Warenhäuser auf dem Prüfstand: Karstadt - ein gutes Stück Berlin
Alle Karstadt-Filialen müssen auf den Prüfstand, sagt der neue Eigentümer. Doch aus Berlin sind die Häuser kaum wegzudenken - vom "Tanker" in Spandau bis zum einstigen Vorzeige-Kaufhaus am Hermannplatz. Eine Bestandsaufnahme.
- Maris Hubschmid
- André Görke
Alle Filialen müssen auf den Prüfstand – das hatte Aufsichtsratschef Stephan Fanderl schon vor Monaten angekündigt. Vor dem großen Kahlschlag aber war Karstadt-Eigentümer Nicolas Berggruen immer zurückgeschreckt, der nach der Übernahme aus der Insolvenz als Retter gefeiert worden war. Lieber ließ er alles weiterlaufen wie zuvor. Dass das keine Lösung ist, beweisen die jüngst veröffentlichten Ergebnisse: Im Geschäftsjahr 2012/2013 belief sich das Minus auf 131 Millionen Euro. Jetzt nennt der österreichische Investor René Benko Karstadt sein Eigen. Branchenkenner bezweifeln, dass er Karstadt als eigenständiges Unternehmen erhalten will. Die einen spekulieren über eine Fusion mit Kaufhof zur Deutschen Warenhaus AG. Andere halten es für wahrscheinlicher, dass Benko die Immobilien zumindest in Teilen umwidmet, um darin Einkaufscenter entstehen zu lassen. Am Kurfürstendamm will er dafür zwei angrenzende Gebäude erwerben. Mindestens 20 der bundesweit 83 Häuser machen Verluste, heißt es aus dem Aufsichtsrat.
Die Gewerkschaft Verdi kämpft dafür, dass alle Standorte erhalten bleiben. Sie wirbt für Renovierungen und Neuausrichtungen. In Berlin beschäftigt Karstadt gut 1300 Mitarbeiter. Die Lebensmittelabteilung im Untergeschoss, das Restaurant ganz oben: So kennt Berlin Karstadt seit Jahrzehnten. Wie stehen die einzelnen Häuser da? Acht subjektive Momentaufnahmen.
Charlottenburg, Wilmersdorfer Straße
Gründungsjahr: 1906
Mitarbeiter: 140
Glastüren trennen Karstadt von der Wilmersdorfer Straße. Sie schotten die Einkaufsstraßen-Hektik ab. Drinnen dudelt leise Kaufhausmusik. Gänge so breit, dass Pulks durchströmen könnten. Nur tun sie das selten. Häufig sind ältere Frauen unterwegs. Karstadt, das weiß man aus dem Bekanntenkreis, ist unter Charlottenburg-Wilmersdorfer Witwen ein favorisierter Ort. Die meisten Verkäufer sind auch nicht mehr jung. Viele Männer darunter mit lichtem Haar, die Kinder geduldig beraten, auch wenn sie alle Fahrradhelm-Modelle anprobieren. Nur kostet so ein Helm doppelt so viel wie in den Wühlkisten anderswo. Zu den schneidigen Managertypen, deren Spielball Karstadt geworden ist, will die Filiale so gar nicht passen. In der wohltuenden Leere und der gemächlichen Stimmung schwebt immer eine Melancholie mit. In der Straße scheint das Warenhaus hoffnungslos eingekeilt zwischen H&M und McGeiz. Barbara Nolte
Neukölln, Hermannplatz
Gründungsjahr: 1929
Mitarbeiter: 250
Die Damen in der Schmuckabteilung sind einfach Spitze. Biegen jeden verbeulten Armbandverschluss mit ihren feinen Zangen wieder hin, gerne auch für lau. Wenn sie es ausnahmsweise nicht schaffen, verraten sie einem mit gesenkter Stimme und Berliner Schnauze, wie sich die Lieblingskette mit Einzelteilen von Fünf-Euro-Modeschmuck reparieren lässt. Oder das Weinsortiment in der Lebensmittelabteilung im Untergeschoss: Manchmal haben sie sogar Kaseler Nieschen vom Palais Kesselstatt, Trier, Mosel. Karstadt am Hermannplatz war einst Europas modernstes Kaufhaus, mit Muschelkalktürmen und der Lichtarchitektur von Philipp Schaefer ein Stück New York in Berlin. Etwas davon ist noch da, hinterrücks an der Hasenheide. Zwar wurde das Sortiment wegen der Kundschaft längst auf billig umgestellt. Aber so lange der Moselwein und die Schmuckdamen da sind, kommt auch die Genießerin auf ihre Kosten. Christiane Peitz
Spandau,Carl-Schurz-Straße
Gründungsjahr: 1961
Mitarbeiter: 150
Den Karstadt-Koloss gibt’s schon ewig in Spandau. Altstadt, viertes Haus rechts. Gut, früher hieß das Ding „Hertie“, aber gab’s da einen Unterschied? Hemden, Porzellan, Playmobil. Gab’s schon, als in Spandau noch keine U-Bahn hielt (seit 1984) und die „Spandau Arcaden“ nicht mehr waren als ein brachliegender Güterbahnhof. Karstadt blieb 2001 in der Altstadt, als gefühlt alle anderen in das Einkaufszentrum neben dem ICE-Bahnhof zogen. Karstadt war schon immer der Tanker im alten Spandau, das mal arm, mal reich ist. Enormes Süd-Nord-Gefälle. Und doch hat Karstadt Vorzüge: Es ist nicht so hektisch wie in den Arcaden. Das Personal nimmt sich unglaublich viel Zeit (was jeder zu schätzen weiß, der mal Trauringe kaufen wollte). Der Blick oben aus der Caféteria über die Dächer der Altstadt ist wunderschön. Was Spandaus Altstadt ohne das große Karstadt wäre? Lieber nicht vorstellbar. André Görke
Steglitz, Schloßstraße
Gründungsjahr: 1966
Mitarbeiter: 270
Einst standen hier Wertheim und Karstadt einträchtig nebeneinander. Solide zwar, aber in die Jahre gekommen und ein bisschen schmuddelig. Dann wurde das Karstadt-Haus komplett renoviert. Viel Licht, Uhren und Parfüm als Entrée für die Kunden, die nicht so sehr zielgerichtet einkaufen, sondern lieber shoppen und bummeln wollen. Eine gut sortierte Lebensmittelabteilung im Keller und ein Restaurant auf dem Dach, mit Außenterrasse und Blick über die Schloßstraße. Ein Ort, an dem Steglitzer gern erst das Mittagsangebot verspeisen, um dann zum Kaffeegedeck zu wechseln. Wertheim, die einstige Konzernschwester, gehört dagegen der Vergangenheit an. Das Haus musste dem Boulevard Berlin weichen, einem schicken Einkaufszentrum, in das nun auch das Karstadt-Haus integriert ist. Ein Konzept, das Eigentümer Benko gefällt, und das „Karstadt Schloßstraße“ ein langes Leben sichern dürfte. Heike Jahberg
Tempelhof, TempelhoferDamm
Gründungsjahr: 1967
Mitarbeiter: 120
Zum Glück gibt es eine Konstante im Haus am Tempelhofer Damm: Die Strümpfe findet man nach wie vor direkt links hinter dem Haupteingang. Ansonsten hat man als Stammkundin das Gefühl, dass sich dieses Kaufhaus ständig neu erfinden musste. So oft wurde es in den vergangenen Jahren umgestaltet, wechselten Abteilungen von einem Stockwerk ins andere, wurden verkleinert oder komplett aufgegeben. Bücher gibt’s nur noch wenige, das Spielzeugangebot im ersten Stock ist arg verringert; und Multimedia sucht man wie in anderen Häusern auch inzwischen vergebens. Aber dafür ist’s übersichtlicher geworden. Haushaltswaren – einst über mehrere Stockwerke verteilt – findet man jetzt vereint unterm Dach, und im Untergeschoss hat sich ein großer DM-Markt breitgemacht. Obwohl der Kundenandrang überschaubar ist, gibt’s beim Bezahlen immer wieder längere Wartezeiten, da oft nur eine Kasse geöffnet ist. Sigrid Kneist
Charlottenburg, Kurfürstendamm
Gründungsjahr: 1906
Mitarbeiter: 140
Glastüren trennen Karstadt von der Wilmersdorfer Straße. Sie schotten die Einkaufsstraßen-Hektik ab. Drinnen dudelt leise Kaufhausmusik. Gänge so breit, dass Pulks durchströmen könnten. Nur tun sie das selten. Häufig sind ältere Frauen unterwegs. Karstadt, das weiß man aus dem Bekanntenkreis, ist unter Charlottenburg-Wilmersdorfer Witwen ein favorisierter Ort. Die meisten Verkäufer sind auch nicht mehr jung. Viele Männer darunter mit lichtem Haar, die Kinder geduldig beraten, auch wenn sie alle Fahrradhelm-Modelle anprobieren. Nur kostet so ein Helm doppelt so viel wie in den Wühlkisten anderswo. Zu den schneidigen Managertypen, deren Spielball Karstadt geworden ist, will die Filiale so gar nicht passen. In der wohltuenden Leere und der gemächlichen Stimmung schwebt immer eine Melancholie mit. In der Straße scheint das Warenhaus hoffnungslos eingekeilt zwischen H&M und McGeiz. Barbara Nolte
Wedding, Müllerstraße
Gründungsjahr: 1978
Mitarbeiter: 200
Immer wieder samstags steht der Familieneinkauf auf dem Programm. Eine lange Liste, deren Abarbeitung den ganzen Tag beanspruchte, wäre da nicht das gute alte Kaufhaus. Der Einkauf beginnt schon entspannt, weil es auf dem Dach jede Menge günstige Parkplätze gibt. Hat man das heruntergekommene Treppenhaus hinter sich gelassen, präsentiert sich ein wahres Einkaufsparadies. Dazu erstaunlich viele kompetente und freundliche Mitarbeiter, wie der beste Spielwarenverkäufer der Welt, Herr Redlich. Der Familienvater aus Hessen findet im Tiefkühlfach verlässlich die Kräutermischung für seine „Grüne Soße“. Da er die erst am Sonntag zubereitet, geht es meist noch auf einen Abstecher ins Karstadt-Restaurant, das zwar keine kulinarische Offenbarung ist, aber einen schönen Blick über den Wedding und eine interessante multikulturelle Gästeschar bietet. Warum sagen eigentlich alle: Das Kaufhaus ist tot? Ulrike Scheffer
Potsdam, Brandenburger Straße
Gründungsjahr: 1929
Mitarbeiter: 120
Beim Spaziergang durch Potsdams Innenstadt ist der Ruf der Kleinen obligatorisch: „Zu Karstadt!“ Klar, da ist die Mädchenecke, gleich im Erdgeschoss, an den Uhren und Parfüms vorbei. Und da ist dieser wunderschöne alte Warenhaus-Lichthof mit der Mosaikglaskuppel. Das Haus hinter der Jugendstilfassade in der Fußgängerzone ist Potsdams einziges Kaufhaus. Meist herrscht reger Betrieb. Vor allem Einheimische kaufen hier ein, die im Zentrum oder in den alten und neuen Stadtteilen im Norden und Westen leben, und die Sanssouci-Touristen natürlich. Ohne ihr Kaufhaus? Die Stadt hat das schon erlebt – und gelitten, als das Haus nach einem Brand sieben Jahre leer stand, ehe es 2005 aufwendig saniert wieder eröffnete. Endlich, hieß es damals. Potsdam ist ein teures Pflaster geworden, immer mehr Leute ziehen her. Es gab mal Pläne, aus dem Haus ein kleines „KaDeWe“ zu machen. Thorsten Metzner