Ringen um den Tierschutz: Julia Klöckner muss um ihr staatliches Tierwohllabel bangen
Umweltministerin Svenja Schulze, die SPD-Fraktion, aber auch Parteifreunde wenden sich gegen die Agrarministerin – und ihr wichtigstes Projekt.
„Tiere sind Mitgeschöpfe, keine Wegwerfware“, sagte Bundesagrarministerin Julia Klöckner. Das war im Februar. Die CDU-Politikerin stellte damals ihr neues staatliches Tierschutzlabel vor: Es soll Landwirte auszeichnen, die ihren Schweinen ein besseres Leben ermöglichen, und Verbrauchern helfen, an der Ladentheke Fleisch zu erkennen, das aus solchen Betrieben kommt – ein ehrgeiziges Vorhaben, weil es nicht nur die Zeit im Stall, sondern die gesamte Lebensspanne des Tieres umfasst. Es ist das wohl ambitionierteste Projekt der Ministerin.
Doch fünf Monate später droht Klöckners Tierwohllabel zu scheitern. Eigentlich sollte das Bundeskabinett das Gesetz am Mittwoch abnicken, doch Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) sorgte dafür, dass der Punkt von der Tagesordnung verschwand.
Nach Tagesspiegel-Informationen aus Regierungskreisen meldet Schulze in zahlreichen Punkten Nachbesserungswünsche an. Der wichtigste: Während Klöckner eine freiwillige Regelung plant, will die Umweltministerin eine verpflichtende Kennzeichnung. Damit trägt sie ein Anliegen der SPD-Bundestagsfraktion in die Regierung.
Neben der Verpflichtung bestehen die Parlamentarier zusätzlich darauf, dass die Kriterien für das Tierwohllabel verschärft werden. „Wir erwarten, dass nach der Sommerpause ein tragfähiger, neuer Vorschlag kommt“, sagt der agrarpolitische Sprecher der Fraktion, Rainer Spiering.
Druck macht nicht nur die SPD, sondern auch das eigene Lager. So fordert die CSU-Politikerin Marlene Mortler, Ex-Drogenbeauftragte der Bundesregierung und jetzt Mitglied im Landwirtschaftsausschuss des Europaparlaments, eine verbindliche Lösung. „Das gemeinsame Ziel von Handel, Verbänden, Verbrauchern, Berufsstand und der Politik, eine verpflichtende Haltungs- und Herkunftskennzeichnung für Fleisch in Deutschland einzuführen, ist greifbar und umsetzbar“, sagte Mortler dem Tagesspiegel. „Um endlich voranzukommen, erwarte ich, dass offene Punkte geklärt werden.“
Niedersachsen hat den Bundesrat eingeschaltet
Klöckners Parteifreundin Barbara Otte-Kinast hat sogar eine Bundesratsinitiative gestartet. Die niedersächsische Agrarministerin will eine verbindliche Tierwohllösung, die nicht nur den Handel, sondern auch die Gastronomie einschließt. Zudem soll das Ganze nicht auf Fleisch beschränkt sein, sondern auch für Wurstwaren gelten.
Doch während die SPD schärfere Kriterien will, verfolgt Niedersachsen – in dem besonders viele große Schweinehalter zu Hause sind – das gegenteilige Ziel. Otte-Kinast will die Anforderungen für das staatliche Tierwohl senken und sich dabei an den Vorgaben der „Initiative Tierwohl“ orientieren.
Die Initiative, die von Bauern und dem Einzelhandel getragen wird, schreibt teilnehmenden Landwirten vor, dass ihre Tiere zehn Prozent mehr Platz im Stall haben sollen, Klöckner will aber schon für die Eingangsstufe ihrer dreistufigen Skala 20 Prozent mehr. Otte-Kinast hält das für „nicht zielführend“. Ziel soll doch sein, dass möglichst viele Bauern teilnehmen, meint die CDU-Politikerin.
Klöckner ist in der Zwickmühle. Den einen geht ihr Label zu weit, den anderen nicht weit genug. Im Bundesagrarministerium will man am ursprünglichen Konzept festhalten. Allerdings hat Klöckner bereits angekündigt, sich auch für eine europäische Lösung einzusetzen. Wenn Deutschland in der zweiten Jahreshälfte 2020 die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt, will die Ministerin ein EU-weites Tierwohlkennzeichen auf den Weg bringen. Dabei hofft sie auf Hilfe aus Dänemark und den Niederlanden, die bereits ähnliche Tierwohllabel haben.
Ein deutscher Alleingang mit verpflichtender Kennzeichnung ist nach Meinung Klöckners mit dem EU-Recht und dem freien Warenverkehr nicht vereinbar. Mortler sieht das anders, „eine verpflichtende Haltungs- und Herkunftskennzeichnung ist grundsätzlich möglich“, sagt sie. In Brüssel gibt man allerdings Klöckner Recht. „Eine solche Kennzeichnung muss auf freiwilliger Basis gemacht werden“, teilte die Kommission am Mittwoch auf Tagesspiegel-Anfrage mit.
Die Bauern sehen die Debatte mit Sorge. „Wir brauchen eine Möglichkeit, höhere Tierwohlstandards labeln und vermarkten zu können“, sagt Bernhard Krüsken, Generalsekretär des Deutschen Bauernverbands. „Es wäre mehr als schade, wenn dieser Weg jetzt aus parteipolitischer Kontroverse Schaden nimmt.“ Zwar wollen auch die Landwirte perspektivisch eine verbindliche Haltungsform- und Herkunftskennzeichnung in der Fläche. „Das Label von Frau Klöckner wäre aber ein logischer Zwischenschritt dahin“, meint Krüsken.
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