Bahn-Vorstand zu S 21: „Jetzt muss die lange Diskussion zu Ende gehen“
Ein Ende des Stuttgarter Bahnhofsstreits scheint absehbar: Bahn-Vorstand Volker Kefer spricht mit dem Tagesspiegel über S 21, die Volksabstimmung am Sonntag und kaputte Züge von Bombardier.
Herr Kefer, Umfragen zufolge werden sich die Baden-Württemberger am Sonntag für Stuttgart 21 aussprechen. Haben Sie schon den Champagner kalt gestellt?
Das wäre nicht angemessen. Ich schaue mit Zuversicht auf Sonntag, die Stimmung hat sich in den vergangenen Monaten zu unseren Gunsten entwickelt. Auch dank der Schlichtung durch Heiner Geißler.
Die Bahnhofsgegner müssen ein Drittel der Wahlberechtigten auf ihre Seite ziehen, um zu gewinnen. Das ist eine hohe Hürde.
Wir hoffen auf eine möglichst hohe Wahlbeteiligung, damit das Ergebnis möglichst repräsentativ ist. Mit der Abstimmung muss die lange Diskussion zu Ende gehen.
Ist das realistisch, auch wenn das Votum sehr knapp ausgeht – etwa 51 zu 49?
Alle Beteiligten sollten das Ergebnis akzeptieren. Man kann nicht erst demokratische Grundrechte einfordern, sie aber nicht gewähren wollen, wenn einem das Abstimmungsergebnis nicht gefällt. Wenn wir gewinnen, erwarte ich, dass uns die Landesregierung vorbehaltlos unterstützt. Wird das Vorhaben abgelehnt, muss sich die Landesregierung den übrigen Projektpartnern erklären. Will sie tatsächlich aussteigen, werden wir unsere Schadenersatzforderungen von rund 1,5 Milliarden Euro erheben.
Ihre Kritiker wollen in jedem Fall weiterprotestieren. Lässt sich ein Bahnhof über Jahre unter Polizeischutz bauen?
Ich kann mir nicht vorstellen, dass man so ein Projekt über Jahre gegen den erklärten Willen einer Landesregierung baut. Deshalb wollen wir das Land als Projektpartner nach dem Volksentscheid wieder ins Boot holen.
Sie streiten mit den Gegnern vor allem über die Kosten. Bislang versichern Sie, die Grenze von 4,526 Milliarden Euro einzuhalten. Werden Sie nach der Abstimmung plötzlich einen höheren Bedarf feststellen?
Niemand kann die Kosten eines Projektes von dieser Größe bei einer Bauzeit von zehn Jahren auf den Euro genau beziffern. Wir haben nach bestem Wissen kalkuliert und tun alles, um den Risiken zu begegnen und den Finanzierungsrahmen einzuhalten, etwa durch Kostensenkungen an anderer Stelle.
Jedes Bahnprojekt der vergangenen Jahre wurde teurer als kalkuliert. Mehrkosten will aber keiner der Partner übernehmen.
Wir kämpfen dafür, dass Stuttgart 21 innerhalb des Finanzierungsrahmens bleibt. Nur wenn das nicht gelingen sollte, würde die Sprechklausel des Finanzierungsvertrags greifen, aber da sind wir noch lange nicht.
Sie sagen, der Ausstieg kostet 1,5 Milliarden Euro, die Gegner sprechen von 350 Millionen. Liegt die Wahrheit in der Mitte?
Angesichts des Vertrags ist unser Anspruch, so gestellt zu werden, als hätten wir Stuttgart 21 gebaut. Jemand müsste bei einem Ausstieg also für die bereits erteilten Aufträge, Planungs- und Vorarbeiten zahlen. Hinzu käme die Rückabwicklung der Grundstücksgeschäfte mit der Stadt. Deshalb liegt unser Anspruch bei 1,5 Milliarden Euro. Für dieses Geld bekommt das Land nichts. Alternativ zahlt es die im Finanzierungsvertrag vereinbarten 930 Millionen für einen neuen Bahnknoten und hoch modernen Bahnhof.
Sie haben den Bau gestoppt, in die Schlichtung eingewilligt, den Stresstest zugesagt, nun die Volksabstimmung. Sind weitere Zugeständnisse denkbar?
Wir haben in den vergangenen eineinhalb Jahren versucht, mit Augenmaß vorzugehen und nicht zu provozieren. Das werden wir auch weiterhin tun. Wir haben aber auch einen Auftrag, das Projekt zu realisieren. Den werden wir erfüllen.
Wo liegt eigentlich das wirtschaftliche Interesse der Bahn an Stuttgart 21?
Stuttgart 21 bringt in Verbindung mit der ICE-Strecke Ulm-Wendlingen eine bessere Anbindung der Stadt im Bahnverkehr. Wir werden mehr Fahrgäste bekommen, weil die Züge schneller werden und das Angebot besser wird. Stadt und Land bekommen eine bessere Infrastruktur und ein zehn Jahre laufendes Konjunkturprogramm.
Die ICE-Strecke wollen die Gegner aber doch auch bauen.
Es gibt beide Projekte nur im Verbund, sie sind vertraglich miteinander gekoppelt. Das eine zu bauen und das andere nicht, ist nicht möglich. Planung und Finanzierung der Strecke müssten von vorne beginnen, von der Sanierung des Bahnhofs ganz zu schweigen. Es gingen viele Jahre verloren.
Was hat die Bahn aus dem heftigen Streit um Stuttgart 21 gelernt?
Wir müssen den Leuten früher und besser verständlich machen, was ihnen ein solches Vorhaben bringt. Wir haben die Berührungsängste mit Kritikern und Gegnern verloren und setzen uns konstruktiv mit der Kritik von Projektgegnern auseinander. Außerdem halten wir zukünftig bei der Finanzierung von Projekten Risikopuffer vor, wie bei Stuttgart 21.
Sie haben bei Bombardier Nahverkehrszüge bestellt, aber der Konzern hat seit Monaten Lieferprobleme. Was gibt es Neues?
Bis Ende diesen Jahres hätte Bombardier 178 Talent 2 ausliefern sollen. Leider haben bislang lediglich die vierteiligen Varianten eine Zulassung vom Eisenbahn-Bundesamt. Es muss also noch viel passieren. Zudem gibt es bei den nun zugelassenen Fahrzeugen weiterhin Qualitätsprobleme.
Was für Probleme?
Wir testen die Züge derzeit und stoßen auf mehrere Schwachstellen. Beispielsweise melden die Sensoren dem Lokführer nach einer Begegnung mit einem anderen Zug auf der Strecke, dass verriegelte Türen geöffnet sind – obwohl das gar nicht der Fall ist. Der Lokführer muss aber aussteigen und das überprüfen, das bedeutet Verspätungen. Im Fahrplanbetrieb wollen wir so etwas nicht haben.
Wann wird Bombardier die Probleme abgestellt haben?
Wir befinden uns in einem intensiven Austausch mit dem Hersteller. Daran ist übrigens auch Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer beteiligt. Bombardier muss die Probleme so schnell wie möglich beheben. Für uns ist klar, dass wir die Züge nur in dem vertraglich vereinbarten Zustand abnehmen. Ansonsten würden wir auch unseren Kunden keinen Gefallen tun.
Carsten Brönstrup