die Wasserversorgung sei jeder selbst zuständig und dafür, Polizisten mit geeigneten finanziellen Anreizen dazu zu bringen, im eigenen Stadtviertel zu patrouillieren. Doch abgesehen von all diesen Unzulänglichkeiten muss es die neue Regierung auch mit den „mafiösen Strukturen“ der Generatorenwirtschaft aufnehmen, die gut von der immerwährenden Energiekrise lebt.
Die Stromversorgung war deshalb wie in jedem Wahlkampf seit dem Ende der Militärdiktatur 1999 ein Dauerbrenner. Die Regierung des neu gewählten Präsidenten Goodluck Jonathan misst dem Thema eine hohe Priorität zu. Jeremy Gains ist optimistisch, dass die Vorarbeiten der vergangenen drei Jahre nun schnell zu Ergebnissen führen könnten. „Jonathan kommt zwar aus der Ölförderregion im Süden, aber er versteht die erneuerbaren Energien“, sagt er. Abgesehen von dem Ausbau einiger Wasserkraftwerke soll es im Nordosten Nigerias in absehbarer Zeit auch einige große Solarkraftwerke geben. Derzeit werde für die Landeshauptstadt Jola im Staat Adamawa eine Machbarkeitsstudie für eine große Photovoltaik-Anlage erstellt, die eine Kapazität von rund 30 Megawatt haben könnte. Otis Anyaeji kalkuliert das Potenzial kleiner Laufwasserkraftwerke auf rund 14 000 Megawatt. Damit könnten Gemeinden mit Strom versorgt werden, die weitab vom nationalen Netz liegen, sagt er. Anyaeji spricht zudem von neuen Kohlekraftwerken, die ebenfalls auf dem Wunschzettel der Regierung stehen. Doch private Investoren, um sie zu bauen, sind derzeit noch nicht in Sicht.
Dass die deutsch- nigerianische Energiepartnerschaft selbst Energieexperten vor Ort bisher völlig unbekannt ist, führt Gains auf die Wirren der vergangenen zwei Jahre zurück. Der Präsident Yar Adua erkrankte schwer, monatelang wurde Nigeria überhaupt nicht regiert, bis sein Stellvertreter Goodluck Jonathan die Amtsgeschäfte übernahm – und dann war schon wieder Wahlkampf. Derzeit wird die neue Regierung konstituiert. Erst danach lässt sich abschätzen, was von den ehrgeizigen Plänen umgesetzt wird. Denn in Nigeria „kreist das ganze Land um die Regierung“, sagt Gewerkschafter Leman.
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