Neues Stadtviertel: "Werkbundstadt" in Charlottenburg nimmt Gestalt an
Der neue Baustadtrat Oliver Schruoffeneger wünscht sich im Quartier alternative Mobilitätskonzepte.
Die neben dem Heizkraftwerk Charlottenburg geplante „Werkbundstadt“ nimmt Gestalt an – zumindest planerisch. Nachdem der traditionsreiche Werkbund der Öffentlichkeit im Sommer vergangenen Jahres sein Konzept für eine Musterstadt mit rund 1100 Wohnungen vorgestellt hatte, geht es jetzt an die Realisierung. Am Donnerstagabend besprach man sich unter der Veranstaltungsfrage „Wie geht es weiter?“ zum Stand des Verfahrens. Mit am Tisch saßen Entscheider aus der Verwaltung und der neue Baustadtrat von Charlottenburg-Wilmersdorf, Oliver Schruoffeneger (Bündnis 90/Die Grünen).
Der in Berlin geborene Politiker freute sich in seinem Eingangsstatement über „die Rückkehr des Werkbundes in die Stadt“. Der Werkbund, 1907 als Zusammenschluss von Künstlern, Architekten und Unternehmern gegründet, kämpft sei jeher gegen die Entfremdung des Produktes vom Schaffenden. Er hat sich Nachhaltigkeit in allen Bereichen des Lebens auf die Fahnen geschrieben. Daran knüpft Schruoffeneger gerne an: „Es geht hier auch um ökologische Nachhaltigkeit“, sagte er mit Blick auf das Projekt.
Auf Grundlage des konzipierten Städtebaus entwickelten seit März 2016 die beteiligten 33 Architekturbüros jeweils drei Entwürfe für verschiedenen Gebäude an der Quedlinburger Straße. Mit der Auflösung eines 2,8 Hektar großen Tanklagers am Spreebord soll hier ein ganzes Viertel in Charlottenburg-Nord wieder an die Stadt angebunden werden.
Lärm und Lage bereiten die größten Probleme
Dazu habe er „47 Wünsche“ sagte Schruoffeneger und nannte schließlich drei, die wohl als Vorbedingungen gelten dürfen: „Die Stadt der Zukunft ist nicht die Stadt des motorisierten Individualverkehrs“, sagte der an dieser Stelle verantwortliche Baustadtrat: „Ich wünsche mir ein Projekt, das auf neue Modelle der Mobilität der Bewohner setzt.“ Dieser Wunsch dürfte durchaus in Reichweite liegen, wie einer Einlassung des Leiters des Stadtentwicklungsamtes Charlottenburg-Wilmersdorf zu entnehmen war: „BMW hat sich dieses Quartier als Modell für alternative Mobilitätskonzepte angeschaut“, sagte Rainer Latour. Es gebe da bereits „konstruktive Gesprächskontakte“.
Als zweiten Wunsch beim Aufbau des neuen Quartiers formulierte Baustadtrat Schruoffeneger „die Integration von Menschen mit erheblichen Problemen in einem Umfeld – sowohl beim Wohnen als auch beim Arbeiten“. Wie dies in der Planung der Werkbundstadt zu bewerkstelligen sein wird, war auf der Veranstaltung im Werkbundhaus in der Quedlinburger Straße 11 zunächst noch nicht zu hören. Doch das – drittens – vom Baupolitiker gewünschte „Aufnehmen historischer Bezüge“ dürfte an Ort und Stelle kein Problem sein.
Zwar beschloss der Deutsche Bundestag am gleichen Abend einen Gesetzentwurf zur Schaffung eines neuen Baugebietstyps, der sogar das Wohnen neben einem Heizkraftwerk ermöglicht. Dennoch stellen Lärm und Schattenwürfe des Kraftwerks die Werkbundplaner vor Herausforderungen.
Aktiver Schallschutz sei notwendig
„Die Firma Vattenfall hat uns ein Gutachten spendiert“, erzählte Latour, „von der Müller-BBM GmbH.“ Diese Ingenieurgesellschaft liefert Fachgutachten über Luftschadstoffe, Lärm, Gerüche, Lichtimmissionen und elektromagnetische Wellen. Das Gutachten habe ergeben, dass es „verschiedene Emissionen auf dem Gelände“ gebe. Sorgen machen vor allem die großen Pumpen in der ehemaligen Maschinenhalle und die derzeit noch oberirdisch verlaufenden Fernwärmeleitungen.
„Es ist dringend erforderlich, dass wir einen aktiven Schallschutz bekommen“, sagte der Leiter des Stadtentwicklungsamtes. Alles in allem passe das nun beschlossene „Urbane Gebiet“ aber „wie maßgegossen“ zum Projekt. Mit dem aber bereits geplanten „Maßnahmenkranz“ sei man nicht abhängig von dem neuen Gesetz, das erst noch den Bundesrat passieren muss. „Wir sind nicht abhängig von der geplanten Erhöhung der TA Lärm“, sagte Latour. Auch bei anderen Essentials konnte der Amtsleiter Erfreuliches berichten.
Zwar habe man noch keine Dachhöhenzonen definiert, doch gebe es vom Eigentümer des Geländes bereits „die Grundzustimmung zum Berliner Modell“ der kooperativen Baulandentwicklung. Dieses sieht seit dem 1. Februar grundsätzlich einen Anteil von 30 Prozent der Geschossfläche für Wohnnutzung als förderfähiger Wohnraum mit Mietpreis- und Belegungsbindungen vor. Damit sei der in Hamburg ansässige Eigentümer einverstanden, hieß es, und er beschäftige sich mit der Frage: „Wie gründet sich eine Beteiligungsgesellschaft?“
Das Berliner Büro Spath & Nagel kümmert sich um die Planung
Andernorts macht man sich bereits Gedanken über einen Bebauungsplan. Es gelte, das Kraftwerk Charlottenburg so zu konzipieren, „dass die bestehende und künftige Wohnbebauung nicht belastet wird“. Das sagte Thomas Nagel, Stadtplaner vom Büro Spath + Nagel, der die planerischen Voraussetzungen für einen kommunalen Bebauungsplan schaffen soll. „Wenn die Lärmschutzmaßnahmen gesichert sind, kann man die Bebauungsplanung betreiben“, sagte er. Es könne dann an Ort und Stelle eine allgemeine Wohnbebauung geben – mit dem gesetzlich vorgeschriebenen Anteil an sozialem Wohnungsbau. „Es müsste keine weiteren Restriktionen geben“, sagte Nagel.
„Im Schatten“ des Heizkraftwerks stellt er sich zwei Mischgebiete mit Hochhäusern vor, in denen vom siebten Stockwerk an aufwärts Menschen wohnen könnten. „Die übrigen Gebäude bekommen sechs Geschosse und eine Dachzone.“ Alles in allem solle der Wert von achtzig Prozent versiegelter Fläche nicht überschritten werden. Ob dies mit den von Oliver Schruoffeneger noch nicht offenbarten 44 Wünschen zum Projekt korreliert, wird die nächste Runde zeigen.