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Sieben Jahre führte René Obermann die Telekom. Sein Nachfolger wird der bisherige Finanzvorstand Timotheus Höttges.
© picture-alliance/ dpa

Telekom-Chef René Obermann geht: In den Maschinenraum

René Obermann hat an diesem Montag seinen letzten Arbeitstag bei der Telekom – er geht zum größten holländischen Kabelnetzbetreiber. Die Bilanz seiner Telekom-Jahre fällt durchwachsen aus.

So gelöst hat man ihn in den vergangenen Jahren selten gesehen. Sogar die Krawatte fehlt. Zwar ist er wie immer adrett gekleidet, aber der Telekom-Chef wirkt nicht so steif wie sonst oft. René Obermann strahlt geradezu, als er im August in Berlin die „E-Mail made in Germany“ vorstellt, eine verschlüsselte elektronische Post, die vor der Schnüffelei der NSA sicher sein soll. Endlich kann er einmal locker sein. Diesmal steht nicht sein Konzern im Mittelpunkt eines Skandals, diesmal will er Teil der Lösung sein. Und noch etwas kommt hinzu: Das Ende ist absehbar. Am 31. Dezember wird René Obermann sein Büro räumen und die Telekom verlassen. Dann wird er nicht mehr verantwortlich sein für eines der wichtigsten deutschen Unternehmen mit 230 000 Mitarbeitern in 50 Ländern der Welt, mit 144 Millionen Kunden und einem Umsatz von 60 Milliarden Euro. „Die Arbeit macht mir richtig Spaß“, beteuert er im August. Man nimmt ihm das ab, so gut gelaunt und energiegeladen wie er ist. Er denke überhaupt noch nicht an seine neue Aufgabe. Das zu glauben, fällt allerdings schwer. Obermann ist einer, der niemals unvorbereitet irgendwo hingeht.

Obermann fängt im Januar bei Ziggo in Utrecht an. Als er das vor neun Monaten ankündigt, ist die Verblüffung groß. Kaum jemand kennt den größten niederländischen Kabelnetzbetreiber; drei Millionen Kunden, 3000 Mitarbeiter und ein Umsatz von 1,5 Milliarden Euro. Das sind andere Dimensionen als bei der Telekom. „Ich will wieder mehr Zeit für Kunden, Produktentwicklung und Technik haben“, sagt Obermann, „näher ran an den Maschinenraum“. Niemand hatte öffentlich seinen Rücktritt gefordert, so wie das bei seinen Vorgängern Ron Sommer und Kai-Uwe Ricke war. Sie wurden aus dem Amt gejagt. Auch in Obermanns Amtszeit gab es schwierige Situationen.

Im November 2006 tritt der 43-jährige Obermann seinen Posten in Bonn an. In der Unternehmenszentrale in der Friedrich-Ebert-Allee stellt er sich in der riesigen Empfangshalle vor die versammelten Mitarbeiter. Es ist wie in einer Arena, die Mitarbeiter stehen über mehrere Etagen verteilt, alle schauen auf ihn. „Also Leute, nach vorne ist die Devise“, ruft er ihnen zu. Die Mitarbeiter applaudieren. Obermann schüttelt die Hand von Aufsichtsratschef Klaus Zumwinkel, der ihn ins Amt geholt hat. Es ist ein Handschlag, der auch das Ende der Freundschaft mit Kai-Uwe Ricke besiegelt.

Zu diesem Zeitpunkt hat Obermann schon 20 Jahre Berufserfahrung in der Telekommunikationsbranche. Er ist bei seinen Großeltern in Krefeld aufgewachsen. In „wirtschaftlich bescheidenen Verhältnissen“, wie er sagt. Sein erstes Geld verdient er in der Druckerei seines Großvaters. 1981 macht er Abitur, dann eine Lehre bei BMW. Obermann liebt schnelle Autos und Motorräder. Er beginnt ein BWL-Studium in Münster. Parallel verkauft er Telefone, Anrufbeantworter und Faxgeräte. Die Firma läuft so gut, dass er sein Studium nach dem zweiten Semester abbricht. Als er 1991 ABC Telekom an Hutchison Whampoa aus Hongkong verkauft, ist der 28-Jährige ein reicher Mann. Sein Freund Kai-Uwe Ricke holt Obermann zur Telekom. Über viele Jahre agieren sie wie ein Tandem. Ricke fährt vor, Obermann folgt.

Im Sommer 2012 steht Obermann auf einer kleinen Bühne in Berlin und spricht auf der Start-up-Konferenz HackFwd zu Internetunternehmern. Seine Zuhörer sind in etwa so alt wie er damals, als er seine erste Firma gründete. „Groß versus klein“ ist das Thema des Vortrags, es geht um das Zusammenspiel von großen Konzernen mit innovativen Start-ups. „1998 kam ich zur Deutschen Telekom. Das war der größte Kulturschock in meinem Leben“, erzählt er und grinst breit. Er habe sogar überlegt, wieder zurückzugehen, aber dazu sei es dann zu spät gewesen. Als Obermann zur Telekom kommt, fängt er in seinem gewohnten Terrain an, dem Mobilfunk. Auch hier stehen alle Zeichen zunächst auf Wachstum und Wettbewerb. Das kennt er. Die Leute können noch einigermaßen mit seinem Tempo mithalten. Doch die Zeiten ändern sich.

Mitarbeiter und Medien nennen ihn „Rickes Bulldozer“. Obermann muss für den zögerlichen Ricke die unangenehmen Entscheidungen durchsetzen. Jahr für Jahr baut die Telekom Stellen ab – Tausende müssen den Konzern verlassen. 2006, als Obermann Ricke an der Spitze ablöst, kommt für ihn der nächste Kulturschock. Plötzlich hat er es nicht mehr mit der jungen dynamischen Mobilfunkbranche zu tun. Nun ist er für das gesamte Unternehmen verantwortlich, muss den ehemaligen Staatskonzern fit machen. Es gibt Widerstand – und Unterstützung. Obermann fährt wieder Tandem: Diesmal sitzt er am Lenker und sein Freund Timotheus Höttges sitzt hinten.

2007 führt Obermann über elf Wochen den bittersten Arbeitskampf, den das Unternehmen je erlebt hat. Obermann will 50 000 der 160 000 Mitarbeiter in Deutschland in neue Servicegesellschaften ausgliedern – wo sie weniger verdienen und mehr arbeiten sollen. Verdi wehrt sich mit allen Mitteln. Obermann wirbt für seinen Plan. Er reist nach Hamburg zu einer Betriebsversammlung. Die findet ausgerechnet auf der Reeperbahn in „Schmidts Tivoli“ statt, wo das Musical „Heiße Ecke“ auf dem Spielplan steht. Das passt. Obermann steht wieder auf einer Bühne, sein Publikum diesmal: wütende Mitarbeiter. Er diskutiert, erklärt, wirbt für seinen Plan. Die Stimmung im Saal ist gereizt.

„Wir wollen die Arbeit zurückholen ins Unternehmen“, sagt der Chef. „Dafür müssen wir die Qualität verbessern und mehr arbeiten. Wir müssen günstiger werden.“

Vor dem Theater hat Verdi inzwischen weitere 3000 Mitarbeiter versammelt. Die Stimmung draußen ist aggressiv. „Obermann, Dobermann“ steht auf den Plakaten. „Komm raus und rede mit uns“, brüllen sie. Die Rufe und Pfiffe sind noch im Saal zu hören. Obermann bekommt einen roten Kopf, hat sichtlich Angst, will unter diesen Bedingungen nicht mit den Demonstranten sprechen. Die Polizei rät ihm, die Hintertür zu nehmen. Erleichtert folgt er dem Rat. Wochen später setzt er die Servicegesellschaften durch. Die Auseinandersetzung hat ihre Spuren hinterlassen. Im Konzern, beim Vorstandschef. Er hat viel gelernt über die Menschen, über soziale Verantwortung auch. Er sei härter geworden, sagen die einen, er sei weicher geworden, sagt Obermann selbst. Jahre später, im Herbst 2013, steht er wieder auf einer Bühne, spricht zu Betriebsräten, diesmal in Berlin. Es sei eine bemerkenswerte (Abschieds-)Rede über Verantwortung und über Vertraulichkeit der Kommunikation gewesen, berichtet einer, der dabei war.

„Das Schlimmste war, als meine Integrität infrage gestellt wurde.“

Die Auseinandersetzung mit Verdi ist nur einer von vielen Konflikte, die Obermanns in seinen ersten Jahren als Vorstandschef durchstehen muss. Auf den Streik folgen Krisen und Skandale. Die Doping-Affäre im Radteam Telekom erreicht 2007 ihren Höhepunkt. 2008 wird publik, dass der Konzern über Jahre seine Aufsichtsräte, aber auch Arbeitnehmervertreter und Journalisten bespitzelt hat. Obermann, der versichert, davon nichts gewusst zu haben, entschuldigt sich persönlich bei den Betroffenen. Im gleichen Jahr muss er diverse Sicherheitspannen einräumen, bei denen der Telekom Kundendaten entwendet wurden. 2010 fährt die Staatsanwaltschaft vor und durchsucht auch seine Privatwohnung. Die Ermittler suchen nach Beweisen für Schmiergeldzahlungen bei der ungarischen Telekom-Tochter.

In einem seiner letzten Interviews mit der „Zeit“ sagt Obermann: „Das Schlimmste war, als meine Integrität infrage gestellt wurde.“ Einmal bei der Spitzelaffäre 2008 und dann ein zweites Mal, „als im Zuge der Korruptionsaffäre auf dem Balkan in einem Fall auch ein Ermittlungsverfahren gegen mich eingeleitet wurde – auch wenn es schnell wieder eingestellt worden ist.“

Die Zeit bei der Telekom hat ihn sichtlich altern lassen. Als er bei seiner letzten Hauptversammlung im Mai vor die Aktionäre in der Kölnarena tritt, hat er dunkle Ringe unter den Augen. Viele Falten haben sich in den vergangenen sieben Jahren ins Gesicht gegraben. Graue Haare hat er bekommen. Und dennoch: Jugendhaft wirkt er immer noch.

Und die Bilanz? Die Telekom ist ein anderes Unternehmen geworden, Obermann hat sie radikal umgebaut, die Kosten gesenkt, neue Geschäftsfelder erschlossen. Innovation war sein Thema. Gerade hat die Telekom die Scout- Gruppe verkauft, zu der einige der erfolgreichsten deutschen Internetplattformen gehören wie Immobilien-Scout. Sogar der Service der Telekom ist besser geworden – jedenfalls ist er nicht mehr schlechter als der der Wettbewerber. Zu seinen größten Niederlagen gehört der geplatzte Verkauf der Tochter T-Mobile USA an den Konkurrenten AT & T. Schaut man auf den Aktienkurs, hat er nichts bewegt. Die T-Aktie kostet heute rund einen Euro weniger als zu Obermanns Amtsantritt.

Die Telekom steht längst vor neuen Herausforderungen, dem Netzausbau zum Beispiel. Den muss sein Nachfolger Timotheus Höttges allein bewältigen. Das wird sich für beide komisch anfühlen, denn in den vergangenen sieben Jahren haben sie fast rund um die Uhr kommuniziert, wie Höttges sagt. Seit Jahren arbeiten sie Seite an Seite, sogar ihre Grundstücke in Bad Godesberg liegen nebeneinander. Der neue Vorstandschef muss sich nun einen anderen Sparringspartner suchen. Er sei gut für die Firma, sagt Obermann über den Nachfolger.

Er selbst habe mit 50 Jahren das Bedürfnis, wieder etwas Neues anzufangen. In einer kleineren Firma, mit nur einem Produkt, in einem anderen Land. Er will wieder etwas bewegen, das sich schneller bewegt als die Telekom. Doch der Medienunternehmer John Malone könnte ihm einen Strich durch die Rechnung machen. Malones Kabelkonzern Liberty hat in den vergangenen Monaten schrittweise Anteile an Obermanns neuem Arbeitgeber Ziggo gekauft und besitzt inzwischen bereits 28,5 Prozent der Anteile. Jetzt hat Liberty Ziggo ein Angebot zur kompletten Übernahme gemacht. Sollte die gelingen, wäre Obermann wieder in einem großen internationalen Konzern gelandet.

Noch freut er sich aber auf den Wechsel. Und natürlich bereitet er sich auch schon längst darauf vor. Er hat eine Wohnung gemietet und ein Auto gekauft. Künftig wird ihm kein Chauffeur mehr die Tür öffnen. Der Manager wird wieder selbst am Steuer sitzen, auch darauf freut er sich. Bei einer Privatlehrerin lernt er Niederländisch. Das fällt ihm nicht so schwer. Obermann ist in Krefeld aufgewachsen, der Dialekt dort sei dem Niederländischen recht ähnlich, sagt er.

Einer, der lange mit Obermann gearbeitet hat, sagt, sein Wunsch wieder etwas anderes zu machen, ein Produkt zu entwickeln, näher bei den Menschen zu sein, sei absolut authentisch. Er bewundert Obermanns ungewöhnlichen Schritt: „Das ist wie vom Raumschiff zurück auf die Erde zu steigen.“

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