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Trügerische Realität: Wohnungsbesichtigungen funktionieren auch per Mausklick. Inzwischen können Computeranimationen sogar Ausblicke aus Wohnungen zeigen, die noch gar nicht gebaut sind.
© Bauwert AG / Müller Merkle Immobilien

Online-Besichtigungen: Corona-Pandemie beschleunigt Digitalisierung

Makler, Rechtsanwälte, Bauträger und Vermieter sind zum Innovationsschub gezwungen.

Wenig wird nach der Coronakrise so sein wie vorher. Das gilt auch für die Immobilienwirtschaft. Shutdown und Social Distancing verpassen den an Kauf, Verkauf und Finanzierung beteiligten Unternehmen einen Digitalisierungs- und Innovationsschub. Wo Homeoffice bisher nicht möglich war, werden jetzt in Windeseile die Voraussetzungen dafür geschaffen.

Eine funktionierende Infrastruktur, die digitales Arbeiten von überall aus und zu jeder Zeit ermöglicht, wurde durch die Corona-Pandemie zu einer akuten Notwendigkeit. „Remote work, das Synonym für „von außerhalb des Büros arbeiten“, ist aber nicht nur ein vorübergehender Trend“ glaubt Alexander Ubach-Utermöhl, Geschäftsführer des blackprint Boosters, ein Unternehmen

das sich auf die Förderung von PropTechs zur Digitalisierung der Immobilienbranche spezialisiert hat: „Die gewonnenen Erfahrungen der Unternehmen werden dazu führen, dass Arbeit auch künftig zumindest teilweise weiter remote geleistet wird.“

Vermittler und Banken haben ihre Geschäftsprozesse bereits umgestellt. Viele der digitalen Technologien versetzen Menschen in die Lage, Interaktionen online durchzuführen, die davor nicht ohne menschlichen Kontakt auskamen. Die Coronakrise wird Folgen weit über ihr Ende hinaus haben. Wann auch immer sie überstanden sein wird, dürfte das Rad nicht zurückgedreht werden. Besonders schmerzlich wird es für den stationären Einzelhandel, der weitere Umsatzverschiebungen zum digitalen Einzelhandel erleben wird.

Makler und Verwalter stehen vor einer erzwungenen Digitalisierung

Auch die Maklerbranche wird sich um- und neu aufstellen (müssen). Der Innovationsdruck steigt. Besichtigungen finden zunehmend online oder per Videobesichtigung statt. Die David Borck Immobiliengesellschaft bietet zum Beispiel 3-D- Rundgänge an, die durch Brillen der US-Firma Matterport gesehen und aufgezeichnet wurden. Achim Amann, Geschäftsführer Black Label Immobilien, weiß auf Anfrage von Immobilien zu berichten,  die der Käufer nur per Video gesehen hatte: An- und Einreisen nach Deutschland sind – auch in Ermangelung von Flugverbindungen – erschwert. Nach Amanns Einschätzung werden die Maklerprovisionen aufgrund der nun „erzwungenen Digitalisierung“ sinken, und das werde einige Makler und Verwalter, die vorher auch schon wenige Aufträge hatten, aus dem Markt kicken.

Nicht nur das Verkaufsgeschäft ändert sich kurz- und mittelfristig rapide. Auch Besichtigungen von Mietwohnungen mit bis zu Hunderten von Interessenten dürften in und nach Corona-Zeiten der Vergangenheit angehören. Die Bauwert Aktiengesellschaft bietet Wohnungsbesichtigungen ab sofort auch online an. „Mit Beginn der Coronavirus-Krise haben wir unsere Vermietungspartner gebeten, bereits fertiggestellte Wohnungen mit einer laserunterstützten Digitalkamera aufzunehmen", berichtet Sinje Schönpflug, Leiterin Marketing bei der Bauwert Aktiengesellschaft, über ihr Mietwohnungs- und Townhouse-Projekt „Am Rosenanger“ in Wildau. Derartige technische Lösungen bietet auch „Ogulo“ an, das 2012 als Start-up begann: „Im Mittelpunkt stehen virtuelle Rundgänge, die unseren Kunden bereits ab einer Investition von zehn Euro pro Rundgang zur Verfügung stehen“, wirbt Geschäftsführer Florentino Trezek.

Neue Software hat Lösungen für die gesamte Kommunikation

Softwareentwickler wie EverReal haben zudem Lösungen entwickelt, mit denen sich nahezu der gesamte Vermietungs- und Verkaufsprozess für Wohnungen digital abwickeln lässt – inklusive der gesamten Kommunikation mit Interessenten bis hin zur Terminierung von Besichtigungen und Vertragsterminen.

Die Notartermine werden mehr und mehr „semi-virtuell“. Obwohl die meisten Notare über durchaus repräsentative Beurkundungsräume verfügen, in denen man sehr gut Abstand halten kann, berichten Marktteilnehmer, dass der Notar mit dem Käufer in einem Raum sitzt und der Verkäufer im Nachbarraum über Skype „mithört“. Zum Einholen der Unterschrift wechselt der Notar einmal den Raum. „Grundsätzlich ist die persönliche Anwesenheit bei der Beurkundung vonnöten“, sagt Sarah Scherwitzki, Notarin, Kanzlei Bottermann Khorrami LLP, „allerdings kann man sich natürlich vertreten lassen, und es gibt in begründeten Ausnahmefällen die Möglichkeit einer vollmachtlosen Vertretung. Zum Beispiel, wenn jemand aufgrund einer Corona-Erkrankung in Quarantäne muss. Die nicht anwesende Partei muss dann den Vertrag vor einem Notar im Nachhinein genehmigen lassen.“

Notare organisieren Zusschaltungen

Für Beteiligte, die aufgrund begründeter Ausnahmefälle nicht persönlich zur Beurkundung kommen können, organisiert Scherwitzki Zuschaltungen über Video. Ihre Kanzlei nutzt das System „Blue Jeans“ oder andere Anbieter. „Allerdings machen auch wir die Erfahrung, dass die Systeme zurzeit an technische Kapazitätsgrenzen kommen“, sagt die Notarin. Andere Möglichkeiten liegen noch in der Ferne. In anderen Ländern gibt es die Möglichkeit, dass man sich über Personalausweis und eine Pin identifiziert. In Deutschland sind hier aber noch einige Hürden zu nehmen, um eine sichere Identifizierung der Beteiligten zu garantieren.

„Nicht erst seit der Corona-bedingten und der epidemiologisch gebotenen persönlichen Distanzierung zeigt sich, dass die notarielle Beglaubigung beim Vollzug eines Immobilienverkaufs einen erheblichen Modernisierungsbedarf aufweist“, sagt Jürgen Michael Schick, Präsident des Immobilienverband Deutschland (IVD). Schick hat mit dem Anzeigenportal „immowelt AG“ eine Onlinepetition für den digitalen Notarvertrag gestartet. Mittels Videotelefonie, RFID-gestützter Ausweisdokumente und hochsicherer Verschlüsselungstechnologien könnte der Notarvertrag bereits jetzt rechtssicher und digital abgewickelt werden, ist sich Schick sicher.

Viele Kreditinstitute nutzen bereits Videolegitimationen, sagt Jörg Utecht, Vorstandsvorsitzender der Interhyp Gruppe, die Baufinanzierungen vermittelt. Kundentermine werden per Telefon, zum Teil per Video angeboten. „Einige Kreditinstitute verzichten auf Innenbesichtigungen oder nutzen Videobesichtigungen“, sagt Utecht.

Dirk Tönges, Geschäftsführer des Unternehmens Vivanium, das sich auf die Verwaltung und wirtschaftliche Entwicklung von Büro- und Wohnimmobilien sowie Gewerbeparks spezialisiert hat, geht abschließend davon aus, dass sich durch diesen „harten Testlauf“ künftig neue Modelle der Büronutzung und des digitalen Arbeitens durchsetzen werden. „So schlimm und ungewohnt die derzeitige Situation ist, aus der Krise kann man viel lernen und für die Zukunft mitnehmen: Unternehmen, die sich standortunabhängig und digital aufgestellt haben, werden mit Krisensituationen besser umgehen können.“

Exposées können automatisch erfasst und weiterverarbeitet werden

Homeoffice ist allerdings auch in der Immobilienbranche nur effizient einsetzbar, wenn eine Vielzahl an Informationen, Verträgen und Schriftverkehr vorab digital und unabhängig vom Standort verfügbar ist. Spezialisten dafür stellen sich in diesen Wochen neu auf: Das auf Datenräume und digitales Dokumentenmanagement spezialisierte Unternehmen Evana AG etwa und das auf Real-Estate- Data-Analytics und Marktdaten spezialisierte Technologieunternehmen realxdata GmbH kooperieren zum Beispiel seit einer Woche. Sie können die Informationen in Exposés sekundenschnell erfassen, in den Datenräumen ablegen und für die Datenanalyse aufbereiten. Das neue Produkt soll ab Sommer funktionieren.

Digitaler Posteingang, neue Formen der kontaktlosen Wohnungsübergabe und Leistungsabnahme, Videokonferenzen oder die automatisierte Rechnungsbearbeitung sind nur Stichworte, die die enormen Potenziale zeigen, die erst infolge der Coronakrise sichtbar werden: Es geht um Wettbewerbsvorteile, um drastische Kostensenkungen und um gesteigerte Effizienz.

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