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Neuer Ton: Aufsichtsratschef Pötsch verneigte sich am Mittwoch rhetorisch tief vor den Anteilseignern.
© dpa

Volkswagen-Hauptversammlung: Kleinaktionäre rechnen mit Konzernführung ab

Bei der ersten VW-Hauptversammlung seit der Aufdeckung des Diesel-Skandals kritisieren die Kleinaktionäre die Führung des Konzerns vehement. Tumulte aber bleiben aus.

In der Messehalle in Hannover klappert am Buffet für die VW-Aktionäre schon das Geschirr, als Matthias Müller im großen Saal nebenan den Satz sagt: „Der epochale Wandel, der sich gerade vollzieht, ist unser Verbündeter, nicht unser Feind.“ Der VW-Chef hat sich am Mittwochmorgen auf der Hauptversammlung gerade bei den rund 3000 anwesenden Aktionären für die Diesel-Affäre entschuldigt. Das Fehlverhalten habe „unser höchstes Gut beschädigt: das Vertrauen der Menschen in unser Unternehmen und unsere Produkte“. Volkswagen stehe „in der größten Bewährungsprobe seiner Geschichte“, sagt Müller. Eine Formulierung, die auch Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch wählt. Beide verneigen sich in Hannover rhetorisch tief vor den Anteilseignern – in Erwartung eines stürmischen Aktionärstreffens. Aber von Tumult kann kaum die Rede sein. Man kennt inzwischen den neuen Ton der VW-Führung, mit dem sie seit Monaten versucht, Europas größten Autohersteller verbal aus der Diesel-Krise zu führen.

Wenig Neues können Pötsch und Müller zum Stand der Aufklärung sagen. Der Bericht der unabhängigen Kanzlei Jones Day bleibt unter Verschluss, solange VW in den USA keine Einigung mit den Justiz- und Umweltbehörden erzielt hat. Auf gutem Weg sei man dort, versichert Pötsch. Aber die Gespräche, in denen es um Rückkäufe, Reparaturen und Schadenersatz in Milliardenhöhe geht, seien in einem „sensiblen Stadium“. US-Richter Charles Breyer hatte die Frist für einen Vergleich bis zum 28. Juni verlängert. „Ich hatte gehofft, Ihnen heute schon über einen umfassenden Vergleich in den USA berichten zu können“, sagte Pötsch.

An der Rolle des Aufsichtsratschefs entzündet sich Streit. Pötschs Stellvertreter im Aufsichtsrat, IG-Metall-Chef Jörg Hofmann, spricht dem früheren VW-Finanzchef und engem Vertrauten Martin Winterkorns das Vertrauen aus und votiert für dessen ordnungsgemäße Wahl in das Kontrollgremium. Pötsch war erst im Herbst per Gerichtsbeschluss ins Amt gekommen. Doch seine Rolle im früheren VW-Vorstand und der vorzeitige Wechsel in den Aufsichtsrat stoßen vielen Anteilseignern auf. Einige Aktionäre stellen den Antrag, Pötsch als Versammlungsleiter abzuwählen, den „blinden Wegseher“, wie der Aktionär Manfred Klein sagt. „Sie sind der personifizierte Interessenkonflikt und mimen hier den Aufklärer“, hält Markus Dufner, Vertreter der Kritischen Aktionäre, Pötsch entgegen. Die Aktionärsversammlung applaudiert, es kommt zur ersten Unterbrechung.

Zu mächtig ist der Rückhalt, den Vorstand und Aufsichtsrat durch die Großaktionäre genießen

Der Antrag scheitert erwartungsgemäß, ein zweiter im Verlauf der Hauptversammlung ebenfalls. Zu mächtig ist der Rückhalt, den Vorstand und Aufsichtsrat durch die Großaktionäre genießen, die Familien Porsche und Piëch, das Land Niedersachsen und Katar, die zusammen rund 89 Prozent der Stimmrechte halten. Zu Beginn der Hauptversammlung hat sich die neu zur Wahl in den Aufsichtsrat aufgestellte Vertreterin Katars, die Ingenieurin Hessa Al Jaber, bereits hinter die VW-Führung gestellt.

Doch in Hannover machen nicht nur Einzelne ihrem Ärger Luft. Hans-Christoph Hirt, der für den britischen Pensionsfonds Hermes spricht, greift Vorstand und Aufsichtsrat scharf an und warnt: „Es geht um mehr als die Aufarbeitung der Diesel-Krise, die Zukunftsfähigkeit von VW steht infrage.“ Einen Grund sieht der Fondsmanager in „erheblichen Erfahrungs- und Kompetenzlücken“ im Aufsichtsrat. Die Bestellung Pötschs als Vorsitzenden verstoße gegen die Grundsätze der guten Unternehmensführung. Ausländische Investoren fragten sich angesichts des VW-Falls, ob die Unternehmenskontrolle in Deutschland funktioniere.

Auch Ulrich Hocker, Präsident der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), prangert das „kollektive Versagen“ von VW-Management und Kontrolleuren an und beantragte die Bestellung eines unabhängigen Sonderprüfers. Die Zahlung von – wenn auch reduzierten – Boni an die VW-Vorstände sei angesichts der Diesel-Krise und des hohen Konzernverlusts im Jahr 2015 nicht zu rechtfertigen. „Deshalb haben Manager in Deutschland einen so schlechten Ruf“, sagt Hocker. Fondsmanager Hirt rät VW zu einem „rundum erneuerten Vergütungssystem“. Pötsch hatte die millionenschweren Einkommen der Vorstände und deren reduzierte Erfolgsbeteiligung verteidigt. 63,2 Millionen Euro verdienten die acht Top-Manager des VW-Konzerns im vergangenen Jahr immer noch. Der VW-Konzern hatte 2015 einen operativen Verlust von mehr als vier Milliarden Euro verbucht. Die Aktionäre sollen eine Mini-Dividende von 0,11 Euro (Stammaktien) und 0,17 Euro (Vorzüge) bekommen.

Auch vielen VW-Belegschaftsaktionären fehlt das Verständnis über die Vorgänge in den vergangenen Monaten. „Sprachlos und schockiert“ zeigte sich Gerd Kuhlmeyer, Vorsitzender der Gemeinschaft der Belegschaftsaktionäre, über das Ausmaß des Diesel-Betrugs. „Ich kenne viele Aktionäre und Mitarbeiter, die Tränen in den Augen haben – ihr Herz schlägt für VW.“

Nach Stunden der Erklärungen, Aussprache und Unterbrechungen mahnt Hans Dieter Pötsch wiederholt zur Disziplin, die Rednerliste ist noch lang. Bei der Abstimmung über die Entlastung des Vorstands und Aufsichtsrats, die bei Redaktionsschluss noch ausstand, wurde mit einem Denkzettel für die Führung gerechnet. Mehr nicht.

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