Weniger Recht für Eigentümer: Was sich mit dem neuen Wohnungseigentumsgesetz ändern würde
Das Wohnungseigentumsgesetz steht vor einer radikalen Reform. Eigentümer haben künftig weniger zu sagen, Entscheidungen sollen schneller laufen. Ein Überblick.
Ende August war die Welt noch in Ordnung. Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) kündigte eine Reform des Wohnungseigentumsgesetzes (WEGesetz) an. Die wurde von vielen begrüßt, denn das Gesetz ist – nun ja – wirklich lange im Amt. Seit dem 20. März 1951, um genau zu sein. Die letzte Änderung datiert vom 5. Dezember 2014.
Reformen gab es zuletzt zwar 1973 und 2007. Doch alle Akteure, die versuchen, mit dem WEG Eigentum zu verwalten und zu gestalten, wissen: Es ist nicht mehr zeitgemäß. Wie E-Ladesäulen installiert werden zum Beispiel, durch wen, und wer darüber entscheidet (und bezahlt) – das konnte der Gesetzgeber in den frühen fünfziger Jahren nicht regeln.
So war der Zuspruch groß, als nun endlich der 109-seitige Abschlussbericht einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe vorlag und fürderhin alles besser werden soll. Bis Ende des Jahres soll ein Gesetzentwurf kommen. Die Unionsfraktion nannte den Abschlussbericht eine „solide Basis“ und forderte das Bundesjustizministerium zu einer „zügigen Umsetzung“ auf. „Wir werden bauliche Maßnahmen zur Förderung der Elektromobilität erleichtern. Eigentümer und Mieter brauchen ein Recht auf Einbau von Ladestationen“, sagte Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD).
Vorgesehen sind zudem neue digitale Beteiligungsformen – etwa die Teilnahme an einer Eigentümerversammlung per Videoschalte oder die Zustimmung zu Beschlüssen in einer Messenger-Gruppe. Allerdings soll es nicht zulässig sein, generell online zu tagen. „Wir wollen die Dinge flüssiger und billiger machen“, sagte Staatssekretär Gerd Billen.
Haus & Grund, mit rund 900.000 Mitgliedern der mit Abstand größte Vertreter der privaten Haus-, Wohnungs- und Grundeigentümer in Deutschland, stimmte in den Chor der Gratulanten ein. „Die vorliegenden Pläne sind ein guter und wichtiger Schritt in die richtige Richtung“, kommentierte Haus & Grund-Präsident Kai Warnecke den Abschlussbericht.
Verwalter sind vom Arbeitsgruppenbericht begeistert
Der Eigentümerverband begrüßte vor allem die Empfehlung des Gremiums, für das Recht der baulichen Maßnahmen eine große Lösung anzustreben und die Möglichkeiten der Wohnungseigentümer, das gemeinschaftliche Eigentum zu modifizieren, zu erweitern. „Es wird Zeit, endlich mit der Flickschusterei der Reformen und Reförmchen aufzuhören. Das geltende Recht hat in vielen Eigentümergemeinschaften Veränderungen verhindert“, sagte Warnecke. Die geplante Reform könne so erheblich dazu beitragen, den vielerorts bestehenden Sanierungsstau zu beheben.
An dieser Stelle hätte jeder, der den Ablauf von Eigentümerversammlungen kennt – mit ihren Fronten, Quertreibern, Mitläufern und Rechthabern – stutzig werden können, stutzig werden müssen. Die schönen Stunden mit endlosen Debatten – zum Beispiel über die Platzierung eines neuen Fahrradständers – sollen vorbei sein? Wie das?
Eine Diskussion in der Humboldt-Universität zu Berlin zeigte am 24. September, dass das geplante neue WEG-Recht ein Gesetzespaket mit erheblichem Sprengstoff ist. Bei „objektiv vernünftigen Maßnahmen“ müssen zum Beispiel nicht mehr drei Viertel aller Eigentümer einer Gemeinschaft, sondern nur noch mehr als die Hälfte zustimmen. Die Zustimmungsquoren, die erforderlichen Mehrheiten also, sollen für bauliche Maßnahmen herabgesetzt werden. Die Kosten werden dann auf alle umgelegt.
Das gilt allerdings nicht, wenn eine „grundlegende Umgestaltung“ der Wohnanlage nötig oder geplant wäre. Wie aber würde die aussehen, beziehungsweise wie wäre sie zu definieren?
Laut Wolfram Marx, Referatsleiter im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV), lauten die Kriterien für eine bauliche Maßnahme, die künftig mit einfacher Mehrheit zu beschließen wäre: Entweder eine Maßnahme, die zur Kostenersparnis beiträgt, oder eine, die zum zeitgemäßen Erscheinungsbild der Wohnungseigentumsanlage beitragen könnte. „Wenn Eigentümer sich entscheiden, einen Swimmingpool einzubauen, reicht die einfache Mehrheit“, sagte Marx: „Aber bezahlen sollen dann die, die auch dafür gestimmt haben.“
Männer und Frauen ohne Ausbildung entscheiden über Millionenaufträge
Die Frist zur Einberufung einer Versammlung soll von zwei auf vier Wochen verlängert werden. Bei Umlaufverfahren soll es künftig möglich sein, Beschlüsse auch online zu fassen.
Wer aber bestimmt, was eine „objektiv vernünftige Maßnahme“ ist? Hier hat die Bund-Länder-Arbeitsgruppe Menschen ins Auge gefasst, die zu ihrer Berufsausübung nicht einmal eine Ausbildung absolvieren müssen: Die Verwalter sollen die starken Männer und Frauen werden, die künftig in den Eigentümergemeinschaften das Sagen haben.
Martin Kaßler, Geschäftsführer des Dachverbandes Deutscher Immobilienverwalter e. V. (DDIV), hatte nach Vorlage des Berichtes allen Grund zur Freude über diese Weichenstellung. Er erklärte: Eine gute Basis für den baldigen Referentenentwurf.
Die Arbeitsgruppe schlägt unter anderem vor, die Entscheidungs- und Vertretungsbefugnisse von Verwaltern deutlich zu erweitern. So sollen diese künftig eigenverantwortlich über Maßnahmen entscheiden können, bei denen die Einberufung einer Eigentümerversammlung nicht notwendig erscheint. Zudem wird angeregt, ihre Kompetenz auf die gerichtliche Geltendmachung von Hausgeldforderungen einschließlich Vollstreckungsverfahren zu erweitern und ihnen eine „grundsätzlich unbeschränkte Vertretungsmacht“ für die Gemeinschaft zu übertragen.
Einmal auf der Erfolgsspur, legte der DDIV wenige Tage später einmal mehr nach: Die Branche müsse die „selbst auferlegte Zurückhaltung bei der Honorierung ablegen“.
Starke Kritik von "Wohnen im Eigentum"
Es blieb Gabriele Heinrich, Vorstand der Interessenvertretung „Wohnen im Eigentum (WiE)“, vorbehalten, in Berlin auf den geplanten grundlegenden Systemwechsel hinzuweisen. Dieser besteht darin, dass die Wohnungseigentümergemeinschaft alleinige Trägerin der Verwaltung werden soll. Sie soll also zum vollrechtsfähigen Verband umgestaltet werden. Und der Verwalter soll zum Geschäftsführer aufsteigen. Eine Position, wie es sie in GmbHs gibt.
Im Außenverhältnis, also im Geschäftsverkehr mit Dritten, sollen Verwalter unbeschränkt allein vertretungsberechtigt werden. Dafür sollen sie zusätzlich im Innenverhältnis – gegenüber den Eigentümern – mehr Entscheidungsbefugnisse erhalten. Den Eigentümern lässt die Bund-Länder-Arbeitsgruppe immerhin das Privileg, alles zu bezahlen.
Marx, der für das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz die Bund-Länder-AG mitgeleitet hat, schwieg in seinem Vortrag über die neue Rolle des Verwalters. Was er über weitere Überlegungen zu berichten hatte, war für die rund 120 Zuhörer indes nicht weniger beunruhigend:
Marx berichtete, dass nach den derzeitigen Reformvorschlägen die Eigentümerversammlung künftig immer beschlussfähig sein soll. Dies unabhängig von der Anzahl der erschienenen und vertretenen Eigentümer.
Auch Mieter sollen bauliche Maßnahmen für mehr Klimaschutz oder Barrierefreiheit künftig leichter durchsetzen können. Ob so etwas Konsens sein kann?
Grüne fordern Stärkung des Verbraucherschutzes
Die Bundestagsabgeordneten auf dem Podium ergänzten, dass weitere Korrektive eingeführt werden sollen. Sebastian Steineke (CDU/CSU, Berichterstatter im Rechtsausschuss für das WEGesetz im Bundestag) befürwortete eine Stärkung des Verwaltungsbeirates. Der Bundestagsabgeordnete Michael Groß (SPD) vermisste den Sachkundenachweis für Verwalter – also die Ausbildung dieses Berufsstandes. Er betonte, dass der Schutz des Privateigentums von Verbrauchern von besonderer Bedeutung sei und Verwalter deshalb keine GmbH-Geschäftsführer werden dürften.
Er forderte die Teilnehmer auf, ihnen als zuständige Politiker zu schreiben, welche Vorstellungen sie als Wohnungseigentümer hätten. Er bekomme zum WEGesetz vor allem „Post von Verwalterverbänden- und anderen Lobbyverbänden – meist auf Hochglanzpapier“.
Der Bundestagsabgeordente Christian Kühn (Bündnis ’90/Die Grünen) sprach sich für die Stärkung des Verbraucherschutzes aus, betonte aber auch, dass gesetzliche Vereinfachungen erforderlich seien, um bauliche Maßnahmen zur Erreichung der Klimaschutzziele zu ermöglichen.
Auch Kühn sieht die geplante Reform als „massiven Eingriff in das System der Wohnungseigentümergemeinschaft“. Wenn man die Aufgabe des Verwalters – der bisher ein Dienstleister ist – so umgestalte, „dann muss der Sachkundenachweis kommen“, sagte er.
Einigkeit bestand bei allen Politikern darüber, dass es einer umfassenden Novellierung des WEGesetzes bedarf. Die Initiative im Bundesrat, den Einbau von Ladestationen für E-Autos im WEGesetz schnell zu erleichtern, also „vorzuziehen“, hielten alle nicht für zielführend und effektiv. Damit wäre die gesamte Reform gefährdet.
Heinrich forderte abschließend, dass die Regelungen im Gesetz so ausgestaltet werden sollten, dass sie den Wohnungseigentümern einen Orientierungsrahmen geben. Im Abschlussbericht fehle es an Verbraucherorientierung und an einer Stärkung des Willensbildungsprozesses der Eigentümer, wenn die Eigentümerversammlung als oberstes Beschlussorgan ernst genommen werden solle und die Beschlüsse trotz herabgesetzter Beschlussquoren demokratisch gefasst werden sollten. Sie kritisierte, dass die Eigentümer Rechte verlieren würden, sollte die Wohnungseigentümergemeinschaft zum Verband werden: „Es ist kritisch zu sehen, wenn der Verwalter als Geschäftsführer etabliert werden soll“, sagte die Interessenvertreterin der Eigentümer: „Durch die Stärkung des Verwalters könnte eine Schieflage entstehen, weil es keine weitergehenden Kontrollrechte der Wohnungseigentümer geben soll. Wer kontrolliert wie den Verwalter?“
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