Verdi gegen die Diakonie: Kann ein Streik denn Sünde sein?
Das Bundesarbeitsgericht entscheidet am Dienstag, ob Beschäftigte kirchlicher Unternehmen streiken dürfen. Die Sonderregelung reicht in die Weimarer Republik zurück.
Berlin - Der Dritte Weg führt nach Erfurt. Am heutigen Dienstag entscheidet dort das Bundesarbeitsgericht (BAG) über eine Besonderheit in der Beziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die bis in die Weimarer Republik zurückreicht und gerne mit dem Begriff Dritter Weg beschrieben wird: Die Kirchen und kirchliche Einrichtungen haben ihr eigenes Arbeitsrecht. Wenn der Erste Weg meint, dass der Arbeitgeber die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten allein festlegt und der Zweite Weg einen Kompromiss in Tarifverhandlungen vorsieht, so regeln die Kirchen die Arbeitsbedingungen ihrer Angestellten mit diesen selbst in „Arbeitsrechtlichen Kommissionen“. Es gibt keine Tarife, keine Tarifverhandlungen, keine Streiks und eigentlich auch keine Gewerkschaften. Das wird sich künftig ändern – wenn das BAG den Gewerkschaften Arbeitskämpfe zur Durchsetzung ihrer Forderungen erlaubt.
Im konkreten Fall geht es um Verdi und die evangelische Diakonie. In einem Krankenhaus in Bielefeld hatten sich 2009 die Beschäftigten mit einem Warnstreik für bessere Arbeitsbedingungen eingesetzt. Die Diakonie klagte gegen den Streik – und bekam Recht. Verdi ging in Revision vor dem Landesarbeitsgericht Hamm – und gewann dieses Mal. Vor dem Bundesarbeitsgericht wird der Streit nun entschieden – vorerst. Denn sowohl der Diakonie-Präsident Johannes Stockmeier als auch Verdi-Chef Frank Bsirske haben für den Fall der Niederlage den Gang vor das Bundesverfassungsgericht angekündigt.
Die Diakonie respektive die evangelische Kirche berufen sich auf einen Artikel im Grundgesetz, wonach jede Religionsgemeinschaft „ihre Angelegenheiten selbstständig verwaltet“. Gewerkschaften haben, so die Rechtsauffassung der Kirchenvertreter, bei der Regelung dieser Angelegenheiten nichts zu suchen. „Was wir im Dritten Weg machen, hat sich so gut weiterentwickelt, dass es keine sachlichen Gründe gibt, den Dritten Weg zugunsten eines Tarifwerks zur Disposition zu stellen“, argumentiert Diakonie-Chef Stockmeier.
Der Verdi-Vorsitzende sieht das natürlich anders und argumentiert historisch: In den Nachkriegsjahrzehnten hätten sich die Wohlfahrtsverbände bei der Bezahlung ihrer Leute an den Tarifen des öffentlichen Dienstes orientiert. Das habe sich in den 1990er Jahren geändert, als „der gesamte soziale Sektor nach und nach dem Wettbewerb unterworfen wurde“. Die Arbeitsverhältnisse in kirchlichen Wirtschaftsunternehmen seien daraufhin zunehmend „entsichert und schlechter bezahlt“ worden, was wiederum immer mehr Beschäftigte veranlasste, sich einer Gewerkschaft anzuschließen und für bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen.
In einem Schreiben an alle Bundestagsabgeordneten zitiert Bsirske aus einer Enzyklika von Papst Johannes Paul II, in dem 1981 von Gewerkschaften als „unentbehrliches Element des sozialen Lebens“ die Rede ist. Bsirskes Schlussfolgerungen für die rund 450 000 Mitarbeiter der Diakonie und die gut 500 000 Mitarbeiter der katholischen Caritas: „Beschäftigte in kirchlichen Wirtschaftsunternehmen sind keine Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dritter Klasse.“ Die anstehende Entscheidung des BAG sei „ein Gerichtsurteil historischen Ausmaßes“.
Die Richter in Erfurt müssen dabei das grundgesetzlich geschützte Sonderrecht der Kirchen mit dem Grundrecht der Koalitionsfreiheit abgleichen. Bislang, etwa bei Kündigungen in katholischen Einrichtungen, wurde dieses Sonderrecht zumeist von den Richtern bestätigt.
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