Gropiusstadt: Kein Ort der Traurigkeit
Architekten und Städteplaner lassen nichts Schlechtes auf die Gropiusstadt kommen.
Dass eine „seelenlose Architektur“ für die sozialen Brennpunkte in einer Stadt verantwortlich sei, wird oft behauptet. Doch das stimme nicht, und schon gar nicht für die Gropiusstadt in Berlin, sagt der Städteplaner Olaf Pfeifer. Denn die Gropiusstadt sei den Architekten eigentlich gut gelungen. „Sogar sehr gut“.
Olaf Pfeifer hat an der Technischen Universität Berlin Architektur und Städtebau studiert, später viele Jahre lang an der Bauhaus-Universität Weimar Architekturtheorie gelehrt, inzwischen arbeitet er wieder als Städteplaner in Berlin. Mit seiner Diplomarbeit „Die Gropiusstadt“ (1998) hatte er eine „Neuinterpretation von Großsiedlungen der 60-iger Jahre“ unternommen. Er kann belegen, welche Folgen die falsche soziale Bewirtschaftung der Trabantensiedlung ausgelöst hat.
Die Städteplaner können also getrost mithalten, wenn jetzt die Feiern zum 50jährigen Jubiläum der Gropiusstadt beginnen. Zwei Termine sind wichtig für die Gropiusstadt: Der 7. November 1962, das ist der Tag, an dem der Grundstein für diese Stadt in der Stadt gelegt wurde. Und der 13. August 1961, der Tag des Mauerbaus. Der Schock, den die Spaltung Berlins an diesem Tag ausgelöste, hatte eine besondere Dynamik in die politischen Entscheidungsprozesse gebracht. Der damalige Senatsbaudirektor Werner Düttmann konnte seine Vorstellungen von einer Großsiedlung mit möglichst vielen preiswerten Wohnungen für möglichst viele Menschen quasi im Handstreich gegen die versammelte Fachwelt durchsetzen. Alles zählte, was die Lebensfähigkeit Berlins (West) zu sichern schien, also auch Wohnraum im großen Maßstab. Den Schlussakkord dazu setzten die 28-geschossigen Wohnhäuser und das Ideal-Hochhaus an der Fritz-Erler-Allee mit seinen 31 Stockwerken.
Düttmanns Machtwort war die grundlegende Richtungsentscheidung in einer insgesamt 15-jährigen Planungsgeschichte. Die Idee zu dieser Großsiedlung, so hält es die Baugeschichte fest, kam aus der Gemeinnützigen Heimstätten AG (Gehag), einem Wohnungsbauunternehmen mit großen Erfolgen wie der Hufeisensiedlung, der Waldsiedlung Zehlendorf, Onkel Toms Hütte und der Wohnstadt Carl Legien. Bereits 1958 plante Gehag-Chef Karl-Heinz Peters zusammen mit dem Stab des international renommierten Architekten und aus Berlin stammenden Walter Gropius eine Großsiedlung, angrenzend an die Hufeisensiedlung von Bruno Taut und Martin Wagner in Britz. Der Berliner Senat stieg ein, setzte aber durch, dass noch weitere Wohnungsbaugesellschaften und andere Berliner Architekten einbezogen wurden. BBR hieß das Bauprojekt: Großsiedlung Britz-Buckow-Rudow – aber nicht lange. Weil der Berliner Volksmund sanktionierende Kraft hat, spurte der Senat 1972 um und machte „Gropiusstadt“, wie alle Insulaner sagten, zur amtlichen Bezeichnung. Untergebracht werden sollten dort die Menschen, die bei der Entkernung der dichtbebauten Gründerzeitviertel in Neukölln weichen mussten.
Immerhin ist der Name von Walter Gropius geblieben, sagt Pfeifer heute. Gebaut habe Gropius hier ohnehin nur ein einziges Gebäude, sein Atelier. Der „Verfall und die Entstellung eines Konzeptes“, den Pfeifer in seiner Arbeit aufzeichnete, hatte den Stararchitekten tief enttäuscht. Vor allem die Art, wie man mit dem inzwischen 79-jährigen umging, verstörte ihn. „Viele hatten ihn von Anfang an gewarnt“, schrieb später seine Witwe, die Journalistin Ilse Gropius. Eine ganze Reihe von Entwürfen der beteiligten Architekten gliederte sich nicht mehr in die Grundkonzeption von Gropius und seinen Bezügen zur Gartenstadt-Idee ein.
Den Grundgedanken, Trabantenstädte im Sinn der Charta von Athen zu entwickeln, hatte Gropius selbst schon weitgehend aufgegeben, hält Pfeifer fest. Diese Charta aus dem Jahr 1943, die unter der Federführung von Le Corbusier entstanden war, legte als Leitbild der modernen Städteplanung das Konzept einer Stadt mit der engen Verbindung von akzeptablen Wohn- und Arbeitsumfeldern fest. Diese Leitidee ist weltweit selten verwirklicht worden, in Berlin noch nicht einmal ansatzweise; das sollte sich rächen.
Es war ein Fehler, meint Pfeifer, den Bau der Gropiusstadt allein aus den Mitteln der Wohnungsbauförderung zu betreiben, nicht über den Etat der Stadtentwicklung: „Denn Wohnungsbaugesellschaften wollen nur Wohnraum bauen, kein Gewerbe.“ Und damit entstehe nicht die Urbanität, die man brauche. Man sehe in der Gropiusstadt eigentlich niemanden, der arbeite. Heute leben rund 43 000 Menschen in den rund 19 000 Wohnungen der Gropiusstadt.
Die ausschließliche soziale Förderung des Wohnungsbaus sei ein anderes Problem der Gropiusstadt, weil es sich inzwischen herausgestellt habe, dass in Siedlungen wie dieser immer nur Menschen in die Wohnungen nachziehen, die ärmer seien als die Vorgänger. Dazu kam ein steigender Ausländeranteil, der viele Bewohner mit den Jahren überforderte und dann in den 1980-iger Jahren zu den bekannten sozialen Protesten geführt hatte.
Inzwischen gebe es aber hier ein Quartiermanagement, das, so Pfeifer weiter, an diesen entscheidenden Punkten ansetze. Auch hätten Senat und Wohnungsgesellschaften „nach eher symbolischen Maßnahmen in den 80-iger Jahren“ jetzt den richtigen Weg eingeschlagen: Gezielt werde die Sozial- und Altersstruktur der Mieter verändert. Und seit 2001 braucht man keinen Wohnberechtigungsschein mehr, um Gropiusstädter zu werden.
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