Trotz Schweinepest: Lidl bietet Wurst aus Polen an - und sorgt für Empörung
Die deutschen Schweinebauern haben Angst vor der Afrikanischen Schweinepest. Polen ist bereits befallen.
Am besten einen Haufen Gülle vor die nächste Lidl-Filiale kippen - diesen Wunsch hegt derzeit so manch ein deutscher Schweinebauer. Der Discounter hat die Branche mit seinem aktuellen Angebot osteuropäischer Spezialitäten vor den Kopf gestoßen, mit Produkten wie Polnischer Rohwurst der Lidl-Eigenmarke „Kuljanka“. In den Augen der Landwirte ist das wegen der Afrikanischen Schweinepest, die im Nordosten Polens kursiert, ein Unding.
Die Schweinebauern fürchten, dass das Virus per Wurstimport auch nach Deutschland kommen könnte. An der Aufregung ist das Bundeslandwirtschaftsministerium wohl nicht ganz unschuldig: Hier wird davor gewarnt, dass Fernfahrer und Saisonkräfte aus Osteuropa infizierte Fleisch- und Wurstwaren mitbringen könnten. Wenn diese etwa an Raststätten auf die Wiese geworfen und dort von Wildschweinen gefressen werden, könne sich die Seuche ausbreiten.
Lidl verweist auf strenge Qualitätskontrollen und saubere Zulieferer, der Verband der Fleischwirtschaft warnt vor Panikmache, aber die Verwirrung und die Ängste hinsichtlich der Afrikanischen Schweinepest (ASP) bleiben groß. „Wie soll Lidl zu 100 Prozent ausschließen, dass hier kein bereits erkranktes Schwein geschlachtet und verarbeitet wurde?“, kommentiert ein Leser auf der Website der Fachzeitschrift „Top Agrar“. Das Medium hatte das Lidl-Angebot als erstes thematisiert und damit den Nerv zahlreicher Tierhalter getroffen. „Die Landwirte sind derzeit alarmiert und sensibel bei dem Thema“, heißt es aus der „Top Agrar“-Redaktion, „es geht schließlich im Zweifel auch um die Existenz eines landwirtschaftlichen Betriebes“.
Denn obwohl es in Deutschland bisher keine Fälle der Afrikanischen Schweinepest gibt, sind die Zahlen aus Osteuropa alarmierend. Neuerkrankungen von Wild- und auch Hausschweinen werden vor allem in Litauen und Polen verzeichnet. „Dort wurden im Jahr 2015 insgesamt 1639 Fälle gemeldet - aktuell haben wir schon über 1000 Fälle in den vergangenen zwei Monaten“, sagt Elke Reinking, Sprecherin des Friedrich-Loeffler-Instituts (FLI), dem Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit. „Diese Ausbruchszahlen sind schon heftig, und ein Ende ist nicht in Sicht.“ Menschen erkranken generell nicht an dem Erreger.
Die Debatte sei „kurzsichtig und schädlich"
Das Institut verweist jedoch auch darauf, dass nichts gegen ganz normale Lebensmittel aus jenen Regionen in Polen spricht, die nicht betroffen sind. „Man müsste sich nur einmal vorstellen, in Nord-Deutschland gäbe es Fälle von Schweinepest und in der Folge dürften auch süddeutsche Betriebe nichts mehr verkaufen“, argumentiert Reinking. „Aus den restriktierten Zonen in Polen kommt nichts raus, dafür sorgen die Veterinärbehörden vor Ort.“ EU-Regelungen legen fest, dass aus diesen Regionen kein Tier und kein Fleisch gebracht werden darf.
Darauf beruft sich auch Lidl. Der Rohstoff für die Wurstwaren stamme sowohl aus Zentral- als auch aus Osteuropa, teilte das Unternehmen mit. Und weiter: „In Ländern, die von der Afrikanischen Schweinepest betroffenen sind, beziehen wir ausschließlich Rohstoffe aus den sogenannten freien Gebieten, in denen gemäß des Durchführungsbeschlusses 2018/169 der Europäischen Kommission vom 1. Februar keine Beschränkungen aufgrund der ASP vorliegen. Zudem führen unsere Lieferanten beim Fleischrohstoff grundsätzlich strenge Qualitätskontrollen durch.“
Der Verband der Fleischwirtschaft (VDF) steht dem Discounter bei. Die Debatte über polnische Wurst sei „kurzsichtig und schädlich, auch für deutsche Schweinehalter“, sagt VDF-Geschäftsführerin Heike Harstick. Wer den Eindruck erwecke, dass Schweinefleisch aus Ländern mit ASP gefährlich sei, stelle die Wirksamkeit der gesetzlichen ASP-Maßnahmen in Frage. Dafür aber gebe es keinen Grund. „Die Festlegung von Restriktionsgebieten ist in der gesamten EU so gestaltet, dass eine Verbreitung der Seuche über Fleisch von Hausschweinen, das amtlich für genusstauglich erklärt ist und damit im gesamten Binnenmarkt frei verkehrsfähig ist, ausgeschlossen wird.“
Eine 100-prozentige Sicherheit gibt es nicht
Ob das 100-prozentige Sicherheit bringt, wie die Landwirte fordern, bleibt dennoch offen. „Wer tonnenweise Rohstoff einkauft, müsste Tausende von Schweinen prüfen, um absolute Sicherheit zu haben. Das wird nie gehen, es wäre auch zu kostenintensiv“, sagt Veterinär Otto Hornstein vom Schweinegesundheitsdienst der Tierseuchenkasse Baden-Württemberg. „Eigentlich dürfte ja auch gar nichts in die Lebensmittelkette gelangen, aber es passiert eben doch auch immer wieder.“ Hornstein und seine Kollegen führen deshalb vorsorglich für die Landwirte Info-Veranstaltungen durch. „Außer die Bestände selbst zu sichern, können wir nichts machen“, sagt er.
Dass nicht nur Wildschweine das Virus weitertragen, sondern auch der Mensch ein großer Risikofaktor ist, zeigt ein Blick auf die Landkarte. In Polen ist der Nordosten des Landes betroffen. Mehr als 300 Kilometer südlich gibt es einen weiteren Ausbruch im östlichen Tschechien. Dazwischen: schweinepestfreie Zone. Dass der Erreger von Menschen über diese Distanzen von 300 bis sogar 1000 Kilometern transportiert wurde, gilt als so gut wie sicher.
Für die Fernfahrer und Saisonkräfte aus ASP-Gebieten wie Polen, Russland und der Ukraine hat das Bundeslandwirtschaftsministerium an Raststätten nun mehrsprachige Hinweisplakate angebracht mit dem Aufruf, Essensreste unbedingt in geschlossene Mülleimer zu entsorgen. Das Virus überlebt gerade in Wurst und sogar in tiefgekühltem Fleisch ausgezeichnet - es hält sich monatelang, sagt Elke Reinking vom FLI.
Sie glaubt, dass die Afrikanische Schweinepest Deutschland durchaus treffen kann - wenn auch nicht wegen der Wurst von Lidl. „Wir sehen derzeit eine neue Dynamik bei der Verbreitung der Seuche. Wir wissen nicht, ob sie kommt oder wann. Aber wenn man sich die Zahlen anschaut, kann es durchaus sein.“ Wie Tierarzt Hornstein empfiehlt auch sie: „Jetzt ist es die Zeit für Schweinehalter, vorzusorgen und zu schauen, ob man sich an die Schweinehaltungshygieneverordnung hält. Durch Hygiene hat man gute Voraussetzungen, seine Tiere zu schützen.“ dpa
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