Zweckentfremdungsverbot für Berlin: Verordnung gegen Zweckentfremdung einfach zwecklos?
Die neue Berliner Zweckentfremdungsverbot-Verordnung ist seit vergangener Woche beschlossene Sache. Doch das Verbotspaket hängt in einem Netz aus Fallstricken. Die Umsetzung wird durch praktische Probleme gefährdet.
Das Zweckentfremdungsverbot für ganz Berlin steht unmittelbar bevor. Neben Vermietern von Ferienwohnungen können auch Freiberufler, Tagesmütter oder teilgewerbliche Wohnungsnutzer betroffen sein. Die neue Berliner Zweckentfremdungsverbot-Verordnung ist seit vergangener Woche beschlossene Sache und tritt in Kraft, wenn der Rat der Bürgermeister zugestimmt hat; das dürfte im Laufe der nächsten Tage bei dieser Formalie der Fall sein. Die neue Verordnung soll die Umwandlung von Wohnraum in Büros oder Ferienwohnungen verhindern bzw. rückgängig machen. Auch gegen den Abriss und „spekulativen Leerstand“ sollen die neuen Regelungen helfen. Das alte Zweckentfremdungsverbot hatte das Oberverwaltungsgericht zum Jahr 2000 aufgehoben. Alles auf Null also?
Der Bedarf an Wohnungen ist in Berlin gigantisch. Nach Angaben des Immobilienunternehmens Engel & Völkers liegt er in der Hauptstadt bei rund 73 000 Wohnungen. 8000 bis 12 000 Wohnungen, so hofft die Landesregierung, sollen durch das neue Gesetz innerhalb von zwei Jahren wieder auf den Wohnungsmarkt kommen. Vor allem die steigende Zahl von Ferienwohnungen in Miethäusern ist der rot-schwarzen Koalition ein Dorn im Auge.
Bereits im November letzten Jahres verabschiedete das Abgeordnetenhaus deshalb das „Gesetz über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum“. Wirksam werden kann es jedoch erst jetzt mit der neuen Verordnung. Diese legt fest, dass im gesamten Stadtgebiet Berlins die Versorgung der Bevölkerung mit bezahlbarem Wohnraum besonders gefährdet ist. Das Vorgehen des Senats war zu erwarten, denn mit derselben Begründung war 2013 bereits die Kappungsgrenze für Mieterhöhungen für ganz Berlin von 20 Prozent auf 15 Prozent abgesenkt worden. Ebenso war der Kündigungsschutz für Mieter bei Umwandlung ihrer Wohnungen in Eigentum für alle Bezirke auf zehn Jahre ausgeweitet worden. Eine Differenzierung zwischen Innenstadt- und Randlagen, in denen Wohnungsknappheit zweifelhaft erscheint, findet nicht mehr statt. Bei der Frage der Wohnungsknappheit stützt sich der Senat auf Zahlen von 2011 und älter.
Wenig Rechtssicherheit bei der „gewerblichen oder beruflichen Nutzung“
Von der neuen Regelung nicht erfasst sind laut amtlicher Begründung Kurzzeitvermietungen, z.B. an Au-Pair-Mädchen, Montage-Arbeiter oder Praktikanten. Aber schon bei der im Gesetz genannten „gewerblichen Zimmervermietung“ beginnen die Rechtsprobleme: Wann ist die Zimmervermietung, die schließlich auch dem kurzzeitigen Wohnen dient, noch Zweckentfremdung und ab wann kann man sagen, dass z. B. ein entsendeter Arbeitnehmer seinen Lebensmittelpunkt – genehmigungsfrei – nach Berlin verlagert hat?
Wenig Rechtssicherheit herrscht beim Merkmal der „gewerblichen oder beruflichen Nutzung“. Hierunter kann jede Arzt- oder Physiotherapiepraxis, Steuerberater-, Notar- oder Anwaltskanzlei, jedes Architekten- oder Unternehmensberaterbüro fallen, aber auch in einer ehemaligen Wohnung eingerichtete Kinderläden und Tagespflegeeinrichtungen. Betroffen ist auch die teilgewerbliche Vermietung: Wer seine Wohnung, z. B. als Existenzgründer, zu mehr als 50 Prozent zum Arbeiten nutzt, wird vom Zweckentfremdungsverbot erfasst.
Zwar erklärte die SPD-Abgeordnete Iris Spranger im Berliner Abgeordnetenhaus, alteingesessene Freiberufler seien nicht erfasst. Der Gesetzeswortlaut und seine Begründung sagen jedoch etwas anderes. Dass der Großraum Kurfürstendamm nun entvölkert wird, ist dennoch nicht zu erwarten. Bestehende Mietverträge genießen Bestandsschutz, zumindest bis zur Kündigung. Auch Wohnungsleerstand von mehr als sechs Monaten wird genehmigungsbedürftig, ebenso der Abriss von Wohnraum, selbst wenn Platz für einen Wohnungsneubau geschaffen werden soll.
Ob das Verbot die Umnutzung von Wohnraum verhindern kann, ist fraglich
Probleme deuten sich für schwer vermietbare Wohnungen an: Was der Vermieter tun muss, um den Leerstand zu beenden, sagt das Gesetz nicht. Er trägt aber die Beweislast, dass er für die Vermietung „alles Zumutbare getan“ hat. Sonst drohen Bußgelder von bis zu 50 000 Euro. Bei Modernisierungen darf der Leerstand bis zu 12 Monate betragen. Wie der Vermieter beweisen soll, dass er zügig umgebaut hat, und wie mit unverschuldeten Bauverzögerungen umgegangen wird, ist offen.
Ob die Umnutzung von Wohnraum nur durch ein neues Verbotsgesetz verhindert werden kann, ist fraglich. Denn für eine Nutzungsänderung ist ohnehin eine Baugenehmigung erforderlich, selbst wenn baulich überhaupt nichts verändert werden soll. Aber das Gesetz geht noch einen Schritt weiter: Selbst genehmigte Nutzungsänderungen, die teils seit Jahren bestehen, sollen rückgängig gemacht werden – innerhalb von zwei Jahren. Solange haben Vermieter von Ferienwohnungen eine „Schonfrist“, die allerdings umstritten ist; die Opposition hatte längstens sechs Monate gefordert.
Streitträchtig ist auch, ob überhaupt Ferienwohnungen, Büros usw. erfasst werden können, die dem Wohnungsmarkt schon seit Jahren nicht mehr zur Verfügung stehen. „Zweckentfremdungsverbot-Vorschriften können unter Beachtung des verfassungsrechtlichen Rückwirkungsverbots nur den zum Zeitpunkt ihres Inkrafttretens vorhandenen Wohnraum schützen“, urteilte das Berliner Verwaltungsgericht 1997 zur damaligen Rechtslage. Der Senat sieht keinen Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot und hält den Eingriff in das Eigentumsrecht für mit dem Grundgesetz vereinbar. Neue Klagen von betroffenen Eigentümern sind damit wohl vorprogrammiert.
Ausnahmegenehmigungen sollen möglich sein und sogar als erteilt gelten, wenn das Bezirksamt nicht innerhalb von 14 Wochen entscheidet. Diese „Genehmigungsfiktion“ kommt in zwei Jahren, wenn die Übergangsfrist für Ferienwohnungen ausläuft. Bei einer Antragsflut könnten, wenn das Personal in den Bezirken nicht aufgestockt wird, viele Genehmigungsfiktionen entstehen.
Katrin Dittert, Mathias Münch
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