Baugenossenschaften: Genossen, an die Bagger!
Gemeinsam zum Wohneigentum: Genossenschaften bauen heute billige Bleiben für morgen.
Aino Simon von der Baugenossenschaft „Initiative Möckernkiez“ ist richtig im Stress. „Wir sind in der Endphase eines langen, mühsamen Prozesses, da gibt es viele Termine“, sagt die junge Frau. Ihren Job als wissenschaftliche Mitarbeiterin hat sie vor einiger Zeit gegen den Posten eines Genossenschaftsvorstandes eingetauscht. Für den Bau von 464 Wohnungen zwischen Möckern- und Yorkstraße ist sie verantwortlich – kein Pappenstiel für die Gemeinschaft: „Wir sind ja alle keine professionellen Projektentwickler, sondern stinknormale Menschen, die einfach weiter in Kreuzberg wohnen wollen“, sagt Simon.
Ein Teil der Wohnungen ist noch zu haben. Wenn man Anteile im Wert von 1000 Euro gekauft hat, kann man sich um eine Wohnung bewerben. Bekommt man den Zuschlag, sind weitere Anteile in Höhe von 40 Prozent des Kaufpreises zu zeichnen. Sie kosten 920 Euro pro Quadratmeter. Den Rest trägt die Genossenschaft aus Krediten. Nach dem Einzug ist eine Miete von durchschnittlich 8,50 Euro pro Quadratmeter fällig. Bei einem Auszug werden die erworbenen Anteile zurückerstattet.
„Anteile von 40 Prozent sind für die meisten von uns immer noch sehr, sehr viel Geld. Aber es schaffen viele mitzumachen, die in einer reinen Baugruppe nicht zum Zuge kämen“, sagt Aino Simon. In Baugruppen wird ebenfalls gemeinschaftlich geplant, aber unter dem Dach einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts und mit 100 Prozent Anteil am Kaufpreis. Noch arbeite ihre Genossenschaft daran, dem eigenen Anspruch gerecht zu werden und mehr Einkommensschwache mitzunehmen, sagt Simon: „Dieses Ziel wollen wir nicht aus den Augen verlieren.“
In der Baugruppe entscheidet jeder Einzelne mit
Trotz der sozialen Komponente sei eine Genossenschaft nicht für jeden das Richtige. „Wir verlangen unseren Mitgliedern einiges ab. Man kauft ja nicht eine Eigentumswohnung aus dem Prospekt, sondern beteiligt sich an einem gruppendynamischen Prozess, der steuerbar, aber nicht vorhersehbar ist“, sagt Simon. Diskussionsbedarf gibt es natürlich auch in den Baugruppen. Meist tragen sich die Mitglieder nach Fertigstellung einzeln ins Grundbuch ein und werden dann zu einer Wohnungseigentümergemeinschaft. Manche bleiben auch als Projekt mit gemeinsamem Eigentum zusammen. Die Rechtsform kann dann ein Verein sein. Doch meist bilden die Mitglieder einer Baugruppe Eigentum für sich persönlich.
Während Genossenschafter einiges an den Vorstand delegieren können, entscheidet in der Baugruppe jeder Einzelne bis zur Türklinke alles mit. „Manche haben etwas mehr Geld. Andere müssen streng darauf achten, dass das Budget eingehalten wird“, sagt die Architektin Claudia Ostwald. Sie hat damit einen typischen Konflikt beschrieben. Ostwald hat sich mit ihrem Beratungsunternehmen KonzeptRealität auf die Moderation solcher Prozesse spezialisiert. Ihre Aufgabe ist, dass die Mitglieder Verständnis füreinander und eine tragfähige Diskussionskultur entwickeln. „Damit kommen die Baugruppen in der Regel zu sehr guten, selbst erarbeiteten Lösungen“, sagt sie.
Wie Aino Simon sieht Ostwald einen Unterschied zu den Käufern, die ihre Wohnung bei einem Bauträger erwerben: „Mitglieder von Baugruppen beschäftigen sich oft schon vor dem Einzug intensiv mit ihrem Kiez“, sagt Claudia Ostwald. Das sieht der Senat genauso: „Von Baugemeinschaften geht oftmals ein hohes Engagement für ihr Wohnviertel aus. Sie wirken häufig als soziale Anker“, heißt es auf der Website der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt.
Doch es gibt auch Kritik. Berliner Blogs zur Gentrifizierung vermuten einen Einfluss von Baugruppen auf steigende Preise. Bei wenigen hundert errichteten Wohnungen pro Jahr dürfte ihr Anteil daran aber gering sein. So ermittelte eine Studie des Senats, dass von 2002 bis 2008 nur 1300 Wohnungen in Berlin von Baugruppen geschaffen wurden.
Genossenschaften schützen vor Mietenexplosion
Trotzdem steht Immobilieneigentum immer auch unter dem Aspekt der Geldanlage. „Beim Verkauf kann man den vollen Marktwert abschöpfen und mit Glück viel Geld machen“, sagt Angelika Drescher vom Beratungsunternehmen „Die Zusammenarbeiter“. Anders bei Genossenschaften: „Hier liegt der Fokus auf dem Nutzen. Man bekommt ein lebenslanges Wohnrecht, das auch vererbbar ist. Genossenschaften unterbrechen den Kreislauf, durch den Wohnungen immer teurer werden, weil sie immer wieder verkauft werden“, sagt Drescher. „Die Genossenschaften von heute sind die billigen Wohnungen von morgen“, bringt sie es auf den Punkt.
Außerdem garantiere das Genossenschaftsgesetz mit seinen strengen Auflagen eine hohe Sicherheit für die Anteilseigner. Wichtig ist Angelika Drescher auch der Aspekt der Teilhabe: „Für Genossenschafter hat es einen ganz großen Reiz, selbst Verantwortung für ihr Projekt zu übernehmen“, sagt sie.
Mit diesem Gedanken kommt frischer Wind in die gute alte Idee der Baugenossenschaften. „Ihre Hauptstadt ist Berlin“, sagt David Eberhardt vom Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen. Über 200 Genossenschaften gebe es in der Stadt, manche bestehen schon seit über 100 Jahren. Vorteil für heutige Einsteiger: Die meisten Objekte sind längst abbezahlt. Um Genosse zu werden, braucht es nicht viel mehr als eine Einlage in Höhe von meist drei Monatsmieten.
„Wo alle Welt von Mietenexplosion spricht, ist die Genossenschaft eine interessante Wohnform“, sagt Eberhardt. Im Schnitt unter fünf Euro pro Quadratmeter liege die Kaltmiete. Allerdings gebe es lange Wartelisten. Bis zur Zuteilung können Jahre vergehen. „Dann aber kann man nie mehr auf Eigenbedarf rausgeklagt werden“, sagt David Eberhardt.
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