Unverzichtbar, aber schlecht bezahlt: Kassierer und Pflegerinnen könnten bald Corona-Prämie bekommen
Eine DIW-Analyse zeigt die enormen Ungerechtigkeiten bei systemrelevanten Jobs. Der Handel und die Politik diskutieren inzwischen Prämien.
Sie sorgen für das Minimum an Alltag, stillen Grundbedürfnisse des Menschen. Wer in Supermärkten arbeitet, sollte nach Ansicht der Linken Extra-Gehälter erhalten. „Die großen Lebensmittel-Discounter machen gerade sehr hohe Umsätze“, sagte Parteichefin Katja Kipping der Deutschen Presse-Agentur. Sie „sollten jetzt ihren Beschäftigten, die gerade an den Kassen und Regalen ihre Läden am Laufen halten und einen extrem anstrengenden und gesundheitlich riskanten Job machen, ein sofortiges 13. und 14. Monatsgehalt zahlen“. Zugleich fordert ihre Partei eine Sonderabgabe für Multi-Millionäre und Milliardäre zur Bewältigung der Krise.
Momentan wird eine enorme Schieflage sichtbar: Jene Arbeit, die unverzichtbar ist, wird meist schlecht bezahlt und in normalen Zeiten kaum geschätzt. Das zeigt auch eine aktuelle Analyse des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). „Zusammen betrachtet weisen die systemrelevanten Berufsgruppen ein um rund fünf Punkte geringeres Prestige auf als der Gesamtdurchschnitt aller Berufe“, schreiben die vier Autorinnen. Die speziell für Deutschland entwickelten „Magnitude Prestige Skala“ basiere auf repräsentativen Befragungen und messe das Ansehen verschiedener Tätigkeiten in der Bevölkerung. Dabei würden Zeiten wie diese deutlich zeigen, „dass unsere Gesellschaft auf das Ausüben bestimmter Berufe mehr angewiesen ist als auf andere“.
Die Anerkennung ist da, mehr Geld aber nicht
Auch wenn Bundespolitiker und Bürger gerade für Pflegende und Kassierer applaudieren, bleibt ihr geringes Gehalt. Während der Bruttostundenlohn aller Berufe im Durchschnitt bei 19 Euro liegt, weisen derzeit wichtige Aufgaben – etwa in Kliniken, Kitas, Lagerhallen und Polizeiwagen – einen mittleren Lohn von unter 18 Euro auf. Neun von zehn Beschäftigten, die der kritischen Infrastruktur zugeordnet werden, ohne die Chaos ausbrechen würde, kriegen laut dem DIW weniger Geld als der Durchschnitt. „Deshalb sollten auf kollektive Dankbarkeit konkrete Maßnahmen folgen, beispielsweise eine höhere Entlohnung sowie breitere tarifvertragliche Absicherung“, schreiben die Forscherinnen Aline Zucco, Claire Samtleben, Annekatrin Schrenker und Josefine Koebe.
Sie weisen in ihrem Bericht auf weitere Missstände hin: In vielen Branchen, die gerade für das Funktionieren des Landes sorgen, herrscht schon lange eine dramatische Personalnot. Wo die Arbeitsbedingungen schon hart waren, werden sie umso heftiger. Die Autorinnen sind der Meinung: „Die aktuelle Situation zeigt deutlich, dass eine Debatte über die Rolle der Daseinsfürsorge in Deutschland überfällig ist.“ Darüber hinaus kritisieren sie, dass der Frauenanteil in den systemrelevanten Branchen bei 75 Prozent liegt. Und nicht nur das. Sie bekommen für den Hauptteil der Last trotzdem weniger Geld als Männer. Der Gender Pay Gap beträgt in den diskutierten Berufen 16 Prozent. Zwar ist die Lohnlücke kleiner als im Durchschnitt aller Berufe (20 Prozent). Das liegt jedoch daran, dass die Gehälter per se nicht so hoch sind.
Erste Unternehmen denken über Boni nach
Was andere Parteien neben den Linken dazu sagen? Die Grünen schlagen steuerfreie Prämienzahlungen vor. „Die Menschen im Einzelhandel und im Gesundheitsbereich machen gerade eine für die ganze Gesellschaft wichtigen Job“, meint die Chefin der Grünen-Bundestagsfraktion, Katrin Göring-Eckardt. „Ihre harte und derzeit auch riskante Arbeit verdient mehr Anerkennung.“ In Frankreich haben erste Handelsketten bereits steuerfreie Prämien von 1000 Euro für Verkäufer angekündigt. Politiker aus Union und SPD wollen ebenfalls auf diese Weise Beschäftigte belohnen, die in der Corona-Krise Großes leisten. Finanzminister Olaf Scholz (SPD) sagte, sein Ministerium prüfe die Idee.
Erste Unternehmen reagieren bereits. Deutschlands zweitgrößter Lebensmittelhändler Rewe will Mitarbeiter bei Rewe und der konzerneigenen Discounttochter Penny für ihren derzeitigen Einsatz mit einem Bonus belohnen. Dafür will der Konzern mehr 20 Millionen Euro in die Hand nehmen. Dieser „Danke-Bonus“ soll Beschäftigten als Guthaben auf ihre Mitarbeiterkarten gebucht werden, sodass er ihnen als Netto-Zahlung zugutekommt. Auch bei Aldi Süd können sich die Beschäftigten vielleicht schon bald über eine zusätzliche Summe freuen. „Wir machen uns derzeit Gedanken, wie wir uns bei unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für ihren Einsatz erkenntlich zeigen können“, heißt es.
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil zweifelt die Ungerechtigkeiten beim Geld nicht an: „Wir sehen gerade unglaublich viele Heldinnen und Helden des Alltags. Die haben nicht nur warme Worte, sondern langfristig auch bessere Löhne verdient“, sagte der SPD-Politiker den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Wenn möglich, sollten sie sofort mehr verdienen. Aber das könnte man nicht staatlich verordnen.