Mietwohnungen in Berlin: Im Teilgewerbe gibt es keine Mietpreisbremse
Werden Wohnungen mit Geschäftsräumen gemietet, gilt das Prinzip der Vertragsfreiheit. Ist diese Form der Vermietung ein neuer Trend?
Wohnungssuchende in Berlin brauchen starke Nerven und müssen auch noch mit unliebsamen Überraschungen rechnen. Marita Meier (Name von der Redaktion geändert) wollte im Winsviertel in Prenzlauer Berg eine Bleibe finden. Ein Inserat versprach eine recht günstige Eineinhalb-Zimmer-Wohnung: unmöbliert zum Mietpreis von etwa 400 Euro. Unmittelbar vor dem Besichtigungstermin fragte der Makler, ob die Bewerber selbstständig seien. Das halbe Zimmer werde nämlich nur teilgewerblich vermietet, entsprechender Mietzuschlag inklusive.
Marita Meier hatte den Hinweis in der Anzeige wohl übersehen. Aber die Besichtigung war damit schon vor dem Beginn für sie zu Ende. Die 30-Jährige ist nämlich als Grafikerin festangestellt. Die 40 Quadratmeter große Kleinwohnung wäre genau das Richtige für sie gewesen. „Ich bin am Verzweifeln“, klagt die junge Frau. Schon zum zweiten Mal war sie innerhalb kurzer Zeit wegen der teilgewerblichen Nutzung bei der Wohnungssuche gescheitert.
Ist diese Form der Vermietung ein neuer Trend? Womöglich, um Regelungen wie Mietpreisbremse und Mietspiegel auszuhebeln? Wibke Werner, stellvertretende Geschäftsführerin des Berliner Mietervereins, sieht im Moment noch keine auffällige Häufung, „es dürfte sich aber um ein gängiges Problem handeln“. Den zweiten Teil der Frage beantwortet sie mit einem klaren „Ja“. Wibke Werner vermutet zudem, „dass dieses Modell zunehmend genutzt wird, um die Mietpreisbremse zu umgehen“.
Für den Zuschlag gibt es keinerlei gesetzliche Regelungen
Katrin Dietl, Sprecherin von der auch für Wohnen zuständigen Senatorin Katrin Lompscher (Die Linke), möchte dieser Aussage nicht folgen, denn „für vermietete Wohnungen mit teilgewerblicher Nutzung gilt weiterhin das Mietrecht und der Mieterschutz für Mietverhältnisse über Wohnraum. Lediglich der Gewerbemietzuschlag wird nicht beschränkt“.
Allerdings könne durch den Gewerbezuschlag die Miete, wie Frau Dietl einräumt „weit über den Mieten vergleichbarer ausschließlich zur Wohnungsnutzung vorgesehener Wohnungen liegen“. Zumal es keinerlei gesetzliche Regelungen für den Zuschlag gibt. Er kann deftig ausfallen, deutet Mietervereinssprecherin Werner an, nämlich „bis zur Wuchergrenze, die 50 Prozent über dem marktüblichen Zuschlag liegt“. Sie nennt in diesem Zusammenhang die Zahl von 20 Euro pro Quadratmeter für den anteiligen Bereich der teilgewerblichen Nutzung.
Damit ergibt sich summa summarum ein deutliches Plus bei der Miethöhe. Wibke Werner rechnet vor: Eine 100 Quadratmeter große Wohnung wird für acht Euro pro Quadratmeter kalt vermietet. Wenn nun aber 40 Quadratmeter davon für die teilgewerbliche Nutzung mit 20 Euro veranschlagt werden, käme auf die ursprünglichen 800 Euro noch ein Gewerbezuschlag in Höhe von 480 Euro hinzu. Dies dürfte wohl nicht im Sinne der Berliner Mietenpolitik sein, die auf kostengünstiges Wohnen setzt.
Die Behörden haben kaum Handlungsmöglichkeiten
Aber die Senatsverwaltung sieht wenig Spielraum. Man könne nicht „gegen zivilrechtliche Vereinbarungen über die teilgewerbliche Nutzung von Wohnungen vorgehen“, sagt Katrin Dietl auf Anfrage. Sie verweist aber auf die Bezirksämter, die bei Hinweisen auf Zweckentfremdung tätig werden könnten, und auf die Strafverfolgungsbehörden, falls ein Verdacht auf Wucher vorliege.
Auch der Berliner Mieterverein sieht kaum Handlungsmöglichkeiten. Wohnmietverträge mit teilgewerblicher Nutzung basierten auf dem „Prinzip der Vertragsfreiheit“ und seien damit zulässig. Nach dem Zweckentfremdungsrecht dürfe aber nicht mehr als 50 Prozent des Wohnraums dem gewerblichen Zweck dienen. Sollte die teilgewerbliche Nutzung darüber hinausgehen, müssen die zuständigen Wohnungsämter der Bezirke eine Genehmigung erteilen.
Entwarnung für Ärzte, Lehrer oder freie Autoren
Für Wohnungssuchende ohne teilgewerbliche Ambitionen ist das ein schwacher Trost. Sie brauchen ein Dach über dem Kopf, wie Marita Meier, und sehen sich auf einem Abstellgleis. Auch wenn Sprecherin Dietl den Rat gibt: „Die Mieterinnen und Mieter haben es in der Hand, unseriöse Mietverträge nicht abzuschließen oder nach Abschluss dagegen vorzugehen.“
Für eine teilgewerbliche Vermietung bieten sich offenbar die stark nachgefragten Stadtteile innerhalb des S-Bahn-Ringes wie zum Beispiel Prenzlauer Berg an. Mieter, die ihre Wohnräume teilweise etwa für einen privaten Sprachunterricht nutzen, dürfen dort zum Beispiel Schilder für ihr Angebot am Klingelbrett, am Briefkasten und an der Wohnungstür anbringen. Ein steuerlich absetzbares Arbeitszimmer ist im Übrigen nicht mit einer teilgewerblichen Nutzung gleichzustellen. Entwarnung also für Ärzte, Lehrer oder freie Autoren. Sie müssen fortan keinen Gewerbezuschlag befürchten.
Die teilgewerbliche Nutzung in großen Berliner Altbauwohnungen war bereits Anfang der 90er Jahre ein vieldiskutiertes Thema. Dass jetzt, ein Vierteljahrhundert später, auch Kleinwohnungen ins Visier geraten, könnte auf eine Reaktion von einigen Vermietern hindeuten, die sich durch Mietpreisbremse und Co. zunehmend gehandicapt fühlen.