Neue Regeln für Baustoffrecycling: "Bauen wird länger dauern und teurer werden"
Bauabfälle sollen künftig bundesweit einheitlich auf Schadstoffe geprüft und entsorgt werden. Völlig unpraktikabel, kritisiert die Branche.
Die Bundesregierung will den Wohnungsbau ankurbeln – und wird das Bauen dank neuer Umweltvorschriften wahrscheinlich verteuern. Eine geplante Mantelverordnung des Bundes für die Entsorgung von Bauabfällen wird nach Einschätzung der Branche die Baukosten in Deutschland in die Höhe treiben. Was geplant ist, und welche Folgen die Verordnung zeitigen könnte, besprach Reinhart Bünger mit dem Hauptgeschäftsführer des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie, Michael Knipper, und mit Antje Eichler, im Hauptverband Abteilungsleiterin Umwelt und Normungspolitik. Die Verordnung soll im September den Bundesrat passieren.
Herr Knipper, Frau Eichler, was ändert sich, wenn die Mantelverordnung kommt?
KNIPPER: Wenn diese Grenzwerte kommen, werden wir einen Großteil der Stoffstrommengen nicht mehr verwerten können. Das Bauministerium spricht von 13 Millionen Tonnen mineralischer Abfälle pro Jahr, die zukünftig auf die Deponie müssen, anstatt verwertet zu werden. Wir gehen von weitaus mehr aus, circa 50 Millionen pro Jahr.
EICHLER: Derzeit haben wir keine bundeseinheitliche Regelung. In vielen Bundesländern gilt die Technische Regel LAGA M20. Sie regelt Vorerkundung, Analyse, Deklaration und Verwertung. Das funktioniert auf der Baustelle. Mit der Mantelverordnung soll ein völlig neues Konzept eingeführt werden: andere Klassen, Stoffströme und Analyseverfahren und sehr komplexe Einbaubedingungen. Und wir haben keine einheitlichen Analyseverfahren für die Entsorgungswege. In dem Moment, in dem Sie hier keine Einheitlichkeit haben, verdreifachen Sie den Aufwand.
In der Folge würden die Materialien viel länger auf der Baustelle liegen, bis eine Entscheidung getroffen wird, wo sie hinkommen. Unsere Befürchtung: Um das Material von der Baustelle zu bekommen, werden viele unter Zeit- und Kostendruck den einfachsten Weg gehen und sagen: Dann deklariere ich es als Deponiematerial. Das Entsorgungsproblem haben wir heute teilweise schon. Berlin hat zum Beispiel keine eigenen Deponien. Entsorgungswege von 500 Kilometern, quer durch die Bundesrepublik, sind bereits heute keine Seltenheit.
Wir müssen uns also auf ein Land der wachsenden Halden einstellen?
EICHLER: Genau. Und auf längere Bauabläufe. Derzeit regelt die LAGA M20 eine Deklarationspflicht für Materialien, die zum Recycler gehen. Die Mantelverordnung blendet diesen Fakt einfach aus und setzt erst dort an, wo das Material beim Recycler ankommt und dann verarbeitet wird. Der Gesetzgeber hat jetzt versucht, ein bisschen Flickwerk einzufügen. Doch die Annahmebedingungen sind halbherzig formuliert; das wird in der Entsorgungskette in der Praxis so nicht funktionieren. Da es keine bundeseinheitlichen Annahmebedingungen beim Hersteller gibt, werden wir jetzt individuell vor jeder Ablieferung mit jedem Abnehmer verhandeln müssen, welche Werte er denn gerne hätte.
Der Gesetzgeber hat hier nur vermeintlich vereinfacht. Beim Recycler wird es auf dem Hof abgeliefert und erst dann müsste er prüfen: Darf ich das überhaupt annehmen? Das aber würde der Recycler nie verantworten, weil er zum Beispiel gegen die Anlagengenehmigung verstoßen könnte. Uns wurde von Recyclern schon gesagt: Ohne Deklarationsanalyse, die wir dann individuell für jede Anlage vorgeben, schicken wir Eure Lkws zurück.
Kommt es dann eher zu einem „Bodenaushub-Tourismus“ in Richtung Polen oder Ukraine, wie dies zum Teil schon bei Einäscherungen zu beobachten ist?
EICHLER: Hauptsächlich ist es noch ein innerdeutsches Problem. Böden werden etwa von Bayern nach Mecklenburg-Vorpommern gefahren. Aber auch in den Niederlanden werden mittlerweile mineralische Bauabfälle entsorgt und verwertet.
KNIPPER: Entsorgungsengpässe führen zu steigenden Preisen. Das haben wir gerade bei der Entsorgung von Polystyrol erlebt, wo die Preise enorm gestiegen sind. Und das ist leider auch bei den Böden zu befürchten, wo die Mengenströme deutlich größer sind. Es nützt nichts: Wenn wir hier extrem schärfere Anforderungen als unsere europäischen Nachbarn haben, führt das unweigerlich zu einem zusätzlichen Mülltourismus, wenn der Abfall dort hingebracht wird, wo er stofflich verwertet werden kann.
Wie sieht Ihr Lösungsvorschlag aus?
KNIPPER: Vor anderthalb Jahren haben die Österreicher eine Baustoffrecyclingverordnung vorgelegt, die den Bedürfnissen in der Wertschöpfungskette Rechnung trägt. Wenn Sie die Mantelverordnung sehen: Das sind fast 300 Seiten. Unsere Unternehmen sagen: Das versteht keiner mehr, es ist zu bürokratisch und behördlich nicht vollziehbar. Die österreichische Baustoffverordnung regelt sehr gut, welche Pflichten Bauherren und Bauunternehmen haben. In Deutschland ist alles verklausuliert. Vor allem sind die Schnittstellen nicht eindeutig geregelt. Bauabläufe brauchen klare Verantwortlichkeiten. Ich muss auf der Baustelle beproben und entscheiden: Geht das Material dorthin, dorthin oder dorthin.
EICHLER: Das sind unsere Hauptkritikpunkte: Durchgängigkeit des Regelwerkes, klare Benennung der Hauptverantwortlichkeiten sowie adäquate Materialwerte, die eine Kreislaufwirtschaft möglich machen. Und eine schlanke Bürokratie, damit im Vollzug auch tatsächlich kontrolliert werden kann.
Sie beklagen, Ihre Betriebe müssten Boden künftig so behandeln, als seien sie selbst die Eigentümer. Sollte also der Bauherr sich um dessen Entsorgung und Untersuchung auf Kontaminierung kümmern?
KNIPPER: Der Bauherr ist für seinen Boden verantwortlich. Nur er hat es in der Hand, dass von der Planung bis zur Verwertung der Prozess richtig aufgesetzt wird. Er darf sich natürlich Dritter bedienen, aber er darf nicht einfach die Haftungsfrage delegieren.
"Ganz saubere Böden haben wir in den Ballungsräumen nie"
Werden die Dinge für den Bauherrn schwieriger?
EICHLER: Was wir möchten, ist, dass der Bauherr angehalten wird, sich mit diesen Fragen im Vorfeld zu beschäftigen und eine ordentliche Ausschreibung zu machen, auf deren Grundlage Bauunternehmen Leistungen anbieten können. Derzeit wird oft nur ausgeschrieben: „Einmal Entsorgung von Bauabfällen“.
Dann müsste der Bauherr ja schon sagen können, was für Böden er zu entsorgen hat.
EICHLER: Genau, das ist die Vorerkundung, die wir einfordern.
KNIPPER: Ganz saubere Böden haben wir in den Ballungsräumen nie. Da ist immer was drin.
Werden denn jetzt mehr Gebäude ohne Keller gebaut, und damit ohne Aushub?
EICHLER: Diese Tendenz haben wir jetzt schon.
KNIPPER: Aus verschiedenen Gründen, hauptsächlich aus Kostengründen, denn im Verhältnis zum Baukörper ist ein Keller sehr aufwändig. Schuppen dran oder ein „hochgelegter Keller“ im Wohnraum – das ist bezahlbarer.
Haben auch die großen Investmentgesellschaft mit Hochhäusern bald ein Problem?
KNIPPER: Da setzt die Bauherrenverantwortung an und auch das Kostenthema. Wenn man das Bauvorhaben bei der Vorerkundung ansieht, kann man das je nach Bodenqualität auspreisen. Wenn der Boden erst auf der Baustelle beprobt wird und man sich erst dann um einen Entsorgungsweg kümmert, ist es zu spät.
Was bedeutet die neue Verordnung für bereits begonnene Bauvorhaben und solche mit vorhandener Baugenehmigung?
KNIPPER: Wir brauchen für Baugenehmigungen und bereits begonnene Bauvorhaben Planungssicherheit und Vertrauensschutz. Man muss nach dem geltenden Baurecht so etwas zulassen.
Gut, dass beim BER alles ausgehoben ist.
KNIPPER: Es ist doch nachvollziehbar, dass man im Interesse von Bauherren, Investoren und Bauwirtschaft ein Projekt nach den zum Baugenehmigungszeitpunkt gültigen Standards, Regelwerken und Normen zu Ende bauen darf – was beim Brandschutz ja zu den bekannten Problemen geführt hat. Eine angemessene Übergangsfrist ist das Mindeste, was man braucht. Jedes Bauen ist ein Eingriff in die Umwelt. Der Gesetzgeber ist gut beraten, in der Praxis Klarheit zu schaffen. Dabei gilt es, zwischen ökologischen, ökonomischen und sozialen Aspekten abzuwägen. Wir diskutieren leider immer nur eindimensional.
Ist denn von der Verordnung auch ein Privatmann betroffen, der zum Beispiel sein Badezimmer saniert?
KNIPPER: Weniger, das fällt eher unter die neue Gewerbeabfallverordnung – auch ein sehr bürokratisches Regelwerk. Dabei geht es um Abbruch. Wird das Material noch einmal getrennt oder bleibt ein Stein auf dem anderen?
EICHLER: Man sieht in den Städten zum Teil total entkernte Gebäude. Da sind wir auf einem sehr guten Stand, das war aber auch schon vor der Gewerbeabfallverordnung so.
Sie befürchten ja steigende Entsorgungskosten. Lassen die sich beziffern? Der Anteil liegt bei 20 Prozent mit Blick auf die Baukosten.
EICHLER: Im Bereich Tiefbau kann das schon hinkommen. Insgesamt ist das aber zu hoch angesetzt.
KNIPPER: An den Gesamtbaukosten betragen die Entsorgungskosten im Hochbau um die drei Prozent.
Stimmt denn die im Gesetz angegebene Kostenschätzung?
KNIPPER: Der Gesetzgeber sagt in seiner Mantelverordnung: 13 Millionen Tonnen müssen zusätzlich pro Jahr deponiert werden.
Bei Entsorgungskosten von acht Euro je Tonne scheint das ja bezahlbar.
EICHLER: Die acht Euro je Tonne sind nicht realistisch, die Mengen sind nicht realistisch und die Transportwege und Folgen von Baustellenzögerungen sind bisher nicht beziffert. Deswegen haben wir beim Bundesbauministerium ein Planspiel gefordert, um auch diese Auswirkungen in der Gesetzesfolgeabschätzung mit zu erfassen. Aber genau das wurde nicht gespielt …
Was sagt Frau Hendricks zu Ihrer Kritik?
KNIPPER: Wir haben im Grunde zwei Bauministerien. Eines mit pragmatisch, nicht ideologisch denkenden Leuten. Ökonomen, die sagen: Wir wollen nachhaltig bauen und wir müssen auch bauen; nur so können wir Infrastruktur- stau und Wohnungsknappheit anpacken. Und dann haben wir im Umweltbereich Mitarbeiter, die sagen: Umwelt geht immer vor. Ich sage: Umwelt ist wichtig, aber wir müssen abwägen. Für die Baupraxis fehlt hier einfach ein Grundverständnis.
Infos zur Mantelverordnung
Das Bundeskabinett hat am 3. Mai den Entwurf der Mantelverordnung für Ersatzbaustoffe und Bodenschutz beschlossen. Sie soll die Verwertung mineralischer Bau- und Abbruchabfälle regeln. Die bisherige „Technische Regel Boden“ wurde in vielen Bundesländern nicht oder nur teilweise umgesetzt.
Die oft praktizierte Lösung für die Entsorgung von Bodenaushub: Mit dem Material aus neuen Löchern werden alte gefüllt, darunter viele ehemalige Kiesgruben. Künftig soll im Grundsatz nur gänzlich unbelastetes Material verfüllt werden dürfen. Die Baubranche hält die Regeln für stark überzogen.
Das Bundesbauministerium verweist auf zahlreiche Sonder- und Ausnahmeregelungen.
Wenn die Verordnung kommt, würden die Kosten für die Entsorgung von Bauabfällen stark steigen, befürchten Vertreter der Bauindustrie. Beim Bau eines durchschnittlichen Einfamilienhauses fallen nach Daten des Baugewerbes zirka 900 Tonnen an, deren Entsorgung kostet 25 000 Euro.
Insgesamt werden nach Angaben der Branche in Deutschland über 200 Millionen Tonnen Bauabfälle produziert. Abgesehen von Bodenaushub fallen große Mengen Bauschutt an.
(mit dpa)
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