Wirtschaft: Kundenkarten: Durchblick durch den Kunden
Sobald die Kassiererin den Code der Club Card eingescannt hat, kennt der englische Supermarkt Tesco seinen Kunden wieder ein Stückchen besser. Die gekauften Produkte sind registriert - und Tesco weiß genau Bescheid: die "Preissensiblen" achten auf billige Angebote, die "Gesunden" mögen Bio-Nahrung, der "Durchschnittskunde" hat eine Familie, der "Komfort"-Shopper ist der typische Single.
Sobald die Kassiererin den Code der Club Card eingescannt hat, kennt der englische Supermarkt Tesco seinen Kunden wieder ein Stückchen besser. Die gekauften Produkte sind registriert - und Tesco weiß genau Bescheid: die "Preissensiblen" achten auf billige Angebote, die "Gesunden" mögen Bio-Nahrung, der "Durchschnittskunde" hat eine Familie, der "Komfort"-Shopper ist der typische Single. Und das sind nur die vier Hauptgruppen. Kaufgeschichte und persönliche Daten verraten so viel, dass Tesco die 14 Millionen Karteninhaber in 100 000 verschiedene Untergruppen aufteilt. So viel persönlich zugeschnittene Mailings flattern dann auch in die Briefkästen. Der Reiz für die Kunden: Punkte sammeln, für die es Rabatte, Reisen, und andere Prämien gibt.
"Tesco ist weltweit vorbildlich bei Kundenkartensystemen", sagt Alexander Lintner, Partner bei der Unternehmensberatung Boston Consulting. Soweit entwickelt sind die deutschen Systeme noch nicht. Es gibt auch viel weniger Karten. Während die Engländer im Schnitt 2,3 und die Franzosen 1,6 Karten besitzen, haben die Deutschen nur 0,6 Karten im Portemonnaie. Allerdings ist der Markt für die Bonuskarten auch hier mächtig in Bewegung geraten: Marktführer Payback hat zusammen mit Visa eine Zahlfunktion eingeführt, und Karstadt-Quelle kooperiert mit der Telekom, um die Kunden mit der "Happy Digits"-Karte besser kennen zu lernen. Ob Ikea, Douglas oder Görtz - die Kundenkarten vermehren sich rasant. Sogar Parteien setzen auf die Karte: die SPD-Card bietet einen speziellen Riester-Renten-Tarif mit der Victoria-Versicherung an. Während die Vorteile für die Unternehmen einfach nachzuvollziehen sind, ist jedoch fraglich, was der Verbraucher wirklich davon hat.
Die Händler haben vor allem eines im Sinn: ihren Kunden so gut wie möglich kennen zu lernen. Das bestätigt auch Metro, die Payback-Mitglied ist und zu 50 Prozent an dem System beteiligt ist. "Wir versprechen uns wesentlich detailliertere Informationen über unsere Kunden", sagt Michael Schmidt, Sprecher der Gruppe. Durch das persönlich zugeschnittene Anmailen können die Unternehmen mächtig sparen. Tesco gibt deswegen rund 300 Millionen Pfund weniger pro Jahr aus. Weiterer Vorteil: Kunden mit Karte wandern 20 bis 50 Prozent weniger oft zum Konkurrenten ab und geben bis zu 15 Prozent mehr aus, fand die Unternehmensberatung Accenture heraus.
Soweit wie Tesco ist noch kein deutsches System: Payback registriert nicht die einzelnen Produkte, sondern lediglich die Umsätze. Der deutsche Marktführer weiß also nur, wieviel Geld der Kunde bei obi, dm oder einem anderen der Partnerunternehmen ausgibt. Zusammen mit Daten wie Alter oder Geschlecht, die zwangsläufig mit Unterzeichnung der Karte bekannt werden, reicht das aber schon aus, um spezifische Kundensegmente zu erstellen.
Allerdings müssen die Kunden auch geködert werden, um ihr Einkaufsverhalten preiszugeben: "Die Prämien, die die Käufer zum Unterschreiben der Karte locken sollen, sind der Schlüssel zu ihrem Erfolg", sagt Lintner. Das pure Rabattsystem wie bei Payback habe mittelfristig keine Zukunft. Die Prämien müssten etwas bieten, was man für Geld nicht kaufen kann. Wichtig sei, dass der Kunde sich emotional und weniger aus rationalen Überlegungen für die Karte entscheidet. Während Payback darauf schwört, allgemein brauchbare Gegenstände wie Toaster oder Computer für die gesammelten Punkte zu bieten, plant Happy Digits auch emotionale Prämien - das könnten zum Beispiel Konzertkarten für ein heiß begehrtes Britney Spears Konzert sein.
Von Kundenseite aus ist der Nutzen der Bomuskarte nicht ganz so eindeutig wie für die Unternehmen. "Mehr als drei Prozent Rabatt bieten die Kartensysteme normalerweise nicht", sagt Jürgen Schröder von der Verbraucherzentrale NRW. Die Karteninhaber sollten nicht aufhören, die Preise zu vergleichen, um Scheinrabatte zu erkennen, rät er. Und: Wer einen Coupon in der Hand hält, neigt nicht dazu, weiter zu verhandeln. "Das setzen Händler gezielt ein, um Rabattverhandlungen aus dem Weg zu gehen".
Das Hauptanliegen der Kundenkarten ist es, möglichst viel über den Käufer zu erfahren. Daher sollten Verbraucher besonders auf den Datenschutz achten. Beispiel SPD-Card: Der Kooperationspartner Victoria-Versicherungen klapperte fröhlich die SPD-Ortsvereine ab, um Adressen zu kassieren. Manche Sekretärin war so überrumpelt, dass sie die Daten heraus rückte. Die Marketingagentur, die das Tesco-System managt, verkauft die Daten sogar weiter - anonymisiert, aber immerhin. Payback ist bereits Träger des "Big-Brother-Awards", mit dem der größte Datenschutzsünder der Republik ausgezeichnet wird. Das Landgericht München schränkte in einem Urteil die Nutzung bei Payback von Kundendaten ein. "Die Zustimmung zur Verwendung der Daten wird oft mit einem unauffälligen Kreuzchen eingeholt", sagt Thilo Weichert, Vorsitzender der Deutschen Vereinigung für Datenschutz. "Die Systeme sind oft so komplex, dass der Kunde nicht mehr durchblickt."
Trotz der zweifelhaften Vorteile ködern die Systeme die größten Experten: BCG-Berater Lintner war in London selbst Tesco-Karteninhaber. "Zweimal habe ich meine Punkte für heiß begehrte Tickets für ein Konzert im Hyde Park in eine Club-Card-Lotterie gesteckt. Zweimal bin ich leer ausgegangen - aber irgendwie hat es Spaß gemacht mitzumachen, und dazu zu gehören."
Flora Wisdorff
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