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„Mathematik öffnet Türen.“ Dennoch bleibt ein großes Risiko, dass Studierende sich mit einem Start-up verheben.
© Armin Weigel/dpa

Gründen während des Studiums: Lohnt es sich, in der Coronakrise ein Start-up zu gründen?

Während des Studiums ein Start-up zu gründen, ist riskant. Besonders in diesen Zeiten. Warum es dennoch viele tun – eine Beispielsuche.

Warum tut man sich das an, neben dem Studium noch ein Start-up zu gründen? Warum wartet man nicht? Zwar geht das allgemeine Gründungsinteresse in Deutschland seit Jahren zurück, dies wirkt sich jedoch nicht auf Gründungen von Start-ups aus. Immer mehr gut ausgebildete Menschen entscheiden sich laut dem Deutschen Startup Monitor 2019 gegen eine sichere Anstellung und gehen das Risiko einer Start-up-Gründung ein.

Für Studierende gibt es ein doppeltes Risiko: das Risiko, zu gründen, und das Risiko, durch die Gründung das Studium zu gefährden. Und doch entscheiden sich viele dafür.

Einer von ihnen ist Benjamin Gareis. Der 27-jährige Mathematik-Student hat im November 2019 mit seinem Co-Gründer Egemen Aksungur das Start-up „reachtag“ gegründet – und eine Lösung gegen den Verlust von Alltagsgegenständen entwickelt, die Finder und Besitzer miteinander verbindet. Das ist über Sticker oder Anhänger mit einer Telefonnummer möglich, die etwa am Handy oder Geldbeutel angebracht werden.

Diese Unternehmensnummer ruft der Finder an, gibt die ID-Nummer ein, die auf dem Sticker steht – und dann ruft reachtag beim Besitzer an. Doch angesichts der Coronakrise ist die Arbeit derzeit massiv eingeschränkt, wie Gareis berichtet: Die Leute seien schlichtweg nicht mehr so kauffreudig wie zuvor.

Schnell ein neues Tool entwickelt

Aufgeben war für sein Start-up keine Option, es hat sich an die veränderte Situation angepasst. Nun entwickelt es zusätzlich zu den bereits bestehenden Artikeln das Tool meditag, das medizinische Daten des Patienten an die behandelnden Ärzte übermittelt. Das große Plus ist für den studentischen Gründer: „Ich habe noch keine Kinder, niemand ist aktuell von mir abhängig. Wenn es gut läuft, werde ich irgendwann Arbeitgeber sein. Wenn es schlecht läuft, habe ich trotzdem viel gelernt.“

Das sieht der Bundesverband Deutsche Startups ähnlich: Das Studium sei eine gute Zeit zum Gründen. Geringe Lebenshaltungskosten, Vergünstigungen im Alltag und die vorhandenen Strukturen sowie das Know-How der Universitäten würden Studierende zum Gründen überzeugen. „In so einer Situation kann man sich auf ein Risiko einlassen“, meint ein Sprecher.

Doch mit der Corona-Pandemie kommt nun ein Risiko hinzu, das noch vor wenigen Monaten niemand vorhersehen konnte: „Gerade jetzt müssen sich studentische Gründer mehr denn je fragen, ob der Markt fähig ist, ihr Produkt oder ihre Dienstleistung aufzunehmen. Wenn es zu viele Unsicherheitsfaktoren gibt, sollte man lieber noch ein paar Monate warten.“

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Zwar gebe es in der Szene einige, die Gründern, die während der Coronakrise ihr Start-up aufbauen, Ausdauer und Hingabe attestieren – doch die Mehrheit der Experten rate davon ab, jetzt zu gründen. Generell seien die Konsumenten weniger kauffreudig und konzentrierten sich mehr auf konventionelle Produkte als innovative Ideen von Start-ups. Aber um genau diese zu fördern, fordert der Verband mehr finanzielle Unterstützung für die Gründungszentren der Hochschulen.

Mehr Unternehmertum ausbilden

Tobias Kollmann, Inhaber des Lehrstuhls für E-Business und E-Entrepreneurship an der Universität Duisburg-Essen, betont: „Gründungszentren an den Hochschulen sind notwendig, aber noch nicht hinreichend für die Menge und den Erfolg von studentischen Ausgründungen.“ Doch mit dem Ausbau der Gründungszentren sei es nicht getan, er will fächerübergreifend mehr Unternehmertum in die Hörsäle bringen.

„An vielen Hochschulen wird immer noch primär für ein Angestelltentum und nicht für ein Unternehmertum ausgebildet. Das muss sich ändern, denn die Hochschulen sind die wesentliche Quelle für zukünftige Gründer und zugehörige Start-ups“, sagt Kollmann. Professoren müssten sich mit Leitern von Gründungszentren mehr vernetzen und Studierende aktiv zum Gründen anleiten. Noch immer würden zu wenige Studierende den Schritt in ein Gründungszentrum machen, da es meist institutionell vom Hochschulbetrieb getrennt sei.

Das Bundeswirtschaftsministerium teilt dazu auf Anfrage mit: „Die Verstetigung der Gründungsunterstützungsangebote an den Hochschulen ist ein Dauerthema, da häufig die dort beschäftigten Mitarbeiter nur über Drittmittelprojekte befristet beschäftigt werden und wichtiges Erfahrungswissen bei häufigem Personalwechsel verloren geht.“

"Jonglieren von Prioritäten"

Gareis, der nach seinem Bachelorabschluss 2016 an der TU Berlin dort mittlerweile im Master studiert, hat nicht warten wollen. Er sagt: „Mathe öffnet einem viele Türen, man hat nur keine Ahnung, was dahinter ist.“ Vollends geöffnet hat sich die Tür im Juni 2019, als sich das Team mit seinem Prototypen an das Centre for Entrepreneurship der TU Berlin wendet und ab dann auch für sieben Monate mit dem Berliner Startup-Stipendium gefördert wird. Zwar musste sich Gareis für die Förderung beurlauben lassen, doch ab dem Sommersemester steigt er wieder ins Studium ein: „Ich werde zwischen Arbeit und Studium hin und her wechseln. Das ist ein Jonglieren von Prioritäten.“

Die Krise ist in den Sitzungen der vier Psychologie-Studierenden Leonie Müller, Carolin Blanck, Willi Weisflog und Lisa Rauber das Thema Nummer eins: Sie haben, trotz der Coronakrise, mit ihrem Start-up „Kopfsachen“ am Gründerhaus der HU Berlin den Gründungsprozess eingeleitet.

Sie werden psychologische Workshops für Schüler in einem Umfang von vier bis sechs Schulstunden anbieten und dabei Themen wie psychische Gesundheit, Gruppendruck und Mobbing behandeln. Durch die Coronakrise entwickelt das Start-up zwangsläufig Videosequenzen und Webinare für die Schüler. Zwar gehe gerade jetzt das klassische Studentenleben etwas verloren – aber gleichzeitig sagt Leonie Müller auch: „Es ist irgendwie toll, richtig mit anzupacken.“

Katharina Horban

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