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Die Welt mit den Augen von Google. Auf der Entwicklerkonferenz Google I/O in San Francisco stellte Sergej Brin, einer der beiden Unternehmensgründer, die Video-Brille „Google Glass“ vor. Mit der Brille kann man auch telefonieren.
© AFP

Mobilfunk der Zukunft: Mehr als telefonieren

Eine neue, mobil erfahrene Generation kommuniziert anders - und öffnet Handynetzbetreibern neue Wege. Experten erwarten, dass in diesem Jahr hierzulande 18 Millionen Smartphones verkauft werden.

Berlin - Der letzte Schrei ist eine Brille. Vor wenigen Tagen stellte Google sein „Glass Project“ vor – eine Multimedia-Brille, die es dem Träger ermöglicht, Filme zu schauen, sich mit anderen Menschen über Videotelefonie zu unterhalten, Verkehrsinfos während der Autofahrt einzuspielen oder die Wettervorhersage auf die Innenseite des Glases zu projizieren. Gesteuert wird sie mit einem Touchpad, über die Augen und die Stimme.

„Die klassische Telefonie stirbt nicht aus, aber die Geräte werden universeller“, erklärt Andreas Gentner von der Beratungsfirma Deloitte. 20 Jahre nach dem Start des digitalen Mobilfunks in Deutschland verwischen für den Nutzer die Grenzen zwischen Netzbetreibern, Geräteherstellern und Anwendungsanbietern immer mehr. Wer ein Smartphone hat, kann damit sein Leben unterwegs organisieren: Dem Partner eine Nachricht schicken, navigieren, im Internet recherchieren, die Fotos vom letzten Kurztrip sortieren. Vielleicht sogar telefonieren.

Was für den Nutzer alles eins ist, bedeutet für die Netzbetreiber, dass sie ihr Feld mit immer mehr Konkurrenz teilen müssen. Etwa beim lukrativen Geschäft mit den Kurznachrichten. Durchschnittlich 700 SMS versendet jeder deutsche Handybesitzer jährlich. Mit den multimediafähigen Geräten kamen jedoch Dienste wie Whats App auf den Markt, die für eine geringe einmalige Gebühr kostenfreien Versand von Textnachrichten, Fotos und Videos bieten. Die niederländische KPN, die hierzulande mit dem Netzbetreiber E-Plus vertreten ist, begründete ihren Gewinneinbruch Anfang dieses Jahres unter anderem mit wegbrechenden Einnahmen im SMS-Geschäft.

Die großen Mobilfunkbetreiber haben sich inzwischen auf einen neuen Standard geeinigt, den sie noch im laufenden Jahr unter dem Namen Joyn ausrollen wollen. Er soll die SMS mittelfristig ersetzen und durch mehr Komfort zu einer Art mobilem Facebook auf dem Smartphone werden. Die Konzerne hoffen, auf diese Weise wieder konkurrenzfähig zu werden und den Gewinnbringer Nachrichtendienst zu retten. Die großen Smartphone-Hersteller wie Samsung, HTC, Sony und Nokia wollen mitmachen. Apple hingegen betreibt mit iMessage einen eigenen Dienst.

Der gemeinsame Standard und die Einigung mit den Geräteherstellern ist für Fachleute ein Weg, auf dem die Netzbetreiber in Zukunft verstärkt wandeln sollten. „Neben dem Ausbau der Netze ist Kooperation mit Unternehmen aus dem App- oder Gerätebereich sicher eine vielversprechende Strategie“, sagt Mobilfunk-Experte Gentner. Bei der Netztechnik haben alle Betreiber bis auf E-Plus kürzlich die vierte Generation namens LTE an den Start gebracht, die UMTS nach und nach ablösen soll. Das mobile Surfen soll damit in der gleichen Geschwindigkeit möglich sein, wie es die Nutzer von ihren Internetanschlüssen zu Hause gewohnt sind. Beim stetig wachsenden Datenvolumen, das durch mobil übertragene Videos, Fotos und Musikdateien anfällt, ist absehbar, dass auch LTE an Grenzen stoßen wird. An der fünften Generation der Netze wird deshalb bereits gearbeitet.

Die Zahl der verkauften Smartphones wird im laufenden Jahr in Deutschland auf 18 Millionen steigen, schätzt die Gesellschaft für Unterhaltungs- und Kommunikationselektronik (gfu). Vor allem jugendliche Mobilfunknutzer, Studierende sowie junge Gut- und Topverdiener gelten nach einer aktuellen Studie der GfK als stark vernetzt. Fast 90 Prozent in dieser Gruppe bestätigen, dass sich ihr Leben durch die ständige Kommunikation grundlegend geändert hat. Sie suchen Informationen überwiegend online. Zeitungen und Zeitschriften auf Papier hingegen lesen sie kaum noch. Für mehr als die Hälfte von ihnen wäre es schlimmer, das Smartphone zu verlieren als die Geldbörse.

Das unterstreicht die wachsende gesellschaftliche Bedeutung der mobilen Kommunikation. Für die Anbieter wächst damit die Zahl der Kunden, die künftig auch exotische Dienste massentauglich machen könnten. Mobile Payment, also das Bezahlen über das Handy, ist so ein Fall. Zwar gibt es immer wieder Versuche von Netzanbietern und Kreditkartenfirmen, solche Bezahlsysteme zum Erfolg zu führen und sich damit neue Einnahmequellen zu erschließen. Neben der Tatsache, dass es sich dabei meist um Insellösungen handelt, die nicht die kritische Masse an Kunden begeistern, fehlt es laut Fachleuten vor allem an einem: Vertrauen. Geldgeschäfte wickeln Menschen bislang ungern auf diesem Weg ab – mit einer neuen, mobil erfahrenen Generation könnte sich das ändern.

Weniger kritische Dienste werden einfacher den Weg zu den Nutzern finden. Durch die hohe Bandbreite von LTE soll es beispielsweise möglich werden, Autos massenweise mit Sim-Karten auszustatten, sodass sie etwa mit Verkehrsdiensten kommunizieren können.

Ob die Brille wirklich der letzte Schrei wird? Google-Gründer Sergej Brin ist sich sicher. Mobilfunk-Experte Gentner hingegen weniger. „Technologisch ist das hochinteressant. Aber ich bezweifle, dass die Menschen permanent mit einer Brille herumlaufen, nur weil jederzeit ein Anruf kommen könnte.“

Simon Frost

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