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Verwüstet. Das ehemalige Institut für Anatomie in der Königin-Luise-Straße.
© Gerd W. Seidemann

Streit um das alte Anatomie-Institut in Dahlem: Wohnungen ja, aber bitte nur mit Aldi

In der Königin-Luise-Straße verkommt ein altes Gebäude der FU. Das Gelände ist seit 2011 im Besitz der Aldi-Stiftungen. Der Discounter will dort bauen, aber der Bezirk stellt sich quer.

Wahrlich keine schöne Ansicht für manche Villenbewohner an der Peter-Lenné-Straße in Dahlem. Genau auf der Ecke zur Königin-Luise-Straße steht seit 2005 ein Gebäudeensemble des ehemaligen Anatomie-Instituts der Freien Universität (FU) auf gut 5000 Quadratmeter Grund leer. Und nicht nur das, es ist zumindest nach äußerem Augenschein auch verwüstet. In den zahlreichen Fenstern findet sich kaum noch eine intakte Scheibe. Die Immobilie ist seit 2011 im gemeinschaftlichen Eigentum von drei Stiftungen, die das Gesamtvermögen von Aldi Nord halten. Der Discounter hätte gern längst gebaut. Auch einen Markt für die eigene Marke. Dagegen sträubt sich seit Jahren der Bezirk und verweigert entsprechendes Baurecht. Ein Gerücht im Rathaus Zehlendorf, das Unternehmen wolle aufgeben und verkaufen, bestätigt sich hingegen nicht. Im Gegenteil.

Auf Anfrage dieser Zeitung sagt Jörg Michalek, Geschäftsführer der Aldi Immobilienverwaltung: „So ein wertvolles Grundstück gibt man nicht auf. Es kommen zwar täglich Anfragen dazu, doch wir laufen nicht weg wie ein trotziges Kind. Wir wissen, in Berlin brauchen Bauwillige einen langen Atem.“

Etwas kurzatmig äußerte sich Bezirksbürgermeisterin Cerstin Richter-Kotowski (CDU) auf der jüngsten Bezirksverordnetenversammlung (BVV) am 18. Januar. Bei einer Kleinen Anfrage des Verordneten Volker Semler (SPD) zu eventuellen Verkaufsabsichten von Aldi blieb sie eher vage. „Leider hat die Bezirksbürgermeisterin in gewohnt lakonischer Art geantwortet. Man warte, bis ein Investor mit seinen Wünschen in Bezug auf Baurecht an den Bezirk herantrete, selbst wolle man nicht aktiv werden“, weiß Ina Czyborra zu berichten. Die Zehlendorferin verfolgt die Nicht-Entwicklung auf dem fraglichen Grundstück seit Jahren, sie sitzt seit 2011 für die SPD im Berliner Abgeordnetenhaus.

Der Bezirk will keinen Supermarkt

Auch dort hat die 51-jährige Archäologin die Problemruine schon thematisiert, zuletzt am 16. November vergangenen Jahres, als unter anderem „studentische Wohnungsnot“ auf der Tagesordnung stand: „Wir haben in unserem Wahlkreis ein Grundstück, das unter dem Privatisierungsdruck, der lange in dieser Stadt herrschte, leider verkauft wurde und heute den Aldi-Stiftungen gehört. Seit Jahren stehen da ehemalige Universitätsgebäude leer, die nun vor sich hin rotten. Aldi möchte dort dringend einen Markt errichten, den kein Mensch braucht“, sagte sie im Plenum. „Der Bezirk will da auch das entsprechende Baurecht nicht schaffen, das finde ich sehr gut.“ Das Grundstück sei ein „idealer Standort für studentisches Wohnen, riesengroß, mitten in der FU“. Wie das umgesetzt werden kann, sagt die Abgeordnete nicht.

Die Weigerung des Bezirks, das Baurecht für ein vom Discounter vorgesehenes „Geschäftszentrum“ auszusprechen, fußt auf einem zehn Jahre alten Beschluss. Durch weitere Einkaufsmöglichkeiten sieht das Amt das „bezirkliche Zentren- Konzept“ gefährdet. Einzelhändler wie Rewe (früher Kaiser's) in Dahlem-Dorf und im „Schloss“-Shoppingcenter an der Schlossstraße müssten vor Konkurrenz geschützt werden. Wer die beschränkten Einkaufsmöglichkeiten in Dahlem-Dorf kennt, wird sich seinen Teil denken.

In seiner Haltung wurde der Bezirk zuletzt 2014 durch ein Urteil am Oberverwaltungsgericht bestärkt. Zwar gibt es Stimmen im Rathaus, die sagen, es gehe gar nicht um den Schutz von Einzelhändlern. Vielmehr sollten die Bewohner der hochwertigen Immobilien an der Lenné-Straße vor Liefer- und Kundenverkehr bewahrt werden. Auf unsere Anfrage sagt die Bezirksbürgermeisterin: „Das Thema spielt immer eine Rolle. Mir ist jedoch nicht bekannt, dass es hier entsprechende Eingaben gab.“ Die CDU-Politikerin will eisern am „Zentren-Konzept“ festhalten. Auf die Frage, welche Nutzung sie sich für das Filetgrundstück vorstellen könnte, antwortet sie: „Vor allen Dingen keinen Einkaufsmarkt. Das Thema ist ausgeurteilt. Baurecht verweigern wir nicht, doch hier handelt es sich um allgemeines Wohngebiet.“

Aldi sucht den Dialog

Das Geben und Nehmen zwischen Verwaltung und Unternehmen hat im Fall der aufgegebenen Anatomiegebäude bisher nicht funktioniert. Obwohl Aldi in ähnlich gelagerten Fällen bereits bewiesen hat, kompromissfähig zu sein. Etwa 2011 in Hamburg. Auch dort wollte die Verwaltung im Stadtteil Rissen keine zusätzliche Einzelhandelsfläche mehr genehmigen. Um dennoch einen Markt installieren zu können, sagte Aldi dringend benötigte Wohnungen zu. Und baute sie. Über dem Markt.

Dass insbesondere in den Städten der Mangel an Wohnraum zu immer mehr Unfrieden führt, ist dem Discounter nicht verborgen geblieben. Wie der Tagesspiegel am Donnerstag berichtete, will Aldi in den nächsten fünf Jahren auch in Berlin 2000 Wohnungen bauen. Zwei Pilotprojekte an der Silbersteinstraße in Neukölln und an der Sewanstraße in Lichtenberg sind unterwegs. Der Wohnungsbau ist ein Entgegenkommen an die Bezirke.

Bereits im vergangenen Jahr auf dem sogenannten Supermarktgipfel von Berlins Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke) hat Aldis Immobilienmann Michalek seine Erkenntnis offenbart, dass es bei dem gestiegenen Flächenbedarf moderner Filialen auch in Berlin kaum noch Genehmigungen für einen eingeschossigen Markt von 1400 Quadratmetern geben werde. Sein Unternehmen sei bereit, nach Lösungen zu suchen. „Wir wollen die Gespräche mit dem Bezirk wieder aufleben lassen. Es gibt Optionen. Ich denke nicht an Luxuswohnen, sondern eher an betreutes Wohnen, studentisches Wohnen, Praxen, Büros – wir suchen den Dialog. Nur, ohne einen Aldi-Markt wird es nicht gehen.“

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