Investitionen bleiben aus: Ist Deutschlands Afrika-Politik gescheitert?
Im Rahmen des Entwicklungsprojekts „Compact with Africa“ trifft die Kanzlerin am Dienstag afrikanische Staatschefs. Doch die Kritik an dem Programm wächst.
„Wir haben ein elementares Interesse daran, dass es dem gesamten afrikanischen Kontinent gut geht“. So beschrieb Bundeskanzlerin Angela Merkel die Ziele ihrer Afrikapolitik auf einem Treffen mit afrikanischen Staats- und Regierungschefs vor gut einem Jahr. Afrika habe „großes Entwicklungspotenzial“, so die Kanzlerin. Am Dienstag trifft sich Angela Merkel mit elf afrikanischen Staats- und Regierungschefs sowie Vertretern von Unternehmen, die in Afrika investiert haben, in Berlin.
Das Treffen findet im Rahmen der „Compact with Africa“-Initiative statt. Das unter der deutschen G20-Präsidentschaft vorangetriebene Entwicklungsprogramm soll Reformen auf dem afrikanischen Kontinent beschleunigen und dadurch Wachstum und Wohlstand fördern. Während des Treffens in Berlin sollen Möglichkeiten zur Verbesserung des Unternehmensumfelds und zur Erhöhung der Investitionen in afrikanischen Ländern erörtert werden.
Eine kürzlich vorgestellte Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung übt Kritik am Compact with Africa (CwA). Die deutsche G20-Initiative habe ihre Ziele weitestgehend verfehlt, schreiben der Afrika-Experte Robert Kappel, emeritierter Professor an der Universität Hamburg, und der Ökonom Helmut Reisen, emeritierter Professor der Universität Basel und ehemals Forschungsdirektor am Entwicklungszentrum der OECD. Der CwA führte bisher weder zu einem Anstieg privater Investitionen in den afrikanischen Partnerländern, noch hat er in ausreichendem Ausmaß Arbeitsplätze geschaffen, so die Autoren.
Kaum zusätzliche Investitionen aus G20-Staaten
Der Compact with Africa sieht Partnerschaften zwischen G20- und afrikanischen Staaten vor. Letztere sollen das Umfeld für ausländische Investoren verbessern und dadurch vor allem große Infrastrukturinvestitionen anlocken. Dazu sollen sie beispielsweise wirtschaftliche Stabilität herstellen, Bürokratie abbauen und die Rechtssicherheit von Investoren garantieren. Die G20-Staaten sollen diese Bemühungen unterstützen und ihre heimischen Unternehmen motivieren, in Afrika zu investieren.
Die afrikanischen Staaten haben ihr Investitionsumfeld oft deutlich verbessert. Trotzdem kam es kaum zu zusätzlichen Investitionen aus den G20-Staaten, so das Fazit von Kappel und Reisen. Eine Sprecherin des federführenden Bundesfinanzministeriums sagt, ein endgültiges Urteil über den Erfolg des Compact sei nach zweijährigem Bestehen noch nicht angebracht. „Veränderungen in den wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen brauchten Zeit und beeinflussten Investitionsentscheidungen erst mittelfristig.“ Seit 2014 würden die Auslandsinvestitionen in den CompactPartnerländern stärker wachsen als im Rest Afrikas, sagt die Sprecherin und verweist auf Berichte der Weltbank, des IWF und der Afrikanischen Entwicklungsbank.
Kappel und Reisen bezeichnen diese Berichte in ihrer Studie als eine „Verdrehung der Tatsachen“. Der Anstieg der Auslandsinvestitionen beziehe sich auf eine Periode vor der Umsetzung des Compact with Africa. Der Aufwärtstrend bei den Auslandsinvestitionen habe mit Beginn des Compact sogar gestoppt, zeigen Zahlen von Kappel und Reisen. Die beiden Professoren kritisieren den einseitigen Fokus des Compact with Africa auf ausländische Investitionen.
Der Großteil afrikanischer Staaten sei von einer hohen Arbeitslosigkeit geprägt. Vor allem junge Menschen seien betroffen. Auslandsinvestitionen allein könnten keinen ausreichenden Beitrag zur Schaffung von Arbeitsplätzen leisten. Viel zu selten würden ausländische Investitionen zu wirtschaftlichen Beziehungen mit einheimischen Unternehmern führen. Ein Austausch von Technologie und Fachwissen käme kaum zustande. Ein „integratives Wachstum“, an dem breite Bevölkerungsteile teilhaben könnten, sei mit dem Fokus des Compact with Africa auf Großinvestitionen nicht zu erreichen, so die Autoren.
Öffentlich-private Partnerschaften häufig gescheitert
Auch Oppositionspolitiker wie der entwicklungspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Uwe Kekeritz, kritisieren: „Zählbare Erfolge des Compact with Africa gibt es bislang nicht. Das liegt auch daran, dass die Compacts keine wirkliche Entwicklungsperspektive bieten. Der Ansatz birgt durch den Fokus auf Privatinvestitionen die Gefahr, das Gemeinwohl zu vernachlässigen.“
Stattdessen ginge der CwA mit der Gefahr neuer Schuldenkrisen einher. Durch Öffentlich-private Partnerschaften (ÖPP) sollen Infrastrukturinvestitionen finanziert werden. Das Risiko ausländischer Investoren solle durch afrikanische Staatsgarantien minimiert werden („Blending“). Durch beide Maßnahmen steigen die Eventualverbindlichkeiten der afrikanischen Partnerländer.
In der Vergangenheit sind ÖPP in Afrika häufig gescheitert. In Zukunft könnte das zu einer starken Neuverschuldung führen. Eine Sprecherin des Bundesfinanzministeriums entgegnet, der Compact with Africa „favorisiere keine bestimmten Finanzinstrumente wie Öffentlich-private Partnerschaften oder das Blending“.
Bei der Mobilisierung privater Finanzmittel durch den Compact spielten internationale Standards zur Schuldentragfähigkeit eine wichtige Rolle, sagte die Sprecherin. Laut Kappel und Reisen überlaste der CwA die Bürokratien der afrikanischen Partnerstaaten. Die Entwicklungspartnerschaften schreiben zahlreiche staatliche Maßnahmen zur Verbesserung des Investitionsumfelds, zahlreiche Berichte und die Teilnahme an Konferenzen vor. Es entstehen zusätzliche Kosten für Personal und Verwaltungsmaßnahmen. Länder, die sich das nicht leisten können, müssten qualifiziertes Personal von anderen, wichtigeren Aufgaben abziehen, so Kappel und Reisen.
Asien als Vorbild nehmen
Eine Sprecherin des Finanzministeriums weist darauf hin, dass jüngst vereinbarte Reformen ein „fokussierteres Zusammenwirken“ der Compact-Partner und eine „begrenzte Anzahl von Reformprioritäten vorsehen“. Kappel und Reisen fordern hingegen eine neue Entwicklungsagenda. Ziel müsse die Armutsreduktion und die Schaffung von Arbeitsplätzen sein. Dafür sei es notwendig, ausländische Investitionen und lokales Unternehmertum gleichermaßen zu fördern und positive Austauschbeziehungen zu schaffen. Die afrikanischen Staaten sollten ausländischen Investoren Anreize schaffen, um mit lokalen Zulieferern zu kooperieren, schlagen Kappel und Reisen vor.
Wenn nötig, sei dies auch um Vorschriften zur Nutzung lokaler Waren und Dienstleistungen zu ergänzen. Die Regierungen Afrikas könnten sich ein Beispiel am Modell der „Entwicklungsstaaten“ Asiens nehmen. Sie müssten gezielt die Potenziale in einzelnen Wirtschaftssektoren identifizieren und durch Anreize wie den Zugang zu Krediten oder auch dem übergangsweisen Schutz vor internationaler Konkurrenz fördern, so Kappel und Reisen. Schon 2017 hat die entwicklungspolitische Denkfabrik der Bundesregierung, das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik, ähnliche Vorschläge zur Förderung der Beschäftigung in Afrika vorgelegt.
Die Chancen für eine neue Entwicklungsagenda sind jedoch gering. Die Bundesregierung überlässt die Durchführung des Compact with Africa der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds (IWF). Die beiden Institutionen verfolgen schon seit Langem den von Kappel und Reisen kritisierten CwA-Ansatz: Durch Reformen im Investitionsumfeld sollen Auslandsinvestitionen angelockt werden, wodurch Arbeitsplätze entstünden.
Der einseitige Fokus auf Auslandsinvestitionen schränke den Handlungsspielraum afrikanischer Staaten ein, eigene Entwicklungspläne wie die Agenda 2063 zur Industrialisierung des Kontinents umzusetzen, kritisieren Kappel und Reisen. Deutschland müsse hier grundlegend umdenken. Die Bundesregierung solle ihre EU-Präsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte 2020 nutzen, um die europäische Afrikapolitik auf neue Beine zu stellen.
Nico Beckert