Sozialer Wohnungsbau: Wo die Mietpreisbremse versagt
Die ehemaligen Sozialwohnungen in der Fanny-Hensel-Siedlung werden immer teurer – allen Gesetzen zum Trotz.
„Es ist auch unser Ziel, dass die Mieten im sozialen Wohnungsbau in Zukunft bezahlbar bleiben“, sagte Martin Pallgen in dieser Woche zum Vorstoß mehrerer Initiativen, die Mieten in Berlin mithilfe eines Volksbegehrens zu begrenzen. Doch wie das gehen sollte, gehen könnte – das sagte der Sprecher der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung nicht. Dabei gibt es doch das neue Instrument der Mietpreisbremse. Was dieses mehr oder weniger schöne Wort doch nicht alles verspricht! In vielen Fällen bezeichnet es indes ein sehr stumpfes Schwert, wie das folgende Fallbeispiel zeigt.
Sebastian Jung, Mieter in der Fanny-Hensel-Siedlung in Kreuzberg, kann nur sarkastisch lächeln, wenn er von der Mietpreisbremse hört. In seinem Falle quietscht sie nicht. Die Kaltmiete für Jungs etwa 50 Quadratmeter große Sozialwohnung soll von 268,95 auf 656,99 Euro steigen. Und der Vermieter verlangt eine rückwirkende Nachzahlung in Höhe von rund 10 000 Euro. Das Haus – noch ist es sein Zuhause – liegt nur einen Steinwurf von einem der Zentren entfernt, dem Potsdamer Platz. Beste Lage.
Die Fanny-Hensel-Siedlung, Postanschrift Schöneberger Straße, liegt zentral zwischen Anhalter Bahnhof und Potsdamer Platz, in 15 Minuten ist man zu Fuß am Brandenburger Tor. Seit einem Jahr geht der Rechtsstreit. Ende offen. Hier wird das von der Bundesregierung geschaffene Gesetz der Mietpreisbremse nicht greifen; die Preise in der Umgebung der Siedlung liegen höher.
"Die Mietpreisbremse hat mit uns nichts zu tun"
Ob Milieuschutz, Umwandlungsverbot oder der Stopp der Ferienwohnungen, die Diskussionen dieser Tage helfen dem gebürtigen Sauerländer nicht weiter. „Die Mietpreisbremse hat mit uns nichts zu tun. Für geförderte Sozialwohnungen gilt das Wohnungsbindungsgesetz. Das ist eine ganz andere Materie.“ Das lässt aufhorchen. Denn gerade bei Sozialwohnungen wird nach landläufiger Betrachtung eine natürliche Mietpreisbremse unterstellt. Dem ist aber nicht so.
Im Fall von Sebastian Jung in der Schöneberger Straße soll der Mietzins pro Quadratmeter von 5,33 auf 13,02 Euro steigen. Die „preisrechtlich zulässige Miete“ werde geltend gemacht, schrieb die Hausverwaltung. „Für mich“, so sagt der 40-Jährige, „ist das eine Existenzbedrohung.“ Mieter Jung zog im Jahr 2001 in den 1990 fertiggestellten Sozialbau ein, in eine der insgesamt 44 Wohnungen. Er war im Besitz eines Wohnberechtigungsscheins. Die Wohnung hat einen nach Süden ausgerichteten Balkon und ist damit hell. Der Blick geht auf einen ruhigen grünen Innenhof.
Bis 1989 wirkte das Gebiet am Hafenplatz fast wie ein Niemandsland. Doch daran erinnern sich nur noch alte Berliner. Tempodrom, Gruselbunker, Hotels und der Sportplatz hinter dem Portikus des einstigen Anhalter Bahnhofs haben das Erscheinungsbild völlig gewandelt. Der Potsdamer Platz mit seinen Vergnügungsangeboten lockt inzwischen ein Massenpublikum, darunter viele Touristen. Wer im Fanny-Hensel-Kiez wohnt, ist mitten im Geschehen. Passen Sozialwohnungen noch in diese Gemengelage?
Berlin hat für die soziale Wohnraumförderung zu wenig getan
Für Sebastian Jung ist das keine Frage: „Der Umgang mit unserem Wohnhaus ist der Lackmustest dafür, ob eine gemischte Innenstadt mit bezahlbarem Wohnraum von der Politik noch gewollt ist oder nicht.“ Er wünscht sich eine Art Mietpreisbremse auch für die mit Steuergeld geförderten Sozialwohnungen. Davon gibt es in Berlin immerhin an die 137 000. Doch für diese gibt es keine Anschlussförderung mehr. Der Senat ist 2003 aus der Anschlussförderung im sozialen Wohnungsbau ausgestiegen. Davon sind berlinweit zirka 28 000 Wohnungen betroffen, in Friedrichshain- Kreuzberg zirka 2250 Wohnungen.
Eine davon ist die von Sebastian Jung. Er wird es schwer haben, eine neue Sozialwohnung zu finden. „Wenn ich die Förderung seit den achtziger, neunziger Jahren Jahr für Jahr reduziere und keine neuen Sozialwohnungen auf den Markt bringe, dann fallen die nach 20, 25 Jahren aus den Bindungen, ohne dass neue nachrücken – und so reduziert sich die Zahl der Sozialwohnungen“, sagt der Berliner Stadtsoziologe Andrej Holm von der HU Berlin zu dem Fall.
Nach Einschätzung des Bundesverbandes des Eigentümerverbandes „Haus & Grund“ hat Berlin für die soziale Wohnraumförderung in den vergangenen Jahren viel zu wenig getan: „Die Entwicklung wurde vollkommen verschlafen“, sagte Torsten Weidemann, Geschäftsführer Volkswirtschaft und Wohnungswesen bei „Haus & Grund“ in dieser Woche in Berlin.
Jetzt ist die Politik am Zug
Jungs Mietwohnung war 2005 aus der Förderung herausgefallen. Ein neuer Eigentümer hob die Mieten an. Es gab Widerstand. Jung wurde Sprecher der Mieter und geriet bald in eine zähe Auseinandersetzung mit der zuständigen Hausverwaltung. Sein Credo: „Ich fühle mich wie Asterix und Obelix. Ganz Gallien ist besetzt, aber ich bleibe.“
Das Problem mit den Berliner Sozialwohnungen, die einst zu enormen Kostenmieten und mit großen Finanzierungsrisiken errichtet wurden, ist inzwischen wieder bei der Politik angekommen. Eine Expertenrunde mit Senat und Wohnungsverbänden diskutiert derzeit im kleinen Kreis, wie es mit dem Sozialen Wohnungsbau weitergehen soll. Sie werde im Frühjahr ein Konzept vorlegen, sagt der Sprecher des Senatsbauverwaltung Martin Pallgen auf Anfrage: „Ich bitte um Verständnis dafür, dass wir vorher noch nichts sagen können.“
Der Fall der Fanny-Hensel-Siedlung sei ein klassisches Beispiel für Sozialwohnungen in Berlin, die aus der Mietpreisbindung herausfallen und für bestimmte Klientel unbezahlbar werden. „Hier sind jetzt Mietpreiserhöhungen auf 13, 14, 15 Euro möglich und das wird vom Eigentümer auch vollzogen – das heißt, hier sind schon etliche Familien ausgezogen, weil der ehemalige Sozialwohnungsbau zu teuer ist“, sagt Gentrifizierungsexperte Holm. Pro Jahr fallen in Deutschland rund 100 000 Wohnungen aus der sozialen Bindung heraus, hieß es kürzlich in einer vom ZDF ausgestrahlten Fernsehreportage über die Mietpreisbremse.
Härtefallhilfen kommen für Jung nicht infrage
Berlins Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel erklärte jetzt, er arbeite daran, „sehr schnell gerechte Lösungen für Härtefälle im Sozialwohnungsbestand anzubieten“. Er verwies auch auf das 2011 beschlossene Wohnraumgesetz Berlin, wonach „im Falle des Eigentümerwechsels von Häusern ohne Anschlussförderung keine höhere Miete mehr als die ortsübliche Vergleichsmiete verlangt werden darf“. Für Jung ist das allerdings keine Hilfe, denn für das Haus, in dem er wohnt, kam diese Regelung zu spät.
Auch die vom Senat beschlossenen Härtefallhilfen für Betroffene, auf die Behördensprecher Pallgen verweist – darunter die Beratung der betroffenen Haushalte durch eine unabhängige Mieterberatung, Umzugshilfen und die Unterstützung einkommensschwächerer Haushalte durch zeitlich befristete Mietbeihilfen – kommen für Jung nicht infrage. Pallgen hält die bisherigen gesetzlichen Regelungen auf Landesebene auf Anfrage des Tagesspiegels für ausreichend.
Reiner Wild, Chef des Berliner Mietervereins, sagte dem Tagesspiegel, er unterstütze die Idee „einer sozialen Richtsatzmiete, die sich auch am Einkommen der Mieter orientiert“. Damit solle auch Menschen mit kleinem Geldbeutel weiterhin das Wohnen in der Innenstadt und im Sozialen Wohnungsbau möglich sein.
"Noch kann man gegensteuern"
Mieter Jung, inzwischen auch Sprecher des gemeinnützigen Vereins „Mieterstadt.de – Netzwerk für soziales Wohnen und bürgernahe Stadtentwicklung“, hat einen Vorschlag parat: „Wenn der Gesetzgeber regeln würde, dass der Vermieter nur die realen Kosten der erworbenen Sozialwohnungen umlegen darf, nicht fiktive Kosten, dann könnte er in der Fanny-Hensel-Siedlung eine Miete von sieben Euro kalt berechnen und hätte immer noch eine Verzinsung von 4,5 Prozent.“
Mit einer solchen Belastung in Höhe der ortsüblichen Vergleichsmiete könnte sich auch Sebastian Jung anfreunden. Sein Appell an die Politik: „Noch kann man gegensteuern, um Pariser Verhältnisse in Berlin zu verhindern. Mit Sonntagsreden allein ist das Problem aber nicht zu lösen.“
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