Treptow: Bouchégärten statt Mauerstreifen
80 Jahre nach den ersten Plänen wird eine Brachfläche endlich bebaut. Als Wohnquartier gewinnt der Kiez an Attraktivität
Auf den ersten Blick ist das Grundstück zwischen Bouchéstraße, Harzer Straße und Mengerzeile nichts anderes als eine beliebige Brache. Auf den zweiten Blick aber entpuppt sich das Areal in Treptow als faszinierender Teil der Berliner Geschichte der vergangenen Jahrzehnte. Zweiter Weltkrieg, deutsche Teilung, Wiedervereinigung und der jetzige Immobilienboom – all diese Themen vereinigt das Grundstück, auf dem im Spätherbst die Bauarbeiten für gut 200 Wohnungen beginnen werden.
Wohnungen an diesem Standort wollte schon im Jahr 1937 die Berliner Baufirma Hildebrandt errichten. Doch erst verhinderte der Zweite Weltkrieg die Realisierung der Pläne und dann die deutsche Teilung. Denn das zum sowjetischen Sektor gehörende Grundstück grenzte unmittelbar an den amerikanischen Sektor – direkt auf der Bouchéstraße verlief die Mauer. 1962, ein Jahr nach dem Bau der Mauer, wurde die Familie Hildebrandt von der DDR enteignet.
Der Kampf der Hildebrandts blieb erfolglos
Nach der Wiedervereinigung kämpften Witwe Charlotte und Sohn Joachim Hildebrandt, beide seit dem Krieg in Wien lebend, um die Rückgabe ihres ehemaligen Besitzes. „Sind Sie verrückt? Ich bin doch nicht so alt geworden, um aufzugeben“, sagte Charlotte Hildebrandt 2005, als sie auf der Brachfläche in der Bouchéstraße ihren 96. Geburtstag feierte.
Damals protestierten sie und ihr Sohn schon seit Jahren gegen das Mauergrundstücksgesetz aus dem Jahr 1996. Es legte fest, dass Alteigentümer ehemalige Mauergrundstücke für 25 Prozent des Verkehrswerts vom Bund zurückkaufen konnten. Dass sie für ihr ehemaliges Eigentum bezahlen sollten, empfanden die Hildebrandts als großes Unrecht. Doch ihr Kampf blieb erfolglos: 2013 – da lebte Charlotte Hildebrandt nicht mehr – wies der Europäische Gerichtshof die Klage der Familie ab.
Joachim Hildebrandt blieb deshalb nichts anderes übrig, als das Grundstück 2014 dann doch zu erwerben – und es umgehend an das Berliner Unternehmen Archigon weiterzuverkaufen.
Wenige tragende Wände machen flexible Grundrisse möglich
Jetzt hat der Projektentwickler Archigon die Pläne für das Wohnungsbauprojekt namens Bouchégärten vorgestellt. Demnach beginnen in wenigen Wochen die Bauarbeiten für die 108 Eigentumswohnungen des ersten Bauabschnitts.
Anfang 2016 soll auch der zweite Bauabschnitt in Angriff genommen werden. Wie viele Wohnungen er umfassen wird, steht nach Unternehmensangaben noch nicht genau fest. Insgesamt werden jedoch über 200 Wohnungen und vier Gewerbeeinheiten entstehen.
Die Wohnungen sind zwischen 30 und 140 Quadratmeter groß und haben zwischen zwei und vier Zimmern. Dabei sei eine große Flexibilität möglich, heißt es beim Projektentwickler: Weil es nur wenige tragende Wände gebe, könnten die Grundrisse den Wünschen der Käufer angepasst werden.
Ansprechen will Archigon mit diesem Konzept nicht so sehr Kapitalanleger als vielmehr Eigennutzer. Bezahlen müssen sie zwischen 3150 und 5000 Euro pro Quadratmeter.
Neubauten auch an der Kiefholzstraße und der Heidelberger Straße
Ungewöhnlich ist die vom Berliner Büro HKA Hastrich Keuthage Architekten entworfene Formensprache: Geprägt ist die Fassade aus Glas und Sichtbeton von nach außen ragenden Dreieckselementen. Diese haben den Vorteil, dass die künftigen Bewohner ungestört von den Blicken der Nachbarn auf dem Balkon sitzen können.
Dass Alt-Treptow als Wohnort an Attraktivität gewonnen hat, unterstreichen weitere Projekte ganz in der Nähe der Bouchégärten.
So wird die städtische Wohnungsbaugesellschaft Gewobag am 13. Oktober die Schlüssel für den Gartenhof Kiefholz in der Kiefholzstraße 403-404 übernehmen, wo das Unternehmen Treucon 98 Wohnungen errichtet hat. Die Miete beginnt hier im geförderten Bereich bei 6,50 Euro pro Quadratmeter. Andere Einheiten sind deutlich teurer: Für eine 87 Quadratmeter große Drei-Zimmer-Wohnung im fünften Obergeschoss werden 12 Euro kalt fällig, so dass sich die monatliche Gesamtmiete auf 1276 Euro summiert. Noch ist nach Angaben von Gewobag-Sprecherin Gabriele Mittag die Hälfte der Wohnungen zu haben.
Zu den Käufern wird auch Joachim Hildebrandt gehören
Mit den Bauarbeiten begonnen hat der Bauträger Agromex in der Heidelberger Straße/Ecke Elsenstraße. Die 159 Wohnungen, die auf dem langgestreckten, schmalen Grundstück entstehen, werden nach ihrer Fertigstellung Anfang 2017 an die städtische Wohnungsbaugesellschaft WBM übergehen.
Archigon will den ersten Bauabschnitt der Bouchégärten bis Mitte 2017 und das Gesamtprojekt bis Ende 2017 fertigstellen. Zu den Bewohnern wird auch ein Käufer gehören, der besonders eng mit der Geschichte des Grundstücks verbunden ist: „Ich habe mich entschieden, in den Bouchégärten eine Wohnung zu erwerben“ wird der 76-jährige Joachim Hildebrandt in einer Pressemitteilung des Investors zitiert. Damit wird er das tun, was seine Mutter bis zuletzt vorhatte: „Ich würde wieder hierherziehen“, sagte Charlotte Hildebrandt bei ihrem 96. Geburtstag.
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