Wohnprojekt Joli Coeur: Nicht von schlechten Eltern
Großprojekt auf dem Gelände der ehemaligen Geburtsklinik Charlottenburg: Wo einst viele Berliner auf die Welt kamen, entstehen jetzt 600 Wohnungen.
Einen Satz bekommt Alexander Haeder momentan sehr oft zu hören: „Hier ist unser Sohn, hier ist unsere Tochter geboren.“ Haeder ist mit der Entwicklung des ehemaligen Krankenhausareals zwischen Mollwitz- und Pulsstraße im Berliner Stadtteil Charlottenburg betraut – und hier befand sich nach dem Zweiten Weltkrieg eine große Geburtsklinik.
Kleine Berliner werden an diesem Ort seit 2005 nicht mehr geboren. Dafür erblickt jetzt ein Immobilienprojekt das Licht der Welt, das auch nicht von schlechten Eltern ist: Auf dem gut 43 000 Quadratmeter großen Grundstück sollen in den kommenden Jahren in fünf Bauabschnitten zwischen 600 und 700 Wohnungen entstehen. „Das ist etwa ein Achtel des jährlichen Neubauvolumens in Berlin“, verdeutlicht André Schlüter von der Ziegert Bank- und Immobilienconsulting, die die Vermarktung der Eigentumswohnungen übernommen hat, die Dimension des Vorhabens. Entsprechend groß ist das Investitionsvolumen: Rund 200 Millionen Euro werden für die Realisierung des Projekts veranschlagt.
Der erste Anlauf ist es nicht, dem verlassenen Krankenhausareal neues Leben einzuhauchen. 2007 erwarb die britische Comer Group das Grundstück vom landeseigenen Klinikkonzern Vivantes. Schon die Comer Group plante hier eine Wohnnutzung: Etwa 500 Wohnungen sollten in einer Art Gated Community, also einer nur den Anwohnern zugänglichen Anlage, entstehen. Doch 2012 verkauften die Briten das Grundstück an die Activum SG Capital Management. Das ist ein Immobilienfonds mit Sitz in Jersey, der sich darauf spezialisiert hat, Immobilien in Deutschland günstig einzukaufen und gewinnbringend weiterzuentwickeln.
Wie exklusiv das Projekt der früheren Eigentümer war, lässt sich noch im Erdgeschoss des denkmalgeschützten Klinkergebäudes in der Mollwitzstraße 7 erahnen. Dort, wo sich heute der Showroom für die Kaufinteressenten befindet, wollte die Comer Group ein Schwimmbad einbauen – ein riesiger Stahlträger zeugt noch davon, dessen Einbau nötig war, weil dem geplanten Swimmingpool tragende Wände weichen mussten.
Das neue Konzept setzt auf eine breitere Zielgruppe. „Wir wollen in erster Linie Familien mit Kindern ansprechen sowie ältere Menschen, die jetzt noch im grünen Umland wohnen, aber eine citynahe Wohnung suchen“, erläutert Haeder. Von einem „volksnahen Produkt“ spricht Makler Nikolaus Ziegert. „Die Mehrzahl der Wohnungen ist auch für Haushalte mit mittlerem Einkommen finanzierbar“, ist er überzeugt. Die Preise liegen nach seinen Angaben zwischen 2700 und 4500 Euro pro Quadratmeter. Ein Blick in den Verkaufsprospekt verrät indes, dass die Preise im Einzelfall noch höher sind: Bei den Dachgeschosswohnungen werden auch schon mal 4860 Euro pro Quadratmeter fällig, so dass ein 222 Quadratmeter großes Penthouse dann gut eine Million Euro kostet. Wer eine Wohnung im denkmalgeschützten Altbau erwirbt, profitiert dafür allerdings von den steuerlichen Erleichterungen, mit denen der Staat die Sanierung von Denkmalen honoriert.
Errichtet wurde der imposante Bau in der Mollwitzstraße um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert als Städtisches Bürgerhaus. Ursprünglich diente er der Versorgung von chronisch Kranken. In diesem Gebäude entstehen jetzt 160 Wohnungen, die zwischen 52 und 293 Quadratmeter groß sein werden. Weitere 36 Wohnungen kommen in einem Anbau hinzu, der den ursprünglich geplanten, aber nie realisierten Ostflügel bildet. Im nördlichen Grundstücksteil sind in mehreren Neubauten noch einmal zwischen 400 und 500 Wohnungen geplant; wie viele genau, hängt davon ab, welche Wohnungsgrößen bei den Käufern besonders gut ankommen.
„Wir interpretieren die Berliner Blockrandbebauung neu“
Vorläufig scheint die Nachfrage nach den unter dem Namen Joli Coeur (französisch für „fröhliches Herz“) vermarkteten Wohnungen groß zu sein: Schon wenige Tage nach Vertriebsbeginn seien rund 35 Wohnungen fest vergeben, freut sich Nikolaus Ziegert. „Man lebt hier ein Stück zurückgezogen, aber so, dass man trotzdem den Puls der Stadt spürt“, begründet er den Vermarktungserfolg. Dabei verhehlen die Macher des Projekts nicht, dass es sich nicht um eine Toplage handelt. Vor allem das gegenüberliegende Gewerbegebiet entlang der Sophie-Charlotten-Straße mit Spedition, Fliesenmarkt und, immerhin, einem italienischen Supermarkt macht deutlich, dass man sich nicht in einer Seitenstraße des Kurfürstendamms befindet. Doch Ziegert rechnet damit, dass das Gebiet an der Sophie-Charlotten-Straße „in den kommenden Jahren eine erhebliche Aufwertung erfahren wird“.
Die Wohnanlage selbst wird autofrei sein. Dies erreichen die Verantwortlichen, indem sie unter dem Neubauteil eine Tiefgarage mit 432 Stellplätzen errichten. Dies ist auch der Grund für eine wesentliche Änderung gegenüber dem früheren Konzept der Comer Group: Während diese in den Bestandsgebäuden im nördlichen Teil des Areals Wohnungen unterbringen wollte, ließen die neuen Bauherren diese Häuser abreißen. Nur so, sagen sie, sei es möglich, die Tiefgarage anzulegen.
„Wir interpretieren die Berliner Blockrandbebauung neu“, sagt Architekt Carlos Zwick zu seinem Entwurf, der im Neubauteil mehrere frei stehende Einzelgebäude vorsieht. „Die Ränder sind durch einen Gebäudekranz mit vorgelagerten Grünflächen klar definiert. Im Inneren sorgen Blickachsen und Wasserbassins für einen luftig-lichten Charakter.“ Einiges zu bieten haben laut Zwick auch die Wohnungen selbst: Die Deckenhöhe werde im Neubau fast drei Meter betragen, im Altbau sogar annähernd vier Meter, sagt Zwick. Auch einen Balkon bekommt jede Wohnung – sogar im denkmalgeschützten Altbau. Mit der „filigranen Stahlkonstruktion“, berichtet Zwick, erklärten sich die Denkmalbehörden einverstanden.
Eine Verpflichtung zum Bau von günstigen Mietwohnungen, wie sie derzeit politisch diskutiert wird, konnten die Bauherren abwenden. Allerdings schlossen sie mit dem Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf einen städtebaulichen Vertrag, in dem sie sich verpflichten, auf dem Areal eine Kita mit rund 80 Plätzen zu errichten. Darüber hinaus erklären sie sich laut Haeder bereit, sich – falls nötig – am Ausbau der Sophie-Charlotten- Straße zu beteiligen.
Bis das Großvorhaben abgeschlossen ist, wird es voraussichtlich bis 2018 dauern. Mit den Bauarbeiten begonnen wird im denkmalgeschützten Altbau, für dessen Umbau die Baubewilligung bereits vorliegt. Vor einer kniffligen Frage stehen die Beteiligten allerdings noch: Was soll aus der ehemaligen Klinikkapelle mit ihrer gewaltigen Raumhöhe werden? Erst einmal soll sie für Veranstaltungen und Kunstevents genutzt werden – und vielleicht, so eine Überlegung, findet sich ja ein Künstler, der hier sein Atelier einrichten möchte.
Christian Hunziker