Immobilien: Prora und Kontra
Ferienwohnungen als Kapitalanlage – wie rechnet sich das? Neben zu erwartenden Einnahmen leisten sich Käufer auch einige Risiken. Eine Musterrechnung.
Rügen, die größte deutsche Insel, soll noch attraktiver werden. Die Orte Binz und Sellin mit ihrer Bäderarchitektur zählen längst zu den Glanzpunkten für Rügen-Besucher. Binz hat dabei die Nase vorn, dicht gefolgt vom etwas beschaulicheren Sellin. Nun soll auch Prora auf der touristischen Landkarte erscheinen. Doch wer will schon nach Prora? Dieser Ortsteil von Binz weist zwar einen wunderbaren Strand auf, doch gleich dahinter ragt ein Ungeheuer empor, eine Monstrosität, eine Beleidigung für jedes Auge. Abrissversuchen hat es schon früher standgehalten, heute ist der Koloss Deutschlands größtes Baudenkmal, mit einer Ausdehnung von fast 4,5 km Länge direkt am feinsandigen Strand der Prorer Wiek.
Das aus acht Baukörpern bestehende Gebäudeensemble wurde in den Jahren 1937 bis 1939 hochgezogen – und nie fertiggestellt. Doch seit einigen Jahren tut sich was. Nicht nur hat sich hier 2011 Deutschlands ungewöhnlichste und größte Jugendherberge in einem „Block“ einquartiert. Die tolle Lage hat auch Investoren angelockt, die Teile des Komplexes erworben haben und nun von Hotels und Luxusapartments träumen sowie dem entsprechenden Angebot einer ordentlichen touristischen Infrastruktur: Geschäfte, Gastronomie und mehr. Schließlich ist der Binzer Ortskern nur vier Kilometer entfernt.
Schauen wir uns das Angebot eines Anbieters etwas genauer an: Filetstücke in den obersten Stockwerken des Baudenkmals mit 103 Quadratmetern Wohnfläche und edler Ausstattung mit Sauna bieten bei Preisen von bis zu 6500 Euro pro qm den preisadäquaten Komfort, aber auch dem hoch besteuerten Einkommensbezieher steuerliche Anreize. Letzteres bedeutet vor allem: Denkmal-Abschreibung. Macht bei einem Gesamt-Kaufpreis von rund 670 000 Euro plus Möblierungskosten für eine 103 qm Premium-Ferienwohnung, und bei dauerhaftem Höchststeuersatz von 42 Prozent einen Steuerrückfluss von zirka 200 000 Euro über 12 Jahre verteilt.
Ortsansässige Apartment-Vermietungen prognostizieren für dieses Ferien- Wohnungsbeispiel einen Erlös von durchschnittlich 150 Euro pro Vermietungstag, netto vor Steuern. Angenommen werden 150 bis 250 Vermietungstage pro Jahr. Tritt die Prognose mit zum Beispiel 200 Vermietungstagen ein, so winkt eine Jahresmieteinnahme von 30 000 Euro. Die Nebenkosten abgezogen, verbleiben zirka 25 000 Euro an Einkünften, die noch versteuert werden müssen. Bei angenommenem Höchststeuersatz ergibt sich rechnerisch eine Bruttomietrendite – inklusive Möbelinvestition – von zirka 3,5 Prozent im Jahr, bezogen auf das eingesetzte Bruttokapital. Im Vergleich dazu wirkt eine Vorsteuerrendite mit sicheren deutschen Staatsanleihen und einer 12-jährigen Laufzeit von zirka 1,8 Prozent, also unterhalb der Inflationsrate, etwas dürftig.
Mit diesem starken Argument zerstreuen Makler und Finanzberater Zweifel ihrer Klienten denn auch zielgerichtet. So lockt schließlich eine Provision zwischen 8 und 12 Prozent aus dem Kaufpreis. Aber, nach Pro(ra) kommt auch ein Kontra. Laut Statistik des Statistischen Landesamtes für Mecklenburg-Vorpommern ist die Annahme von 200 durchschnittlichen Vermietungstagen für Rügen pro Jahr nicht zu schaffen. Seriöse Quellen sehen 120 bis 170 Tage als realistisch an, wenn die Lage und das Umfeld stimmen. Ob das in Prora mittel- oder langfristig eintritt, kann niemand vorhersehen. Jahrelang zu erwartender Baulärm in unmittelbarer Nachbarschaft durch die wachgerüttelten Bau-Wettbewerber können die Zahl der erwünschten Vermietungstage für die ersten Jahre möglicherweise deutlich reduzieren.
Aber nicht nur der Baulärm oder ein subjektiv empfundenes Ghetto-Wohngefühl in dieser Riesenanlage können schnell zu einer Kannibalisierung der Übernachtungspreise führen. 150 Euro pro Tag im Jahresdurchschnitt, wie in diesem Beispiel zu erzielen, sind nur möglich, wenn in der Hauptsaison Tagespreise von mehr als 250 Euro – für eine 120-qm-Wohnung – erzielt werden. Und diese Erwartung, wohlgemerkt nach Abzug der Vermietungsprovision von rund 20 Prozent für die Feriengast-Akquisition und das Vermietungsmanagement, ist schon sehr sportlich. Auch bei der Denkmalabschreibung lauern Risiken. Denn niemand garantiert das AfA-Volumen und damit das Eintreffen der in der Höhe prognostizierten Steuervorteile. Selbst bei gegebener Rechtssicherheit kann seitens der Finanzverwaltung jederzeit eine zusätzliche Steuer auf Mieterträge aus Ferienwohnungen erhoben werden, die somit die Erträge final weiter reduziert. Ähnliches haben Investoren erlebt, die sich im Ausland an vermeintlich sicheren Solarkraftwerken beteiligten und deren Erträge nachträglich durch neu erfundene Steuern gekappt oder komplett aufgefressen wurden. Der heutige persönliche Steuersatz kann sich im Laufe des Lebens überdies ungünstig verändern und dies kann dann zu einer totalen Schieflage der Investitionsrechnung führen. Auch die niedrige Mehrwertsteuer mit 7 Prozent auf die Vermietungserlöse ist keine heilige Kuh. Sie kann durchaus unter politischem Druck wieder an die normalen Sätze von 19 Prozent angepasst werden.
Nicht zuletzt ist die Verkaufspreiserwartung in zwölf Jahren kritisch zu hinterfragen. Die Gleichgewichtsmenge im Markt für Ferienwohnungen ist dann entscheidend. Derzeit bereits ist das Angebot größer als die Nachfrage. Lage, Lage, Lage zählt. Prora ist aber Prora und von Immobilienpreisen wie auf Sylt ist man in Rügen Lichtjahre weit entfernt.
Immobilienpreise bilden sich auch als Jahresmultiplikator der Mieteinnahmen. Der Kehrwert sind die Mietrenditen. Und diese steigen und fallen in Abhängigkeit vom Kapitalmarkt. Zum Beispiel: Kapitalmarkt = 7 Prozent, Immobilienkaufpreis = 10 Jahresmieten – Kapitalmarkt 3,5 Prozent Immobilienkaufpreis = 20 Jahresmieten. Ergo: Steigen die Kapitalmarktzinsen – was zu erwarten ist –, fallen die Immobilienkaufpreise !
Zu guter Letzt ist zwölf Jahre nach einem Neubau der Lack auch schon ein bisschen ab. Möbel müssen zum Beispiel erneuert werden, die Hauskasse der Eigentümergemeinschaft wird durch Ersatzinvestitionen geplündert, Umlagen drohen und, und, und. Wenn eines, oder gar alle der beschriebenen Risiken kumulativ eintreten, dürfte eine Anlage in festverzinsliche Wertpapiere deutlich attraktiver sein, bei erkennbar niedrigeren Risiken. So sinkt z. B. die Brutto-Mietrendite in diesem Beispiel bei 150 Vermietungstagen und 100 Euro durchschnittlicher Tagesmiete auf nur noch ca. 1,5 % pro Jahr.
Das kann mit festverzinslichen deutschen Staatsanleihen derzeit – wie oben erwähnt – bereits heute überboten werden. Nicht zuletzt frustriert der Gedanke in einem Bad-Case-Szenario, dass alle Beteiligten am Kauf, außer dem Käufer selbst, prächtig verdient haben.
Peter Sissovics
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