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Wirtschaft: Künasts Kampf für schlanke Kinder – Hilfe oder PR-Gag?

Experten: Neuer Plattform „Bewegung und Ernährung“ fehlt eine breite Basis / Industrie soll Zucker und Fett reduzieren

Berlin – Gesundheitsexperten und die Opposition haben die neue Initiative von Verbraucherministerin Renate Künast (Grüne) zur Bekämpfung von Übergewicht bei Kindern kritisiert. „Wenn eine Präventionskampagne wirklich wirken soll, müssen alle gesellschaftlichen Gruppen über mehrere Jahre mitmachen – Bund, Länder, Schulen, Universitäten, Kirchen, Arbeitgeber und Sportvereine“, sagte Rolf Rosenbrock, Mitglied im Gesundheits-Sachverständigenrat und Professor am Wissenschaftszentrum Berlin, dem Tagesspiegel. „Sonst ist das Ganze nur eine reine PR-Show ohne Wirkung, und man kann sich den Aufwand sparen.“

Künast hatte am Freitag mit mehreren Verbänden offiziell die „Plattform Ernährung und Bewegung“ gegründet. Neben dem Verbraucherministerium gehören sieben Gruppen zu den Gründungsmitgliedern, darunter die Lebensmittelindustrie, der Deutsche Sportbund und die Krankenkassen. „Das Problem Übergewicht ist zu groß und zu dick, um es zu ignorieren“, sagte Künast am Freitag. Kinder müssten schon früh lernen, sich richtig zu ernähren und ausreichend zu bewegen. Sieben bis acht Prozent der Kinder und Jugendlichen leiden nach Angaben des Verbraucherministeriums an Fettleibigkeit, jedes fünfte Kind und jeder dritte Jugendliche hätten Übergewicht.

Für den 29. September kündigte Künast einen Gründungskongress in Berlin an. Dann soll über Inhalte und auch über Geld geredet werden. Die Ministerin sagte, über die Plattform solle der wissenschaftliche Austausch ermöglicht werden. Unter Umständen sollten aber auch konkrete Projekte angestoßen werden. Außerdem solle die Plattform mit der geplanten bundesweiten Präventionsstiftung vernetzt werden, die Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) mit den Krankenkassen auf den Weg bringen will.

Doch unter Experten ist das Projekt durchaus umstritten. Rosenbrock kritisierte ebenso wie Politiker der Union die mangelnde Abstimmung mit dem Gesundheitsministerium. „Die Zentrale für gesundheitliche Aufklärung hat für das Gesundheitsministerium schon umfangreiche Broschüren zu dem Thema erstellt. Das muss Frau Künast nicht neu erfinden“, sagte Julia Klöckner, Expertin für gesundheitspolitischen Verbraucherschutz der Unions-Fraktion. Klöckner befürchtet, dass Künast die Plattform auch als PR-Instrument für ihr neues Buch „Die Dickmacher“ missbrauchen könnte, das im September erscheinen soll. „Wir haben die Sorge, dass es sich um einen Marketing-Gag von Frau Künast handelt“, sagte auch die verbraucherpolitische Sprecherin der Unions-Fraktion, Ursula Heinen. „Dafür ist das Thema zu ernst.“ Zudem mahnte Heinen an, dass die Länder stärker beteiligt werden müssten, in deren Verantwortung die Schulen liegen.

Die Arbeitsgemeinschaft Adipositas im Kindes- und Jugendalter e.V. forderte, dass sich die Lebensmittelindustrie im Rahmen der Plattform zu einer Reduzierung von Zucker und Fett in ihren Produkten verpflichten müsse. „Sonst werden bald Gesetze und andere staatliche Eingriffe notwendig, um das Problem in den Griff zu bekommen“, sagte Wolfgang Siegfried, Vorstand der Arbeitsgemeinschaft. Kinder und Jugendliche würden heute mit 100 Gramm Zucker am Tag doppelt so viel Süßes zu sich nehmen wie von Medizinern empfohlen. Der Verein sei laut Siegfried noch erheblich unterfinanziert: „Um eine sinnvolle Präventionsarbeit leisten zu können, werden mindestens 20 bis 30 Millionen Euro benötigt.“

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