Nicht erst seit Kühnert: Berlin probt den Systemkampf ums Eigentum
Der Juso-Chef will Firmen und Immobilien vergesellschaften. Die Reaktionen sind heftig, weil es ums Grundsätzliche geht: Die Eigentumsordnung steht in Frage.
Kevin Kühnert hat es ausgesprochen: Die Jusos wollen eine Überwindung des Kapitalismus – und streben deshalb eine Kollektivierung großer Unternehmen wie BMW an. Auch den Besitz von Immobilien möchte er beschränken. „Ich finde nicht, dass es ein legitimes Geschäftsmodell ist, mit dem Wohnraum anderer Menschen seinen Lebensunterhalt zu bestreiten“, sagte der Bundesvorsitzende der SPD-Nachwuchsorganisation in einem „Zeit“-Interview. „Konsequent zu Ende gedacht, sollte jeder maximal den Wohnraum besitzen, in dem er selbst wohnt.“ Völlig neu ist das nicht: Diese Ideen stammen aus dem Programm der Jusos. Doch die Kritik ist groß.
Dabei reihen sich die Äußerungen des 29-Jährigen, der aus Berlin stammt, in eine Debatte ein, die seit längerem in der Hauptstadt tobt. Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum und die angespannte Lage auf den Wohnungsmärkten der Großstädte befeuern einen ideologisierten Systemkampf. Unterstützt von der Partei der Linken strebt die Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ einen Volksentscheid an, auf dessen Grundlage ein Gesetz zur „…Überführung von Immobilien sowie Grund und Boden in Gemeineigentum zum Zwecke der Vergesellschaftung nach Artikel 15 Grundgesetz“ im Berliner Senat beschlossen werden soll.
Davon erfasst werden sollen alle Wohnungsunternehmen in Berlin, die einen Bestand von mehr als 3000 Wohnungen haben und Gewinnerzielungsabsichten hegen. Betroffen wären insgesamt zehn Berliner Wohnungsunternehmen – neben der Deutschen Wohnen SE auch Vonovia SE, Covivio und die Hilfswerk Siedlung GmbH, ein kirchliches Unternehmen.
Geht es bei dem Vorstoß tatsächlich um die Immobilien- und Mietenpolitik in Berlin? Oder stehen andere Motive im Vordergrund, die nicht so leicht mit dem Verweis auf eine verfassungsrechtliche Unzulässigkeit beiseite geschoben werden können?
Zuletzt hatte sich der frühere Verfassungsgerichtspräsident Hans-Jürgen Papier eingelassen. Er kritisiert – wie andere Verfassungsrechtler – vor allem den Entzug von Eigentum bestimmter Unternehmen. Dies widerspricht dem Gleichheitsgrundsatz und damit den Grundprinzipien des Gemeinschaftsrechts. Doch was geht jenseits der juristischen Ebene vor sich? Politisch hatten sich zwar Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) gegen die Enteignung großer Wohnungsunternehmen ausgesprochen. Ob sie damit aber die Mehrheitsmeinung der Berliner Bevölkerung aussprechen?
Vergesellschaftung wurde nach dem Krieg breit diskutiert
Das immobilienwirtschaftliche Establishment in der Stadt befürchtet, dass es bei der Enteignungsinitiative aber nicht allein um Korrekturen von Fehlentwicklungen gehen könnte, sondern um weitaus mehr: Nämlich um die allgemeine Änderung der Eigentumsordnung von Grund und Boden.
„Die Sozialisierung von Grund und Boden ist im Artikel 15 des Grundgesetzes eingeführt worden, weil SPD und KPD dem Grundgesetz sonst nicht zugestimmt hätten“, sagte kürzlich Ulrich Battis, Emeritus der Juristischen Fakultät Staats- und Verwaltungsrecht sowie Verwaltungswissenschaften der HU Berlin, auf einer Veranstaltung der Wirtschaftskanzlei GSK Stockmann. Sie gehört mit Battis in ihren Reihen in der Kategorie „Immobilienanwälte“ zu den drei stärksten Kanzleimarken Deutschlands.
Battis wies darauf hin, dass es schon in der Weimarer Reichsverfassung von 1919 einen ähnlichen Artikel gab. Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Vergesellschaftung von Schlüsselindustrien ein breit diskutiertes Thema, „die Enteignung ist Ultima Ratio“ (Battis). Unterschieden werden muss allerdings zwischen Sozialisierung (Artikel 15) und Enteignung (Artikel 14 III). Artikel 15 ermöglicht nämlich nicht nur die Enteignung einzelner Grundstücke und Gegenstände, sondern ganzer Wirtschaftsbranchen. Und hier wird es interessant.
Battis: „Gegenentwurf zur bestehenden Wirtschaftsordnung“
„Die Idee der Sozialisierung ist ein Gegenentwurf zur bestehenden Wirtschaftsordnung“, sagt Battis. Gewiss dürfe man nicht willkürlich enteignen – doch die Möglichkeit dazu sieht auch die Berliner Verfassung unter Paragraf 23 vor. „Und Satz Eins des Paragrafen 24 der Berliner Verfassung ist schon ziemlich nah an der Sozialisierung dran“, sagt der Jurist: „Jeder Missbrauch wirtschaftlicher Macht ist widerrechtlich. Insbesondere stellen alle auf Produktions- und Marktbeherrschung gerichteten privaten Monopolorganisationen einen Missbrauch wirtschaftlicher Macht dar und sind verboten.“
Wenn denn die Enteignung vor allem ein so genanntes Rechtsinstrument zu Güterbeschaffung ist, ist die Sozialisierung Dreh- und Angelpunkt einer anderen Wirtschaftsordnung. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits im Sommer 1954 festgelegt, dass das Grundgesetz weder die wirtschaftspolitische Neutralität der Regierungs- und Gesetzgebungsgewalt noch eine nur mit marktkonformen Mitteln zu steuernde „soziale Marktwirtschaft“ garantiert.
Sie könnte im Zuge eines erfolgreichen Volksentscheides schrittweise zur Disposition gestellt werden: Wenn nämlich die gesamte Wohnungswirtschaft in staatliche Obhut genommen wie ein verwahrlostes Kind. Dann dürften noch ganz andere Fragen aufgeworfen werden als die nach Entschädigungen. Zum Beispiel die nach dem Leistungsvermögen der deutschen Automobilwirtschaft – eine weitere Schlüsselindustrie, über deren Verstaatlichung debattiert werden könnte.
Wer füllt die Lücke zwischen Miete und Kosten auf?
„Welchen Teil des Einkommens sollten wir denn für unsere Miete ausgeben?“, fragt Kirstin Wellner, Professorin an der TU Berlin für Planungs- und Bauökonomie/Immobilienwirtschaft, in der Debatte: „Wer entscheidet denn das?“ Zu klären sei, wer über Instandhaltungs- und Modernisierungsmaßnahmen entscheide, wer im Zweifelsfall die finanzielle Lücke zwischen Bodenpreis, Baukosten und Miete auffülle. Eine solche Diskussion müsse mit der Enteignungsinitiative auch geführt werden, fordert Wellner: „Aber sie wird im Moment nicht geführt.“
Mit Blick auf seine uneinige Berliner SPD möchte Frank Nägele, Staatssekretär in der Senatskanzlei Berlin, vor allem die Bodenfrage angehen. Da ist er nicht der Einzige. Die Bundestagsabgeordnete Caren Lay (Linke) will das Thema Mitte Mai auf einer Konferenz diskutieren. „Wenn ich sozialisiere und nicht enteigne, stelle ich nicht das Wirtschaftssystem auf den Kopf“, überlegt Nägele. Es gebe Unternehmen, die vor 15 Jahren Land gekauft hätten, die Spekulationsgewinne vom Bodenwert könnten „deutlich stärker abgeschöpft werden“, um Kitas und Infrastruktur zu bauen.
„Die Bodenpolitik ist das Entscheidende“, sagt auch Battis, „eine Grundsteuer C hat es ja schon einmal gegeben. Sie könnte man mit einem Federstrich wieder einführen. Außerdem „könnte doch viel mehr Boden ausgewiesen werden, aber es liegt auch daran, dass Berlin schon immer eine drittklassige Verwaltung hatte, schon zu Preußens Zeiten“, sagt Battis: „Im Osten hat man die gesamte Misswirtschaft der DDR von Berlin aus orchestriert.“