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Erlahmt: Das Geschäft mit Waren im Internet wächst langsamer als früher.
© picture alliance / dpa

Stationäre Händler holen auf: Internethandel wächst viel langsamer als erwartet

Erwartungen weit verfehlt: Der Interaktive Handel kann 2014 wohl deutlich weniger zulegen als erhofft. Bücher verzeichnen sogar einen starken Umsatzrückgang - und werden wieder im Laden nachgefragt.

Grenzenlose Auswahl, mit einem Klick bestellt: Das ist die schöne neue Konsumwelt des Internets, die seit Jahren mehr und mehr Menschen begeistert und traditionelle Händler zum Umdenken zwingt. Auch 2014 wird das Geschäft weiter zulegen – allerdings deutlich weniger stark als erwartet, wie der Tagesspiegel am Mittwoch erfuhr: Der Branchenverband der Internet- und Versandhändler muss seine Prognose merklich nach unten korrigieren. „Wir gehen von einem Wachstum im mittleren einstelligen Prozentbereich aus“, sagte Gero Furchheim, Präsident des Bundesverbands E-Commerce und Versandhandel (BEVH), dem Tagesspiegel. Zu Beginn des Jahres hatte der Verband noch 15,5 Prozent als wahrscheinlich ausgegeben. Die Erwartungen drohen somit um rund zehn Prozentpunkte verfehlt zu werden.

Wie kann das sein? „Konjunkturelle Schwankungen überlagern das langfristige Wachstum“, heißt es in einer Mitteilung, die die Vereinigung am heutigen Donnerstag verbreiten will. Das sei eben die Kehrseite dessen, dass der Onlinehandel sich inzwischen einen stattlichen Anteil am Einzelhandel erarbeiten konnte, erklärt Furchheim. Tatsächlich ist eine der traditionell stärksten Warengruppen im Versandhandel sogar merklich rückläufig: „Bei Büchern sahen wir gegenüber dem Vorjahresquartal im Zeitraum von Juli bis September einen Umsatzrückgang von 21,7 Prozent.“ Ein Grund dafür sei, dass Konsumenten zunehmend auf E-Books ausweichen. Die tauchen in der Warenstatistik dann nicht mehr unter „Bücher“, sondern unter „Dienstleistungen“ auf. Weil E-Books weniger kosten als gedruckte Bücher, geht den Händlern aber auch Umsatz verloren.

Buchläden gewinnen Kunden zurück

Auch eine andere Entwicklung belastet die Bilanz: „Wir sehen einen Trend, dass der stationäre Buchhandel sich seinen Platz zurückerkämpft. Die neuen Ladenkonzepte sind moderner, schicker und weniger staubig. Das kommt gut an“, sagt Furchheim. In den Großstädten habe sich die Zahl der unabhängigen, inhabergeführten Buchhandlungen wieder stabilisiert, bestätigt der Börsenverein des deutschen Buchhandels. In Berlin wachse sie sogar: Beispiele für schicke, junge Läden sind Uslar & Rai am U-Bahnhof Eberswalder Straße in Prenzlauer Berg oder das Ocelot in Mitte mit Lounge-Möbeln und Café. „Der reine Versand von Büchern steht unter Druck“, folgert Versandhandelsvertreter Furchheim.

2013 betrug das Wachstum der Branche noch knapp 23 Prozent. Unter „Interaktivem Handel“ fasst der Verband in seiner Statistik neben dem Internetgeschäft auch klassischen Versandhandel mit ein, dem aber nur noch eine kleine Rolle zukommt. Wachsenden Erfolg verzeichnen allerdings Multi-Channel-Anbieter, also solche, die beispielsweise zusätzlich Kataloge verschicken oder Läden unterhalten. Zwar fällt der größte Umsatzanteil nach wie vor auf Onlinemarktplätze wie Ebay und Amazon, die im dritten Quartal rund 5,3 Milliarden* Euro erwirtschafteten. Damit verlor die Händlergruppe aber gegenüber dem Vorjahreszeitraum gut 20 Prozent. Multi-Channel-Händler konnten mit einem Versandhandelumsatz von insgesamt 4,4 Milliarden Euro dagegen mehr als 27 Prozent zulegen. Damit geben deutsche Online-Einkäufer fast jeden dritten Euro in den nach Analysen des Instituts für Handelsforschung in Köln rund 80.000 Online-Shops ursprünglich stationärer Händler aus.

Dass der vor allem mit Büchern stark gewordene Internetversandhändler Amazon umgekehrt Medienberichten zufolge erwägt, Läden in New York zu eröffnen, erscheint in diesem Zusammenhang konsequent.

Top-Seller im Netz

Spitzen-Warengruppe im Versandhandel ist aktuell die Bekleidung, die im dritten Quartal 2,8 Milliarden Euro umsetzte. Auf Platz zwei wurden Bücher mit einem Umsatz von gut einer Milliarde Euro von Unterhaltungselektronik abgelöst, die 1,2 Milliarden Euro einbrachte. Im Kommen sind online nach Angaben des BEVH die Segmente Möbel/Dekoration und Lebensmittel. „Der Bereich Lebensmittelversand steht in den Startboxen. Hier arbeiten gerade viele daran, diesen noch jungen Markt für sich zu erobern“, sagte Furchheim. Dass Potenzial da ist, beweist die Schweiz: Dort machten Lebensmittel zuletzt einen Anteil von 12,8 Prozent am Versandhandel aus. „Davon sind wir hierzulande noch weit entfernt“, heißt es. Zuletzt haben sich insbesondere traditionelle Lebensmittelhändler wie Rewe und Edeka um einen Ausbau ihres Lieferangebots bemüht.

Sorgen bereiten den Internethändlern neben dem verlangsamten Wachstum auch andere Aspekte. „Wenn online die volle Informationspflicht auf die Händler abgewälzt wird, werden sie gegenüber stationären Händlern benachteiligt“, sagte Gero Furchheim dem Tagesspiegel. Besonders im Bereich Food kommt das zum Tragen, wenn etwa über mögliche Unverträglichkeiten nicht mehr nur auf der Packung, sondern auch in der Produktbeschreibung hingewiesen werden müsse. „Innovativer Handel darf nicht behindert werden“, fordert der Verband. „Die Wahlmöglichkeiten der Verbraucher einzuschränken, ist auch aus wirtschaftlicher Sicht dumm."

Und: „Gegen Steuerflucht von Unternehmen sollte die Bundesregierung genauso strikt vorgehen wie bei Privatleuten. Firmen, die alle Schlupflöcher ausnutzen, haben sonst einen unfairen Vorteil gegenüber denen, die ihre Steuern zahlen." Die Konkurrenzfähigkeit von Unternehmen dürfe nicht davon abhängen, wer die besten Steueranwälte hat.

Der Onlinehandel, er blüht nicht mehr von allein. Die Branche kämpft.

* Falsche Dimensionen: In einer früheren Version dieses Beitrags hatten wir statt "Milliarden" an allen Stellen "Millionen" Euro geschrieben - ein Fehler, der uns beim gleichen Thema leider auch in unserer Printausgabe passiert ist. Wir bitten, ihn zu entschuldigen.

Maris Hubschmid

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