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Studenten wird es zu bunt. Wer kein Wohnheim findet, muss auf dem freien Markt mit hunderten anderer Bewerber um eine überteuerte Bleibe buhlen.
© W. Dufner/PantherMedia

Studentenbleibe: Container, Küche, Bad

Wohnraum für Studenten bleibt knapp. In ihrer Not ziehen einige in Turnhallen, Altenheime und andere kuriose Unterkünfte.

Auf laute WG-Feten verzichtet Abusar Ahmadi gerne. Während seine Kommilitonen in ihren Studentenbuden feiern, lebt der Medizinstudent aus Hannover in eher ruhiger Umgebung. „Meine Nachbarn sind höflich, machen keinen Lärm und liegen auch nicht besoffen vor der Tür“, sagt Ahmadi. Nur manchmal drehen sie den Fernseher lauter. „Weil sie nicht mehr so gut hören.“ Der 27-Jährige wohnt in einem Altenheim, zusammen mit hunderten Senioren.

Abusar Ahmadi ist dankbar, ein Dach über dem Kopf zu haben. Wegen der doppelten Abiturjahrgänge und des Wegfalls von Zivil- und Wehrdienst strömen Erstsemester an die Unis wie nie zuvor. In Deutschland studieren derzeit gut 2,5 Millionen Menschen – öffentlich geförderte Wohnheimplätze gibt es aber nur etwa 230 000. Bundesweit sind das nach Angaben des Deutschen Studentenwerks (DSW) mindestens 25 000 Plätze zu wenig. Insgesamt gebe es Bedarf von rund 70 000 Wohnungen für Studenten, vermutet DSW-Generalsekretär Achim Meyer auf der Heyde.

Ein Grund für den Wohnungsmangel: Während die Zahl der Studenten seit 1999 von 1,7 auf 2,5 Millionen anstieg, hat sich der Platz in den Wohnheimen nicht sonderlich erhöht. „Bund und Länder müssen ein gemeinsames Förderprogramm auflegen“, fordert deshalb Meyer auf der Heyde. Ein Runder Tisch bei Bundesbauminister Peter Ramsauer (CSU) vereinbarte Anfang Juni zwar weitere Initiativen zwischen Immobilienwirtschaft, Investoren und Studentenwerken. Kurzfristige Lösungen sind jedoch nicht in Sicht. Auch in Abusar Ahmadis Stadt ist bezahlbarer Wohnraum Mangelware. Rund 38 000 Studenten stehen in Hannover genau 2318 Wohnheimplätze zur Verfügung. „Die Wartezeit kann bis zu einem Jahr betragen“, sagt Ingrid Kielhorn, beim Studentenwerk für die Abteilung Wohnen zuständig.

Eine Handvoll Studenten hat nun eine außergewöhnliche Bleibe gefunden. Im Altenheim Eilenriedestift wohnen 16 angehende Akademiker Tür an Tür mit Senioren. Ahmadi ist einer von ihnen, seit zwei Semestern lebt er dort auf 28 Quadratmetern. „Ich war total überrascht, dass hier Studenten wohnen können“, erzählt er. „Und ich danke Gott, dass es geklappt hat.“ Stiftsdirektorin Susanne Hartsuiker berichtet, dass die Apartments vor zwei Jahren schnell vergriffen waren. Bad, Balkon, eine kleine Kochnische: Nur 250 Euro zahlt Ahmadi für sein Zimmer.

„Das ist nicht mit einem Wohnheim zu vergleichen. Keine Toilette auf dem Gang, keine Küche, wo jeder seinen Dreck lässt“, findet der Medizinstudent. Regeln gibt es kaum. Nur während der Mittagsruhe müssen die jüngeren auf die älteren Semester Rücksicht nehmen. Als Gegenleistung für den günstigen Wohnraum helfen sie den Senioren im Alltag, lesen aus der Zeitung vor, machen Spaziergänge, erledigen Einkäufe. Ahmadi übersetzt den Bewohnern Arztbriefe und hilft ihnen bei medizinischen Fachbegriffen.

Den meisten bleibt der Stress des Wohnungsmarktes

Studenten und Senioren unter einem Dach: ein zukunftsfähiges Modell? Selbst mitten im Sommersemester beruhigt sich die Lage dem Deutschen Studentenwerk zufolge nicht sonderlich. Zum Beginn des Wintersemesters, in dem etwa 80 Prozent der Studenten an die Unis strömen, werden die Wartelisten wieder anschwellen, schätzt Meyer auf der Heyde. Und dann steht in Nordrhein-Westfalen auch noch ein weiterer Doppeljahrgang von Schulabgängern bevor. Der DSW-Generalsekretär berichtet, dass die Nachfrage nach wie vor in den großen Metropolen besonders hoch sei. Aber auch in Orten wie Jena oder Greifswald und klassischen Studentenstädten wie Kiel werden dringend Wohnungen gesucht.

„In Berlin flüchten die meisten Studenten zunächst zu Familie und Freunden, die sie hier kennen“, sagt Ellen Krüger vom Studentenwerk in der Bundeshauptstadt. Auf dessen Warteliste stehen mitten im Semester dennoch 976 junge Menschen. So bleibt den meisten nur der Stress des Wohnungsmarktes. Auch der 19-jährige Jurastudent Jan Noack hat seit seiner Ankunft im Spätsommer 2012 eine Zeit des ganz normalen Wahnsinns hinter sich: Castings, Wohnungsbesichtigungen mit mehr als hundert Menschen. Zwischendurch Vorlesungen und Seminare. „Dann hatte ich keine Lust mehr.“ Er zog für zwei Monate allein nach Lichtenberg, etwas außerhalb des Stadtkerns, dann fanden sich zwei Mitbewohner.

Noack und sein 18 Jahre alter Mitstudent Johannes Wohlstein sitzen auf einer Bank vor der Humboldt-Universität in Mitte. Die beiden Zweitsemester sind sich uneins darüber, ob es in Berlin wirklich eine Wohnungsnot unter den Studenten gibt. Noack spricht von „großem Andrang“, den er aus seiner Heimat Halle an der Saale nicht kenne. „In Halle ist kein Andrang für gar nichts. Auf einen Platz kommen zwei Bewerber.“ Der aus der Nähe von Hannover stammende Wohlstein kann darüber nur schmunzeln: „Mit München oder Frankfurt am Main verglichen ist die Lage super entspannt.“

Senat und Studentenwerk sind sich da aber schon einig. Berlin braucht 5000 neue Wohnheimplätze, hat der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit im April gemeinsam mit der Geschäftsführerin des Studentenwerks, Petra Mai-Hartung, beschlossen. Bislang gibt es für die 160 000 Studenten an den Berliner Hochschulen rund 9500 Wohnheimplätze; prozentual ist das nach Bremen die zweitschlechteste Versorgungsquote. In Berlin stehen 182 Hotels mit mehr als vier Sternen, aber nur 35 Studentenwohnheime.

Wer keine Wohnung bekommt, hat an der Spree aber vielleicht bald eine Alternative: Frachtcontainer. Die lässt der Investor Jörg Duske in Berlin-Plänterwald bauen, erste Studenten sollen im Herbst einziehen. Das seien keine Baucontainer, sondern man wolle „schöne Wohnungen günstig anbieten“, so Duske. Für mindestens 349 Euro bietet das Projekt einen beheizbaren Container mit Küche, Duschbad, Schlaf- und Wohnbereich. Für gut 50 Euro mehr gibt es Balkon und ein paar Möbel dazu. Bis zu 400 Studenten sollen so eine Wohnung bekommen – sollte nichts dazwischenkommen, sagt Duske. „Der Zeitplan ist sehr sportlich. Wie bei anderen Baustellen in Berlin kann es zu Verzögerungen kommen.“ (dpa)

Jonas-Erik Schmidt, Nico Pointner, Steffen Trumpf

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