Creative Bureaucracy Festival 2018: "Jede Stadt ist ein Gesamtkunstwerk"
Verwaltungen brauchen Flexibilität und eine klare Strategie - gerade auch in Berlin. Der Stadtforscher Charles Landry über die Idee der "Creative City".
Der britische Stadtforscher Charles Landry ist zusammen mit Tagesspiegel-Herausgeber Sebastian Turner Initiator des "Creative Bureaucracy Festivals", das am Freitag und Samstag heute und morgen (7./8. September 2018) an der Berliner Humboldt-Universität stattfindet. Wie kann Verwaltung innovativer werden und motivierten Nachwuchs gewinnen? Wie ihr Image in der Öffentlichkeit verbessern? Diese und andere Fragen diskutieren Experten, aber auch interessierte Bürger. Vorab sprach Charles Landry darüber mit uns.
Herr Landry, was verbindet Sie mit Berlin?
Zuerst mein Elternhaus. Vater und Mutter waren Deutsche, sie lebten in den dreißiger Jahren in Berlin und arbeiteten dort im Ullstein-Verlag. Sie sind dann in der Nazizeit nach England ausgewandert, dort wurde ich 1948 geboren – als jüngster Sprössling der Familie. Das ist ein sehr wichtiger, sehr persönlicher Bezug. Berlin ist für mich nicht irgendeine Stadt. Aber es gibt auch sehr aktuelle Verbindungen. In diesem Jahr, aber auch schon 2017, lud mich die Robert-Bosch-Stiftung ein, als Stipendiat jeweils drei Monate in Berlin zu verbringen. Das war für mich eine intensive, lohnende Erfahrung.
Sie haben in den achtziger Jahren das Konzept der „Creative City“ entwickelt. Ist Berlin eine kreative Stadt?
Ja und Nein. Als Berlin noch geteilt war, war diese Stadt eine Ausnahmeerscheinung, die im Westteil einen ganz bestimmten Menschentypus anzog. Etwa die Leute, die nicht zur Bundeswehr wollten, aber das will ich nicht generalisieren. Nach dem Mauerfall wurde die zusammenwachsende Stadt ein großer Freiraum und man konnte dort billig leben. Das vereinigte Berlin wurde auch zu einem großen Marketing-Symbol, das sehr verschiedene Menschen aus aller Welt anlockte. Auch viele Außenseiter. Aus dieser bunten Mischung entwickelte sich eine positive Spannung, die durchaus kreativ war und ist. Andererseits gab und gibt es eine gewisse Starrheit, das gilt auch für die öffentliche Verwaltung der Stadt, die eigentlich nur aus der historischen Situation heraus zu verstehen ist. Berlin ist deshalb anders als London, Mailand oder Amsterdam.
Was macht Berlin anders?
Zum Beispiel vegane Restaurants. Die gibt es auch in London, aber bestimmt nicht so viele. Umweltbewusstsein, der Verzicht auf Plastiktüten, Car-Sharing, die Orientierung am Gemeinwohl – das ist in Berlin viel weiterentwickelt als in anderen Metropolen. Aber – ich bin kein Berlinexperte, ich schildere hier nur meine subjektiven Erfahrungen. Als meine Assistentin mit ihrer Schwester für zwei Tage nach Berlin kam, habe ich ihnen die Stadt gezeigt. Ihr Eindruck: In Berlin musst Du nicht reich sein, um interessante Sachen zu sehen und zu erleben. In London brauchst Du sehr viel Geld.
Über die australische Stadt Perth haben Sie geschrieben, es sei keine Großstadt, sondern bestehe zu 98 Prozent aus elenden Vorstädten. Ist Berlin nicht auch eine Ansammlung von Dörfern und Kleinstädten?
In Berlin hat man das Gefühl, wenn man die Stadt erkundet, ständig neue und ganz verschiedene Regionen kennenzulernen. Eigenständige Ortsteile, wie etwa Berlin-Steglitz, die auch am Rand der Stadt ein vitales Leben führen und die nicht nur auf das Zentrum bezogen sind. Das mag ich an der Stadt. In den Vorstädten von Perth gibt es nichts! Ein paar deprimierende Läden, MacDonalds oder so. Da will ich Berlin lieber mit London vergleichen, das ist auch eine historisch gewachsene Metropole, die im Laufe der Jahrzehnte viele verschiedene Vororte eingesammelt hat, die nach wie vor ein Eigenleben führen.
Das früher so gemütliche Berlin wächst jedes Jahr um 45 000 Einwohner. Alles wird lauter, dichter, teurer. Das setzt die Berliner, aber auch Politik und Verwaltung unter Stress. Gibt es eine Schmerzgrenze für das Wachstum einer Metropole?
Das ist eine der großen Fragen, die alle Millionenstädte betreffen. Obwohl Berlin nicht so groß und dicht ist wie beispielsweise Amsterdam oder Paris. Es gibt eine Schwelle, eine kritische Masse, ab der das Bevölkerungswachstum zu einer großen Gefahr wird. Eng damit verbunden sind steigende Mieten und Immobilienpreise, wobei Berlin im Vergleich zu London oder Paris auch jetzt noch preiswert ist. Im Zentrum von London musst Du Millionär sein, um dort wohnen zu können. Echte Londoner findet man dort kaum noch. In Neuseeland wurde kürzlich Ausländern verboten, Immobilien zu kaufen, weil die Gentrifizierung so rasant fortschreitet, dass die Neuseeländer ihr eigenes Land nicht mehr wiedererkennen. In Berlin gibt es glücklicherweise noch eine gute Mischung. Man hat das Gefühl, dass sich die Menschen umeinander kümmern. Das macht diese Stadt aus meiner Sicht besonders interessant.
Ihre Spezialität ist der Beitrag der Kultur für die Stadtentwicklung. Was hat Sie dazu gebracht, sich auch mit der öffentlichen Verwaltung, also der staatlichen Bürokratie zu beschäftigen?
Ich habe immer versucht, die Verbindung zwischen Kultur und urbaner Kreativität herzustellen. Wer bin ich, was bin ich, wo komme ich her, wo will ich hin? Und: was kann ich für meine Stadt tun? Wie lassen sich Voraussetzungen dafür schaffen, um Lösungen für die Probleme in einer sich dramatisch verändernden Welt zu finden? Und nicht nur zu planen, sondern auch zu handeln. Als ich die Idee der „Creative City“ entwickelt habe, erinnerten mich natürlich zuerst die Künstler daran: Hey, Kreativität, das ist doch unsere Sache! Natürlich ist die künstlerische Kreativität eine wichtige Ressource für die Stadtentwicklung, aber es gibt auch soziale, wirtschaftliche oder administrative Kreativität. Jede Stadt ist ein Gesamtkunstwerk, dazu gehört eine öffentliche Verwaltung, die das tägliche Leben der Bewohner stark beeinflusst. Deshalb sollte die staatliche Bürokratie ebenfalls agil und einfallsreich sein.
Sie beraten seit 40 Jahren dutzende Städte in aller Welt, Sie haben über 500 Projekte weltweit betreut. Wo steht da Berlin im internationalen Vergleich, wenn es um die Lösung urbaner Probleme geht?
In Bezug auf allgemeine Resonanz und Kreativität sehe ich Berlin weit vorn. Das liegt an der besonderen Geschichte, aber auch an der Tatsache, dass es deutsche Hauptstadt ist – und Deutschland wiederum ein starker, einflussreicher Staat. Das schafft zusätzliche Anziehungskraft. Und immer noch hat Berlin eine sehr einflussreiche Alternativszene, dafür gibt es das alte Synonym Kreuzberg. Die Stadt ist insgesamt sehr inhomogen, das macht es spannend. Was woanders als alternativ gilt, ist in Berlin normal. Aber ich habe, als ich jetzt in Berlin ein paar Monate gelebt habe, auch das Wort „mürrisch“ gelernt. Die Berliner sagen schon mal gern: Oh, das wollen wir nicht oder: Das geht doch gar nicht.
Sie sagen, auch Bürokratie muss kreativ sein. Wie darf man sich das vorstellen?
Erstens: Eine kreative Administration muss ihren Mitarbeitern die Möglichkeit geben, das Beste aus sich selbst herauszuholen. Die überkommenen Regeln und Hierarchien verhindern leider oft, dass die öffentlich Beschäftigten ihr Potenzial ausschöpfen können. Auch Bürokratien müssen Talente fördern und nutzen. Zweitens: Regeln sind notwendig, aber wenn Dinge sich verändern, geht es nicht mehr um den bloßen Gesetzestext, sondern um den „Spirit“ der Regeln. Man muss sie flexibel handhaben oder ändern. Administrationen müssen eine klare Strategie haben, aber taktisch flexibel sein. Das ist der Schlüssel zum Erfolg.
Ein aktuelles Problem der Berliner Verwaltung: Die Stadt hat seit einigen Jahren Geld im Überfluss, aber es fehlen personelle Ressourcen: Qualifizierte Fachleute, zum Beispiel IT-Experten, Bauingenieure und Ärzte arbeiten lieber in privaten Unternehmen oder gut zahlenden Bundesbehörden. Wie kann man diese Leute davon überzeugen, für die Stadt Berlin zu arbeiten?
Ja, es ist schwierig, junge Menschen für die staatliche Bürokratie anzuwerben. Nicht nur in Berlin, nicht nur in Deutschland. Auch in England wird seit Jahrzehnten gesagt: Die Verwaltung ist Müll, die können nichts. Wenn dieses negative Image immer wieder bestätigt wird, auch durch wenig intelligentes Verwaltungshandeln, dann ist es enorm schwierig, junge Leute für den öffentlichen Dienst zu begeistern.
Also, wie kann man junge Menschen überzeugen, für die Stadt Berlin zu arbeiten?
(lacht) Es ist schon seltsam, dass einer wie ich, der ein absoluter Eigenbrötler ist, der gern herumreist und alles Mögliche ausprobiert, auf einmal zum Experten für staatliche Bürokratie wird. Wie auch immer: Die öffentliche Verwaltung muss reflektieren, wie junge Menschen denken und leben, um an sie heranzukommen. Das Image muss sich ändern, die Administration muss sich öffnen. Wenn junge Leute das Gefühl bekommen, im Büro etwas zu schaffen, das nützlich und gut ist für die Bürger, das vielleicht sogar Spaß macht, dann könnte der öffentliche Dienst attraktiver werden.
Wie ist es in England?
Wie schon gesagt: Auch dort haben die Städte ein Rekrutierungsproblem. Es fehlt Personal und immer mehr öffentliche Aufgaben werden ausgelagert. Das ist gefährlich. Die öffentliche Verwaltung muss mit ihren Partnern, seien es private Unternehmen oder Wissenschaftseinrichtungen, auf Augenhöhe bleiben. Wenn der Eindruck entsteht, dass der Administration die intellektuellen Kapazitäten fehlen, wird sie nicht mehr ernst genommen. Wir brauchen schlaue Leute für die Verwaltung. Die gibt es auch, aber sie müssen ihre Fesseln loswerden.
Sie haben, gemeinsam mit dem Tagesspiegel-Herausgeber Sebastian Turner, das „Creative Bureaucracy Festival“ initiiert, das am 7. und 8. September in Berlin stattfindet. Wollen Sie jetzt deutschen Beamten Kreativität beibringen?
Die Veranstaltung soll anhand vieler erfrischender Beispiele aus anderen Städten und Ländern zeigen, wie es besser gehen kann. Wir wollen Mut machen und beweisen, dass die öffentliche Verwaltung – auch in Berlin – besser ist als ihr Ruf. Es geht nicht um Belehrung, sondern um Inspiration. Wir schaffen es! Das ist doch ein schönes Motto, oder?
Gibt es in anderen Städten erfolgreiche Verwaltungsmodelle, die sie Berlin besonders empfehlen könnten?
Wir haben für das Festival Persönlichkeiten gewonnen, die aus unserer Sicht vorbildlich sind. Zum Beispiel Gabriella Gomez Mont, die das „Laboratorio para la Ciudad“ in Mexico City leitet. Eine Denkfabrik der Stadtregierung, die an den Zukunftsthemen der Mega-City arbeitet. Es geht um Mobilität, Regierungsführung, IT-Technik oder die Gestaltung des öffentlichen Raums. Hervorheben möchte ich auch Christian Bason vom Design-Zentrum in Kopenhagen, der bis 2014 Direktor des MindLab war, dem Innovationsteam der dänischen Regierung. Wir haben auch Gäste aus Adelaide in Süd-Australien, die ein 90-Tageprojekt vorstellen. Das sind befristete Workshops, um Problem auf regionaler Ebene zu lösen, in Australien ist das ein erprobtes Modell. Alle diese Menschen sprengen Grenzen durch kreatives Denken und Handeln. Nicht alles, was Verwaltungen tun, ist per se schlecht – aber Bürokraten streben leider meistens nach absoluter Sicherheit und Stabilität, sie mögen keine Ungewissheit. Das erschwert die Lösung großer Probleme. Nur eine kreative Administration macht es möglich, nach besseren Wegen suchen – und sie zu finden.
Wenn Sie die Möglichkeit hätten, eine neue Stadt zu bauen – wie würde sie aussehen?
Was für eine verrückte Frage. Aber, ich versuch's mal. Diese, meine Stadt sollte klein genug sein, um sie kreativ formen zu können. Und groß genug, um in der Welt ernst genommen zu werden. Vielleicht mit einer Million Einwohnern. Sie sollte vielfältig sein, viel bieten und interessante Menschen beherbergen. Aber auch wohnlich sollte sie sein, die Menschen verbinden und in ihrer Entwicklung unterstützen. Eine gute Kombination aus den Vorteilen des Dorfplatzes und den Vorteilen einer Metropole. Ein fester Anker, aber auch voller Möglichkeiten – und inspirierend. Manches davon hat Berlin, wo Du fast alles tun kannst, was Du willst.
Charles Landry (70) wurde in London als Sohn deutscher Eltern geboren, er ging in München aufs Gymnasium, machte dort sein Abitur und studierte in Staffordshire (Großbritannien) und Bologna (Italien). In seiner Dissertation befasste sich Landry mit Problemen der postindustriellen Gesellschaft und arbeitete in den frühen siebziger Jahren als Assistent des Labour-Ministers Lord Kennet. 1978 gründete Landry das Unternehmen „Comedia“, das zu einem internationalen Netzwerk zur Förderung von Kultur, Stadtentwicklung und kreativen Projekten wurde – und auch Bücher verlegte. Seit vier Jahrzehnten gilt der Brite als einer der wichtigsten Berater von Stadtplanern in aller Welt. Ende der achtziger Jahre entwickelte Charles Landry das Konzept der „Creative City“, das als eine der Grundlagen moderner Stadtentwicklung gilt. Er leitete viele Jurys für die Auszeichnung urbaner Innovationen, Landry war auch als Berater der Weltbank tätig und lebte in den vergangenen beiden Jahren als Stipendiat der Robert Bosch Akademie zeitweise in Berlin. Zunehmend befasste er sich auch mit den kreativen Potenzialen der öffentlichen Verwaltung. Sein neuestes Buch erschien Ende 2017: „The Creative Bureaucracy & its Radical Common Sense“. Landry wohnt in einer kleinen Stadt in der Nähe von London.