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Immer mehr Anbieter und Käufer springen auf den Zug in Richtung Umland darunter die Kreisstadt Eberswalde.
©  Reinhart Bünger

Offene Arme im Umland: „Berlins Klima für den privaten Wohnungsneubau ist schlecht“

Projektentwickler wandern ab – im Umland treffen sie auf Willkommenskultur.

Der Druck auf den Kessel des inneren S-Bahn-Rings nimmt weiter zu. Von Juni 2011 bis Juni 2016 wuchs die Zahl der Berlinerinnen und Berliner um 254 000 auf 3 550 900 Personen, wie das Amt für Statistik Berlin-Brandenburg in dieser Woche mitteilte. Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht abzusehen. Mit dem Zuzug nach Berlin steigen die Preise. Und weil in der Hauptstadt gemessen am Bedarf viel zu wenig und viel zu langsam gebaut wird, entlädt sich der Druck inzwischen im Umland. Junge Familien aber auch Senioren suchen hier ein neues Zuhause. Doch wer dann zu den Hauptverkehrszeiten ein- oder auspendelt, reibt sich verwundert die Augen: Eine gemeinsame Planung der Länder Berlin und Brandenburg scheint es nicht zu geben.

Am Montag platzte deshalb sogar Anita Tack (Die Linke) der Kragen. Die gelernte Diplom-Ingenieurin für Städtebau und Regionalplanung, von 2009 bis 2014 Ministerin für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz des Landes Brandenburg und derzeit stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses für Infrastruktur und Landesplanung im Landtag Brandenburg meldete sich aus dem Publikum eines Abendsalons zu Wort, der von der Rosa-Luxemburg-Stiftung veranstaltet wurde. Zu keinem Zeitpunkt zuvor sei die Entwicklungszusammenarbeit zwischen Berlin und Brandenburg so schlecht gewesen wie derzeit, sagte sie in Richtung der anwesenden Berliner Senatoren Matthias Kollatz-Ahnen (Finanzen) und Katrin Lompscher (Stadtentwicklung) zum Thema „Stadtentwicklung unter R2G“.

Dank der dynamischen Wirtschaftsentwicklung ziehen jedes Jahr zwischen 45 000 und 60 000 Menschen nach Berlin. Die Folge: Die Nachfrage nach Wohnraum wird auf absehbare Zeit weiter zunehmen. Jedoch ist das Angebot an Bauland überschaubar, die Preise für Boden steigen unaufhörlich. Die Baugenehmigungszahlen halten bei weitem nicht mit dem Bedarf Schritt. Muss sich Berlin also auf die grüne Wiese ausdehnen?

Nicht nur das Umland ist gefragt

Thomas Doll, geschäftsführender Gesellschafter des Projektentwicklers Treucon Real Estate, weist auf Anfrage auf eine gefährliche Entwicklung hin: „Insbesondere die großen Projektentwickler unter den Marktteilnehmern weichen erkennbar nicht nur ins Umland von Berlin, sondern sogar in andere Bundesländer aus. Den politischen Ankündigungen für eine Wiederbelebung des Bündnisses für den Wohnungsneubau folgen dann zu wenige Taten. Projekte in Gebieten, die einen Bebauungsplan vorsehen, können aktuell von der Zeitschiene her aber nicht mehr seriös kalkuliert werden. Das ist schade und das scheinen im Umkehrschluss die Projektentwickler im Umland oder in den anderen Bundesländern offensichtlich vorzufinden.“

Das größte Problem für die freien Wohnungsunternehmen stelle die fehlende Bereitstellung von verfügbaren Grundstücken im Wohnungsbau dar. Die Angebotspreise privater Anbieter von Bauland seien in den Innenstadtlagen um zirka zwanzig bis dreißig Prozent im Vergleich zu 2016 gestiegen.

Ein Folge dieser Entwicklung: Der Rückgang der Baugenehmigungszahlen im ersten Quartal 2017 ist ein deutliches Signal, dass der Bedarfsüberhang bestehen bleibt und die Wanderungsbewegungen ins Umland anhalten werden. Diesen Trend bestätigte auch eine Bauträgerumfrage des Maklerhauses Ziegert.

Interessant für eine breite Mittelschicht

Die verstärkte Nachfrage nach Wohnungen und Häusern im Umland von Berlin resultiert aus der Tatsache, dass es noch immer eine erhebliche Preisdifferenz bei Mieten und Kaufpreisen gibt (eine Ausnahme stellt die Stadt Potsdam und Gemeinde Kleinmachnow dar).

Insbesondere Mietinteressenten, die aufgrund eines mittleren Einkommens nicht in den Genuss einer öffentlich-geförderten Wohnung in Berlin kommen, greifen auf die Marktsegmente im Berliner Umland zurück. Doll kritisiert den aus seiner Sicht fehlenden Willen im Berliner Senat, ein Angebot außerhalb der Nachfrage für einkommensschwache Bevölkerungsschichten zu schaffen. Früher gab es das mit der einkommensabhängigen Wohnungsbauförderung und dem zweiten bzw. dritten Förderweg. Die Verbände und die IBB kämpfen schon lange für deren Wiedereinführung.

„Der stetige Zuwachs von Wohnungsbauprojekten im Berliner Umland ist einerseits ganz natürlich“, sagt Susanne Klabe, Geschäftsführerin des Bundesverband der privaten Immobilienwirtschaft (BFW) Berlin-Brandenburg e. V., zum Thema Wohnungsbau im Speckgürtel Berlins. Dieser Prozesse laufe in den anderen deutschen Großstädten bereits seit Jahrzehnten. Andererseits sagt Klabe aber auch: „Das Klima für den privaten Wohnungsneubau in Berlin ist schlecht. Sofern es hier kein politisches Umdenken gibt, werden wir den zusätzlichen Bedarf von rund 194 000 Wohnungen bis 2030, den der Stadtentwicklungsplan Wohnen beschreibt, nur abdecken können, wenn wir Entwicklungen im Umland in diese Rechnung miteinbeziehen. Im Umland treffen die Unternehmen in der Mehrzahl auf echte Willkommenskultur.“

Bauen ist Glückspiel

Während andere Projektentwickler noch Pläne schmieden, ist das Unternehmen Bonava, einer der Marktführer im bezahlbaren Segment, bereits weiter: „Wir haben aktuell 13 Projekte im Berliner Umland und schaffen damit insgesamt rund 912 neue Häuser und Wohnungen“, sagte Bonava Regionsleiter Helmut Kunze auf Anfrage dieser Zeitung. Wie Bonava erstellt das Unternehmen Interhomes seit fast fünfzig Jahren schlüsselfertige Häuser und Wohnungen überwiegend für junge Familien zur Eigennutzung. Frank Vierkötter, Vorstandsvorsitzender von Interhomes, sieht in Berlin noch ausreichend Platz: „Im Vergleich zu anderen Großstädten verfügt Berlin immer noch über relativ große Flächenreserven, die für bezahlbaren Wohnraum genutzt werden können.“

So sieht es auch Gunther Hastrich, Geschäftsführer der Archigon | Projektentwicklung & Baubetreuung GmbH (Berlin): „Die Ausweichbewegung ins Umland ist keine Reaktion auf mangelndes Bauland und auch nicht auf die kooperative Baulandentwicklung, sondern auf das sprunghaft gestiegene Bevölkerungswachstum Berlins, dem die Entwicklung der Bautätigkeit nicht auf den Schritt folgen konnte. Es gibt genug Bauflächen in Berlin.“ Es seit leider viel Hysterie in der Diskussion, meint Hastrich: „Bauen ist ein langwieriges Geschäft und die Reaktionszeit auf einen schlagartig gestiegenen Bedarf wie wir ihn in Berlin seit 2010/2011 erlebt haben, beträgt naturgemäß mehrere Jahre. Sowohl die Bauwirtschaft als auch die Behörden haben bisher Enormes geleistet.“

Irgendwann ist alles bebaut

Gleichwohl dürfte die Fertigstellung von bezahlbarem Wohnraum in Berlin in den kommenden Jahren scharf zurückgehen, wie Winfried Schwatlo, Vorstand der CD Deutsche Eigenheim prognostiziert:: „Privaten Bauträgern gehen bereits jetzt die Baugrundstücke aus.“ Nicht zuletzt deshalb betont der BBU Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen e.V. in einem Statement zur Speckgürtelproblematik: „Berlin und Brandenburg können die Zukunft nur gemeinsam bewältigen. Deshalb muss die Zusammenarbeit beider Länder endlich konsequent vertieft werden. Das betrifft vor allem die Flächen- und Verkehrsplanung, die aufeinander abgestimmt werden müssen. Außerdem müssen beide Länder koordiniert und viel mehr in den Ausbau des Nahverkehrs investieren, um so die großen Wohnpotenziale der Brandenburger Städte zu aktivieren. Darüber hinaus muss Brandenburg mehr dafür tun, um die Vorzüge seiner Städte in Berlin und deutschlandweit besser bekannt zu machen. Deshalb sollte bei der bereits auf den Weg gebrachten Imagekampagne das Wohnen in Brandenburg auf jeden Fall eine zentrale Rolle spielen.“

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