Digitale Kindheit: "Kinder müssen Risikobewusstsein lernen"
Der Psychologe Gerd Gigerenzer über Chancen und Gefahren bei der Nutzung digitaler Medien für Kinder und Jugendliche - und was Eltern und Schulen tun können.
Herr Gigerenzer, wie oft gucken Sie am Tag aufs Handy?
Ich habe mein Handy immer abgeschaltet und benutze es nur, wenn ich jemanden anrufen möchte oder einen wichtigen Anruf erwarte. Meine E-Mails checke ich zweimal am Tag, für Whatsapp und Facebook habe ich keine Zeit.
Ein solches Verhalten erscheint Kindern und Jugendlichen sehr merkwürdig.
Nicht nur jungen Leuten! Ich kenne auch viele Erwachsene, die ständig auf ihr Handy gucken. Gerade heute ist es aber enorm wichtig, digitale Selbstkontrolle auszubilden, also die Fähigkeit, digitale Technologien selbst zu kontrollieren statt sich von ihnen kontrollieren zu lassen. Denn sonst verbringt man viel zu viel Zeit damit und die Leistung leidet.
Die jungen Leute würden sagen, sie können gleichzeitig ihre Hausaufgaben machen und ihre Facebook-Timeline checken.
Vielleicht glauben sie das, aber alle Studien zeigen, dass Multitasking nicht funktioniert. Der Mensch kann sich nur auf eine Sache gleichzeitig konzentrieren, das ist ein psychisches Gesetz. Versucht er mehrere Dinge gleichzeitig zu tun, wird er jedes dieser Dinge schlechter erledigen als wenn er sich nur auf eines konzentriert hätte. Ein durchschnittlicher Jugendlicher schreibt heute 50 Textnachrichten am Tag: Da können Sie sich vorstellen, wie viel Zeit dafür draufgeht.
Wenn aber schon viele Erwachsene sich von ihren Geräten beherrschen lassen, wie will man dann Kinder und Jugendliche zu digitaler Selbstkontrolle erziehen?
Das geschieht in der Tat noch viel zu wenig, es ist aber möglich. In der Schule müsste digitale Risikokompetenz an vielen Stellen Thema sein: Die Schüler sollten nicht nur lernen, wo man was im Internet findet, sondern auch, wie man mit den digitalen Medien risikobewusst umgeht. Es geht ja hier nicht darum, die digitalen Medien zu verteufeln, sie gehören heute zum Leben dazu. Aber neben den vielen Chancen birgt die Digitalisierung eben auch Risiken. Dazu gehören die Gefahr der permanenten Ablenkung und die Gefahr, sich politisch und kommerziell manipulieren zu lassen.
Und was können die Eltern tun?
Zunächst sollten sie Vorbilder sein, also ihren Kindern nicht den Eindruck vermitteln, dass sie selbst ständig auf Nachrichten warten. Das Beste, was Sie für Ihr Kind tun können, ist, es stark und selbstsicher zu machen, damit es dem Gruppendruck widerstehen kann. Ein solches Kind braucht keine Angst zu haben, dass es seine Freunde verliert, wenn es mal ein paar Stunden offline ist.
Die Fragen stellte Dorothee Nolte.
Gerd Gigerenzer ist Psychologie-Professor und Direktor am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin. Er ist Autor zahlreicher Fachbücher und gefragter Experte.
Dieser Beitrag erschien in unserer Serie "Mein digitales Leben". Alle Beiträge der Serie lesen Sie auf unserer Themenseite.